Essen. Bei Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung drohen massiv steigende Beiträge. Ein entscheidender Wert rückt näher.

  • Jede zweite Krankenkasse hat zum Jahreswechsel ihre Beiträge erhöht. Das könnte erst der Anfang sein.
  • Einer aktuellen Studie des Berliner Iges-Instituts zufolge werden die Beiträge aller Sozialversicherungen in den kommenden zehn Jahren massiv steigen.
  • Die Krankenkasse DAK Gesundheit warnt vor einer Belastung von Arbeitnehmenden und Unternehmen.

Wer dieser Tage über die Corona-Pandemie spricht, der redet über Maskendeals, abgesperrte Spielplätze und geschlossene Schulen. Im Sommer 2020 verabschiedete die damalige Bundesregierung aber auch eine weitreichende Regelung, die heute weniger bekannt sein dürfte: Mit der sogenannten Sozialgarantie wollte der Bund sicherstellen, dass die Beiträge für die Sozialversicherungen trotz aller Herausforderungen nicht steigen. Unternehmen und Beschäftigte, die sich die Sozialbeiträge teilen, sollten in der Krise nicht noch mehr belastet werden.

Der Bund legte fest, dass die Abgaben für die Arbeitslosen-, Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung zusammen nicht über die Grenze von 40 Prozent klettern dürften. Er kündigte an, im Notfall Bundesmittel beizusteuern, um das zu verhindern. Ende 2021 ist die Sozialgarantie ausgelaufen. Die Forderung nach einer erneuten Deckelung kommt seitdem immer wieder hoch: 2023 gingen 40,8 Prozent des Bruttoeinkommens für Sozialversicherungsbeiträge drauf, 2024 werden es 41,1 Prozent sein.

Und dieser Anteil könnte in den kommenden zehn Jahren massiv steigen. Das zeigt eine am Dienstag vorgestellte Studie des Iges Instituts für die Krankenkasse DAK-Gesundheit.

Sozialversicherungsbeiträge könnten bis 2035 auf 48,6 Prozent steigen

Laut der Berechnung des Berliner Forschungsinstituts könnten die Sozialversicherungsbeiträge bis 2035 auf 48,6 Prozent steigen. Das wäre ein Plus von 7,5 Beitragspunkten innerhalb nur eines Jahrzehnts. Zum Vergleich: Von 2015 bis 2024 sind die Beiträge im Schnitt um 1,35 Prozentpunkte gestiegen. Selbst im besten Fall, wenn die Löhne in Deutschland stärker steigen, weniger Menschen pflegebedürftig werden und mehr Fachkräfte einwandern, läge das Plus immer noch bei 4,7 Prozentpunkten.

Allein der gesetzlichen Krankenversicherung droht der Berechnung zufolge ein Sprung von derzeit durchschnittlich 16,3 Prozent auf 19,3 Prozent. Aber auch die Abgabe für die Pflegeversicherung könnte von 3,5 auf 4,1 Prozent steigen. Aktuell liegt der Brutto-Durchschnittslohn in Deutschland bei 4.323 Euro im Monat. Legt man die Iges-Berechnung zugrunde, müssten Beschäftigte 2035 eine niedrige vierstellige Summe mehr im Jahr an die Sozialversicherungen abgeben.

Podcast mit  Andreas Storm, Vorstandvorsitzender  DAK:  EtH

„Wir müssen verhindern, dass die Gesamtbelastung in den nächsten zehn Jahren in Richtung 50 Prozent klettert und so Versicherte und Arbeitgeber überfordert.“ “

Andreas Storm
Vorstandschef der Krankenkasse DAK Gesundheit

DAK-Vorstandschef Andreas Storm spricht von einem „Beitrags-Tsunami“. Die Berechnungen zeigten, dass die Sozialabgaben entgegen bisheriger politischer Vorgaben realistisch nicht auf 40 Prozent gedeckelt werden könnten. „Wir müssen vielmehr verhindern, dass die Gesamtbelastung in den nächsten zehn Jahren in Richtung 50 Prozent klettert und so Versicherte und Arbeitgeber überfordert.“

Die Sozialabgaben könnten aus verschiedenen Gründen steigen: Bis 2035 werden die letzten Beschäftigten der geburtenstarken Babyboomer-Generation in den Ruhestand gegangen sein. Ihnen folgt eine zahlenmäßig kleinere Generation. Die Lebenserwartung steigt, die Zuwanderung von Arbeitskräften sinkt, Kosten besonders im Gesundheitssystem steigen. Eingerechnet haben die Forschenden verschiedene Einflussfaktoren - etwa wie sich Löhne und Gehälter im besten oder schlechtesten Fall entwickeln und damit die Einnahmen der Sozialversicherungen anteilig steigen.

Auch interessant

Das Beratungsinstitut macht deutlich, dass die Berechnungen keine Vorhersage seien. Man wolle den „sozialpolitischen Handlungsbedarf aufzeigen“. Berücksichtigt wurden aktuelle Gesetzesvorhaben wie etwa die milliardenschwere Bundes-Krankenhausreform, an deren Kosten die Kassen beteiligt werden sollen.

Stärkes Beiträgsplus bei der Gesetzlichen Krankenversicherung

Besonders kritisiert Krankenkassenchef Storm den berechneten Anstieg im eigenen Spielfeld: Aus den Analysen gehe hervor, dass die Zusatzbeiträge schon 2025 auf 2,3 Prozent steigen werden. Damit wären die Zusatzbeiträge für die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) seit Start der Ampel-Regierung so stark gestiegen wie nie zu vor, verdeutlicht Storm.

Er schlägt einen Stabilitätspakt für die GKV vor: Die Kassen sollten mehr Geld vom Bund bekommen, zugleich müssten Ausgaben begrenzt werden. Sie sollten sich daran orientieren, was die Kassen durchschnittlich auch einnehmen werden. Allein dadurch seien die Beitragssätze bis 2035 um zwei Prozentpunkte zu senken. Storm meint damit auch, dass die Krankenkassen nicht für den Umbau der Kliniklandschaft durch den Bund mitbezahlen sollen (2,5 Milliarden Euro). Sie kämpfen seit Monaten gegen diesen Plan.

Auch interessant

Auch die Pflegeversicherungsbeiträge ließen sich senken, so der Kassenchef, etwa indem Pflegekassen nicht länger die Rentenbeiträge von pflegenden Angehörigen übernehmen.

Rentenversicherung:

Bei der gesetzlichen Rentenversicherung geht das Berliner Iges-Institut ebenfalls von einem satten Zuwachs aus. Aktuell liegt der Beitrag zur Rentenversicherung bei 18,6 Prozent. Bis 2027 könnte das sogar so bleiben, bis 2035 gehen die Fachleute aber von einem Beitragsplus von fast vier Prozentpunkten auf 22,3 Prozent aus. Selbst im besten aller Fälle, wenn Löhne stärker steigen und mehr Menschen in Arbeit sind, müssten sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber immer noch 21,8 Prozent Rentenbeiträge teilen.

In der Arbeitslosenversicherung geht laut Iges-Institut der Beitragssatz zunächst von aktuell 2,6 Prozent bis 2027 auf 2,5 Prozent zurück. Bis 2035 ist dann mit einem Anstieg auf 3,0 Prozent zu rechnen. 

Weitere Texte aus dem Ressort Wirtschaft finden Sie hier: