Essen. Nach der Pleite der Signa Holding hat auch Galeria Karstadt Kaufhof erneut Insolvenz angemeldet. Ein Blick zurück auf Krisenjahre.
Nach Ende des Zweiten Weltkriegs gibt es in Deutschland einen regelrechten Kaufhaus-Boom, der der Branche ein enormes Wachstum bringt. Erst mit dem Ende der 80er-Jahre verlieren die Kaufhäuser an Popularität. Kaufhof und Karstadt erhalten Konkurrenz von Einkaufszentren und Fachmarktzentren und später auch vom Online-Handel. Eine Chronik der Krisen:
1999: Der Warenhauskonzern Karstadt AG und das Versandhaus Quelle Schickedanz fusionieren zur Karstadt-Quelle AG. Der neue Konzern hat rund 116.000 Mitarbeiter. Kritiker sprechen von einer Fusion zweier Fußkranker, weil beide Unternehmen schlecht laufen. Größte Aktionärin wird die Quelle-Erbin Madeleine Schickedanz.
Juli 2000: Der langjährige Karstadt-Chef Walter Deuss legt nach ausbleibenden Erfolgen sein Amt nieder. Nachfolger wird der bisherige Chef der Karstadt-Warenhaus AG, Wolfgang Urban. Dieser kündigt ein Jahr später den Abbau von bis zu 7000 der 52.000 Stellen im Warenhausbereich an.
Oktober 2004: Bei dem immer noch schwer angeschlagenen Konzern einigen sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer auf einen Sanierungsplan. Abermals 5500 Stellen sollen sozialverträglich abgebaut werden. Ein Jahr später wird sich der Konzern von der Modekette Wehmeyer, 74 kleineren Warenhäusern und den Fachmarktketten Sinn-Leffers und Runners Point getrennt haben.
2005: Der frühere Bertelsmann-Manager Thomas Middelhoff rückt auf den Vorstandsvorsitz von Karstadt-Quelle. Der Konzern verkauft für 4,5 Milliarden Euro seine gesamten Warenhaus-Immobilien und mietet sie zurück.
2007: Karstadt-Quelle heißt nun Arcandor. Damit soll nach außen gezeigt werden, dass mit dem Zukauf des Reiseunternehmens „Thomas Cook“ auch Touristik zum Kerngeschäft gehört.
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September 2008: Die Privatbank Sal. Oppenheim greift Arcandor unter die Arme und übernimmt Anteile der bisherigen Mehrheitsaktionärin, Quelle-Erbin Schickedanz. Als Middelhoff 2009 abtritt, hat der Konzern eine Schuldenlast in Milliardenhöhe. In einem letzten Versuch soll Arcandor radikal umgebaut werden.
1. September 2009: Für die wichtigsten Arcandor-Gesellschaften – darunter die Karstadt Warenhaus GmbH – wird vom Amtsgericht Essen ein Insolvenzverfahren eröffnet. Im Dezember wird bekannt, dass zehn Karstadt-Standorte schließen und 1200 Arbeitsplätze abgebaut werden sollen.
30. September 2010: Das Amtsgericht hebt das Insolvenzverfahren auf. Der deutsch-amerikanische Investor Nicolas Berggruen übernimmt die noch rund 120 Warenhäuser. Die Gläubiger verzichten auf zwei Milliarden Euro. Die Beschäftigten in der Essener Karstadt-Zentrale feiern Berggruen wie einen Popstar.
August 2014: Berggruen ist an der Sanierung des Karstadt-Konzerns gescheitert. Er verkauft ihn für einen symbolischen Euro an den österreichischen Immobilieninvestor René Benko.Stephan Fanderl soll als neuer Karstadt-Chef die Kaufhaus-Kette binnen drei Jahren zurück in die schwarzen Zahlen bringen.
6. November 2019: Benko schluckt Kaufhof, dem sein ursprüngliches Interesse gegolten hatte. Die deutsche Warenhaus AG steht und heißt bald Galeria Karstadt Kaufhof – mit zusammen 243 Filialen und 32.000 Beschäftigten.
1. April 2020: Galeria Karstadt Kaufhof rettet sich in ein Schutzschirmverfahren. Offizielle Begründung ist die Corona-Pandemie. Stephan Fanderl ist weg, Miguel Müllenbach übernimmt zwei Monate später den Chefposten.
1. September 2020: Die Gläubigerversammlung in der Essener Grugahalle stimmt dem Insolvenzplan zu. 85 Filialen sollen geschlossen werden. Am Ende sind es „nur“ 42. Rund 5000 Arbeitsplätze werden abgebaut.
7. Oktober 2022: Müllenbach bittet erneut um Staatshilfe, erklärt in einem Mitarbeiterbrief: „Wir werden unseren Weg nur erfolgreich fortsetzen können, wenn es uns gelingt, die Finanzierung von Galeria neu zu strukturieren und dem Unternehmen neues, frisches Kapital zuzuführen.“
31. Oktober 2022: Die Verhandlungen mit Berlin über weitere Staatshilfe scheitern. Galeria geht zum zweiten Mal binnen drei Jahren in ein Schutzschirmverfahren, um sich vor dem Zugriff seiner Gläubiger zu schützen. Dem Bund und damit den Steuerzahlern gehören jetzt alle Waren. Der Preis dafür ist hoch: Über den Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) werden insgesamt 680 Millionen Euro in Galeria gepumpt.
13. März 2023: Sanierer Arndt Geiwitz und Geschäftsführer Miguel Müllenbach stellen dem Aufsichtsrat den Insolvenzplan vor. Weitere 52 Filialen der noch 129 Filialen sollen schließen.
Mai 2023: Müllenbach tritt als Galeria-Chef ab, der bisherige Vertriebschef Olivier van den Bossche wird ihn ersetzen. Im Juni trennt sich Galeria unter anderem von den beiden Kaufhof-Filialen in Gelsenkirchen und Duisburg. Karstadt in Duisburg überlebt. In einer zweiten Welle schließen zum 31. Januar 2024 fünf weitere Warenhäuser in NRW. Am Ende soll das Galeria-Netz auf 92 Filialen eingedampft sein. Sie hoffen auf 200 Millionen Euro, die der Mutterkonzern Signa zur Sanierung versprochen hatte.
August 2023: Der Galeria-Chef zeigt sich im Interview mit dieser Redaktion optimistisch. „Wir rechnen, wenn unsere Entwicklung anhält, für das nächste Geschäftsjahr mit einem positiven Filialergebnis und wollen im dritten Jahr beginnen, wieder Gewinne zu schreiben“, sagt van den Bossche.
29. November 2023: Die Signa Holding GmbH meldet beim Handelsgericht Wien Insolvenz an. Sie war wegen gestiegener Zinsen, Baukosten und Energiepreise ins Wanken geraten. Die Schweizer Signa-Betreiberfirma kündigt an, Galeria Karstadt Kaufhof verkaufen zu wollen. Parallel steht ein neuerliches Insolvenzverfahren im Raum.
28. Dezember 2023: Mit der Signa Prime Selection AG und der Signa Development Selection AG streben auch die beiden wichtigsten Einheiten der Signa-Gruppe ein Insolvenzverfahren an. Die Signa-Konzern zerfällt. Benkos edle Firmenzentrale in Wien wird versteigert.
7. Januar 2024: Die Galeria-Hauptverwaltung in Essen steht einmal mehr auf dem Prüfstand. Ein Auszug aus dem maroden Gebäude ist geplant. Betriebsratsvorsitzender Jürgen Ettl stimmt die 1000-köpfige Belegschaft in der Zentrale auf einen schmerzhaften Arbeitsplatzabbau ein.
9. Januar 2024: Was lange spekuliert wurde, wird bittere Gewissheit: Galeria meldet zum dritten Mal seit 2020 Insolvenz an. Dieses Mal ordnet das Amtsgericht Essen aber kein Verfahren in Eigenverwaltung, sondern auf Antrag von Galeria eine Regelinsolvenz an. Der Hamburger Rechtsanwalt Stefan Denkhaus wird zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt.