Essen. Noch schreibt Galeria Karstadt Kaufhof rote Zahlen. Wie der neue Warenhaus-Chef Olivier Van den Bossche das ändern will, erklärt er im Interview.

Den Kleidungstest besteht Olivier Van den Bossche problemlos. Auf Nachfrage zeigt er auf das Innenfutter seines Sakkos. Dort ist eine Galeria-Eigenmarke zu sehen. Der neue Chef des Essener Warenhauskonzerns Galeria Karstadt Kaufhof kommt aus Belgien, präsentiert sich aber als Manager, der gerne Zeit verbringt in einer der bundesweit 91 Filialen. Seine Herausforderung: Noch schreibt der Traditionskonzern rote Zahlen. Im Interview mit unserer Redaktion erzählt der Galeria-Chef, wie er dies ändern will.

Herr van den Bossche, Galeria musste zweimal innerhalb von drei Jahren Insolvenz anmelden. Sind Sie optimistisch, dass es nun aufwärts geht?

Van den Bossche: Ich bin von Natur aus optimistisch. Aber mehr noch: Ich bin überzeugt davon, dass wir ein Geschäftsmodell haben, das für die Zukunft trägt. In nahezu allen europäischen Ländern gibt es erfolgreiche Warenhäuser. Und in Deutschland ist das Warenhaus sogar noch tiefer in der Gesellschaft verwurzelt. Man spürt überall den Wunsch der Menschen, sich in den Innenstädten zu begegnen, eine gute Zeit zu haben, zu shoppen. Aber natürlich ist unser Veränderungsprozess nicht einfach.

Viele Ihrer Vorgänger haben es versucht, Karstadt und Kaufhof zu sanieren. Warum sollte es diesmal klappen?

Van den Bossche: In der Vergangenheit, bei der Metro oder Klarstadt-Quelle und Arcandor, war das Warenhaus Teil von komplexen Konzern- und Verwaltungsstrukturen. So große Organisationen beschäftigen sich viel zu viel mit sich selbst und viel zu wenig mit den Kunden. Das ist jetzt anders.

Ist die große Zeit der Warenhäuser in Deutschland womöglich einfach zu Ende?

Van den Bossche: Definitiv nein. Die Menschen wollen nicht nur vom Sofa aus bestellen. Sie wollen Ware sehen, anfassen und anprobieren. Dafür hat niemand so gute Voraussetzungen wie wir. Denn große Marken wie Hertie, Horten, Karstadt und Kaufhof sind in Galeria aufgegangen und wir verfügen jetzt über die besten Standorte dieser Unternehmen. Das ist unsere Chance.

Wie sieht Ihre Strategie aus?

Van den Bossche: Es gibt bei Galeria einen Chef, der entscheidet. Das ist der Kunde. Diese klare Kundenorientierung ist für viele noch neu, macht aber einen entscheidenden Unterschied aus. Das heißt auch, uns auf unser Kerngeschäft zu konzentrieren.

Verändern Sie auch die Sortimente in den Häusern?

Van den Bossche: Wir werden das anbieten, was der Kunde vor Ort sich wünscht. Das kann schon innerhalb einer Großstadt unterschiedlich sein. Köln-Nippes mit seiner jungen Nachbarschaft hat zum Beispiel eine ganz andere Kundenstruktur als unser auch internationales Flagship Köln Hohe Straße. Und je weiter man sich geografisch entfernt, je unterschiedlicher wird es. Oberhausen muss beispielsweise auch die Wünsche der vielen holländischen Kunden berücksichtigen, Lörrach aber diejenigen der Schweizer. Wir werden deshalb im Einkauf nicht mehr nach dem Gießkannenprinzip arbeiten.

Bekommen Ihre Filialchefs mehr Verantwortung?

Van den Bossche: Ja, sehr viel mehr. Niemand weiß besser, was in Lörrach läuft als das Team in Lörrach. Das können wir nicht in Essen entscheiden, auch wenn wir den Einkauf natürlich bündeln müssen. Wir brauchen für diese lokale Ausrichtung deshalb eine gute Zusammenarbeit zwischen Vertrieb und Einkauf.

Sie haben Ihr Geschäft in vier Regionalgesellschaften – Nord, Süd, Ost und West – aufgeteilt. Warum?

Van den Bossche: Damit wollen wir schlagkräftiger werden. Wenn beispielsweise jeder der 91 Filialen beim Schuheinkauf anrufen würden, wäre die Organisation schnell überfordert. Was wir wollen, ist aber eine schnelle und schlanke Organisation.

Mit den zurückliegenden Insolvenzverfahren ist das Filialnetz schon deutlich geschrumpft. Zum 31. Januar nächsten Jahres stehen weitere Schließungen an. Lässt sich die eine oder andere noch abwenden?

Van den Bossche: Mit diesen 91 Filialen verfügen wir jetzt über die besten Standorte für unsere Kunden und über genügend Größe, um mit unseren Lieferanten auf Augenhöhe zu verhandeln.

Ihr Geschäftsjahr 2022/23 geht am 30. September zu Ende. Sind Sie mit den zu erwartenden Zahlen zufrieden?

Van den Bossche: Wir erzielen bei entscheidenden Kennziffern Fortschritte. Die Frequenz in unseren Häusern steigt. Beim Umsatz und beim Ergebnis gibt es Steigerungen. Wir sind insgesamt auf dem richtigen Weg, aber es wird natürlich nicht einfach.

Trotzdem verbuchen Sie unter dem Strich noch in den roten Zahlen?

Van den Bossche: Das ist angesichts der gegenwärtigen volkswirtschaftlichen Lage nicht überraschend.

Wann wollen Sie die Verlustzone verlassen?

Van den Bossche: Wir rechnen, wenn unsere Entwicklung anhält, für das nächste Geschäftsjahr mit einem positiven Filialergebnis und wollen im dritten Jahr beginnen, wieder Gewinne zu schreiben.

Gibt es bei Ihren 91 Filialen noch Problem-Häuser?

Van den Bossche: Über 90 Prozent unserer Filialen sind bereits jetzt profitabel. Bei einer Handvoll Häuser arbeiten wir daran, sie zu drehen. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir das schaffen.

Sie suchen massiv neue Leute – insbesondere für das Weihnachtsgeschäft. Haben zu viele Menschen das Unternehmen verlassen, weil die Perspektive zu unsicher war?

Van den Bossche: Richtig ist: In so einem Veränderungsprozess gibt es immer auch personelle Veränderungen. Das ist auch eine Chance für frischen Wind.

Freuen Sie sich, dass die Leute gehen?

Van den Bossche: Ich freue mich, dass unser Team jetzt weitestgehend steht und über eine gute Mischung aus neuen Ideen und solider Erfahrung verfügt.

Wie viele Beschäftigte gehören noch zum Unternehmen? Vor der Insolvenz waren es rund 17.000.

Van den Bossche: Wir haben derzeit rund 12.500 Beschäftigte bundesweit. Ein Warenhaus lebt von der Beratung auf der Fläche. Deshalb werden wir bis Dezember 3500 neue Kolleginnen und Kollegen einstellen – überwiegend für Weihnachten.

Warum setzen Sie stark auf Saisonkräfte und weniger auf Festangestellte?

Van den Bossche: Wir haben beides, denn es ist sehr wichtig, flexibel zu sein. Das Warenhausgeschäft ist stark saisonal. Von Oktober bis Januar brauchen wir zum Beispiel sehr viel mehr Kolleginnen und Kollegen als beispielsweise im Hochsommer. Das gleiche gilt für die Wochentage. Die Frequenz ist Freitagnachmittag und Samstag sehr viel stärker als Montagmorgen. Um wirtschaftlich zu sein, müssen wir das stärker berücksichtigen.

Deutschland steckt in einer Rezession, die Inflation ist hoch, das drückt den Konsum nach unten – schlechte Zeiten für einen Warenhauskonzern?

Van den Bossche: Das Konsumklima können wir nicht ändern. Darunter leiden viele Branchen. Entscheidend ist, wie wir damit umgehen. Dazu müssen wir noch agiler werden. Stärker lokale Sortimente und flexiblerer Personaleinsatz sind gute Beispiele dafür. Ich spüre, dass unsere Mannschaft jetzt den Erfolg will. Die Motivation ist hoch. Die Menschen wollen die Extra-Meile laufen.

In den vergangenen Jahren sind bei Galeria aber auch Hoffnungen enttäuscht worden. Zwei Insolvenzen innerhalb so kurzer Zeit sind ungewöhnlich.

Van den Bossche: Im Wesentlichen verursacht durch monatelange, durch Corona bedingte, Schließungen und die Auswirkungen des Ukraine-Krieges, das wird gern unterschlagen. Natürlich müssen wir Vertrauen zurückgewinnen. Das wird dauern. Aber ich glaube, dass jeder die Ernsthaftigkeit und Überzeugung spürt, dass wir unbedingt erfolgreich sein wollen.

Sie haben 680 Millionen Euro als Staatshilfe erhalten – sprich aus Steuermitteln. Was ist mit dem Geld passiert? Ist alles weg?

Van den Bossche: Unser Schutzschirmverfahren war aufgrund der Pandemiefolgen und Energiepreisentwicklung notwendig. Um die Weiterführung von Unternehmen unter solchen Bedingungen zu ermöglichen, hat der Gesetzgeber dieses Instrument geschaffen. Die Gläubiger haben zum Abschluss der Verteilung der Gelder zugestimmt. Das betrifft auch die Rückzahlungen von Staatshilfen. Jetzt müssen wir nach vorne schauen.

Sind Sie als Unternehmen noch auf staatliche Unterstützung angewiesen?

Van den Bossche: Wir sind jetzt wirtschaftlich gut aufgestellt und unser Eigentümer Signa unterstützt und glaubt an das Unternehmen. Gleichzeitig werden wir uns von Beteiligungen trennen, die nicht zum

Galeria-Chef Olivier Van den Bossche beim Fototermin nach dem Interview in der Essener Konzernzentrale.
Galeria-Chef Olivier Van den Bossche beim Fototermin nach dem Interview in der Essener Konzernzentrale. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Kerngeschäft gehören – wir fokussieren uns und nehmen damit auch unsere Verantwortung wahr, die sich aus den letzten Jahren seit Corona ergeben hat.

Lassen Sie uns auf das Ruhrgebiet blicken: Es fällt auf, dass Galeria im Ruhrgebiet – mit der Ausnahme von Dortmund und Wesel – Filialen ausschließlich in Einkaufszentren hat – in Duisburg, Bochum, Oberhausen und Mülheim sowie in Essen am Rande der Innenstadt. Werden die Einkaufszentren für Galeria wichtiger als die Innenstädte?

Van den Bossche: In den meisten Fällen sind wir mit unseren Filialen in Deutschlands Innenstädten. Das ist auch gut so. Ich bin am liebsten im Herzen der Innenstadt. Da spielt sich das Leben ab.

Was würden Sie sich als Verbesserung für die Innenstädte wünschen?

Van den Bossche: Innenstädte müssen attraktiv und gut erreichbar sein. Wie man das erreichen kann, sieht man beispielsweise in Brügge. Die Stadt ist wunderschön und bietet eine tolle Mischung aus Einkaufsmöglichkeiten und Gastronomie. Weil man für wenig Geld am Rande der Innenstadt parken und mit einem ausgezeichneten und sicheren ÖPNV in die Stadt kommt, gibt es dort kaum noch Autos. Aber das ist nur ein Beispiel von vielen.

Essen galt einmal als die „Karstadt-Stadt“. Die Schließung der Filiale im Limbecker Platz hat Galeria erst in letzter Minute abgewendet, das Zentrallager in Essen-Vogelheim geben Sie auf und das Servicecenter in Essen-Bredeney wurde geschrumpft. Was bleibt von der „Karstadt-Stadt“ Essen?

Van den Bossche: Ich freue mich, dass wir eine Lösung für unser Warenhaus am Limbecker Platz gefunden haben. Und im Service Center arbeiten rund 1000 Menschen. Natürlich ist Essen deshalb für uns nach wie vor wichtig.

Für welchen Führungsstil stehen Sie?

Van den Bossche: Ich komme aus einem absolut normalen Elternhaus und habe schon als Student angefangen, im Einzelhandel zu arbeiten, im Verkauf, an der Kasse und irgendwann in der Filialgeschäftsführung. Das hat mich geprägt. Ich kenne die Zahlen unseres Unternehmens sehr gut. Vor allem aber weiß ich, was auf der Fläche los ist. Und dort finden Sie mich auch nach wie vor an einem oder zwei Tagen in der Woche.

podcast-image