Essen. Galeria Karstadt Kaufhof steckt zum dritten Mal in 13 Jahren im Insolvenzverfahren. Die Gründe sind zum großen Teil hausgemacht. Eine Analyse.

Hat der Warenhauskonzern Galeria Karstadt Kaufhof eine Zukunft? Diese Frage müssen Management und Sanierer bis zum 1. Februar mit einem schlüssigen Insolvenzplan beantworten. Auf das Zukunftskonzept warten nicht nur mehr als 17.000 Beschäftigte, sondern auch Millionen Kundinnen und Kunden sowie Innenstädte, denen weitere Frequenzverluste drohen. Wie konnte es zu dieser dritten Insolvenz in nur 13 Jahren kommen? Eine Analyse.

Sortiment

An der Frage, ob Warenhäuser eine Zukunft haben, arbeiten sich Handelsexperten seit Jahren ab. Die Mehrheit von ihnen hat den Daumen gesenkt. Dabei ist Galeria streng genommen längst kein klassisches Warenhaus mehr, in dem Kundinnen und Kunden so ziemlich alles kaufen können, was es gibt. Sukzessive haben sich Karstadt und Kaufhof in den zurückliegenden Jahrzehnten von Sortimenten wie Auto- und Baumarktzubehör, Camping, Computer, Bücher, Foto oder Unterhaltungselektronik getrennt und selbst das Drogerie-Angebot eingedampft. 60 Prozent und mehr der Fläche in den Warenhäusern sind inzwischen mit Modeständern besetzt. Herausragende Eigenmarken, die Galeria eingeführten Labels entgegensetzt, gibt es aber nicht.

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Stark ist Galeria nach wie vor bei Haushaltswaren, Hausgeräten, Süßigkeiten, Kurzwaren und Wäscheartikeln aller Art. Damit haben die Warenhäuser oft ein Alleinstellungsmerkmal. Auch aus diesem Grund schrillen etwa bei der Dortmunder Wirtschaftsförderin Heike Marzen die Alarmglocken. Ohne Galeria würden manche dieser Sortimente ganz aus der Innenstadt verschwinden und Kunden gleich in die Arme reiner Onlinehändler treiben.

Onlinehandel

Denn das digitale Geschäft als Alternative zum großen Warenhaus mit mehreren Etagen ist wohl die größte Baustelle im Unternehmen. Trotz jahrelanger Ankündigungen und Bemühungen hat es Galeria nicht geschafft, einen ernstzunehmenden Onlineshop auf die Beine zu stellen. Die fehlende digitale Strategie fiel dem Unternehmen vor allem bei den Ladenschließungen im ersten Corona-Lockdown im Frühjahr 2020 auf die Füße und führte zum ersten Schutzschirmverfahren.

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Inzwischen ist der Onlineshop zwar runderneuert. Einer Auswertung des Handelsinstituts EHI zufolge belegten Karstadt und Kaufhof im Jahr 2021 unter den 100 umsatzstärksten Onlineshops in Deutschland mit 210 Millionen Euro aber gerade einmal Platz 62. Die ebenfalls zur Signa-Gruppe gehörende Kette Sportscheck mit Karstadt Sports landete mit 127,7 Millionen Euro auf Rang 91.

Galeria-Chef Miguel Müllenbach gibt das Versagen offen zu. „Es ist kein Geheimnis, dass wir, was unser Online-Geschäft angeht, nicht nur etwas, sondern ganz gewaltig aufholen müssen“, schrieb er noch Ende Juni 2022 an alle Mitarbeitenden und kündigte an, ein „Rennwagen“ in der digitalen Welt werden zu wollen.

Gastronomie/Service

Um gegen Online-Riesen wie Amazon, Zalando oder Otto zu bestehen, will der stationäre Einzelhandel mit Beratung und einem Einkaufserlebnis punkten. Bei Galeria im Ruhrgebiet funktioniert beides nicht. Die Gewerkschaft Verdi und Betriebsräte beklagen seit Jahren, dass zu wenige Mitarbeitende, die Kundenfragen beantworten, „auf der Fläche“ seien. Die Kassen wurden zentralisiert, was weite Wege und mitunter lange Wartezeiten beim Bezahlen zur Folge hat.

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Und die Aufenthaltsqualität? Fehlanzeige! In der kleinen Vorzeige-Filiale in Kleve etwa ist gar kein gastronomisches Angebot vorgesehen. Im Duisburger Kaufhof und bei Karstadt in Mülheim haben die Restaurants nach der pandemiebedingten Schließung nicht wieder eröffnet. In den großen Häusern können Kunden nicht einmal einen Kaffee trinken.

Immobilien

In den Innenstädten liegen die Galeria-Häuser meist in Top-Lagen. Die wertvollen Immobilien waren für Karstadt über Jahrzehnte Kapital und Lebensversicherung zugleich. Bis der damalige Arcandor-Chef Thomas Middelhoff in den 2000er Jahren damit begann, die Gebäude an Immobilienfonds zu verkaufen, die die Flächen zu außergewöhnlich hohen Kursen an Karstadt vermieteten.

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Die Strategie setzte auch der aktuelle Eigentümer René Benko mit seinem hochkomplexen Firmen-Geflecht in der Signa-Gruppe fort. Einem Bericht des Handelsblatts zufolge gehören nur noch gut 20 Immobilien der 131 Warenhaus-Standorte zu Signa. Die Folge: Die wertvollen Liegenschaften stehen nicht mehr in den Büchern von Galeria. Die zum Teil riesigen Warenhäuser müssen hohe Mieten zahlen und verhageln die im Einzelhandel ohnehin geringen Margen zusätzlich. Das Unternehmen blutete finanziell immer weiter aus.

Umgang mit Mitarbeitenden

Verdi hat vor geraumer Zeit mit der Galeria-Geschäftsführung vereinbart, das Know-how der Mitarbeitenden zu nutzen. Nach Lesart der Gewerkschaft wurden zwar massenhaft Verbesserungsvorschläge eingesammelt, aber nicht umgesetzt. Dafür müssen die Beschäftigten, die in der Regel sehr lange zum Unternehmen gehören, seit Jahren auf Gehaltsbestandteile verzichten, um Galeria wirtschaftlich zu stabilisieren. Im Schnitt betrage das Minus pro Jahr und Kopf 5000 Euro, heißt es bei Verdi. Der Verzicht der Beschäftigten soll sich Gewerkschaftskreisen zufolge bislang auf fast eine Milliarde Euro summiert haben.

Zentral statt regional

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Aber auch die Geschäftsführer in den Warenhäusern vor Ort wurden zuletzt in ihren Kompetenzen beschnitten. Waren sie früher die Gesichter Karstadt und Kaufhof und engagierten sich vor Ort in Werbegemeinschaften, sind die Manager inzwischen weitgehend aus der Öffentlichkeit verschwunden. Sanierer Arndt Geiwitz kündigt deshalb in einem Interview mehr regionale Verantwortung und lokale Sortimente an. Diese Planung gibt es jedoch nicht zum ersten Mal. Daraus geworden ist bislang nichts.“

Aktualisierung vom 1. Februar 2023: Das Amtsgericht Essen hat das Insolvenzverfahren gegen Galeria eröffnet.