Berlin. Frank-Walter Steinmeier ist Fraktionschef einer Partei im Umbruch. Im Interview erklärt er, wie die SPD-Spitze mit parteiinterner Kritik umgehen will und grenzt sich deutlich von der Linkspartei ab. Die NRW-Linke ist für ihn eine Chaotentruppe, die man nicht ernstnehmen könne.

Nächste Woche hält Merkel die Regierungserklärung. Woran werden Sie die Kanzlerin messen?

Steinmeier: Der Koalitionsvertrag ist ein Dokument der Vertagung und Verunsicherung. Am kommenden Montag treffen sich die Koalitionäre – kaum dass die Tinte der Unterschriften trocken ist – schon wieder zu Nachverhandlungen. Dann kommen die hoffentlich mal zu Potte! Und wir hören in einer Regierungserklärung, was sie miteinander vorhaben in den nächsten vier Jahren. Und ich erwarte Klartext. Klartext auch, wer die Zeche zahlen soll für die Geschenke an ihre Wahlklientel – Steuerberater, Ärzte, Unternehmenserben –, die jetzt verteilt werden. Und wer trägt das Risiko für Kostensteigerungen im Gesundheitswesen, wenn Schwarz-Gelb einseitig nur die Arbeitgeberbeiträge senkt? Hier wird doch die Axt an die Grundsolidarität unserer Gesellschaft gelegt.

Haben Sie Angst, dass Sie auf dem SPD-Parteitag nächste Woche in Dresden als Reformer abgestraft werden?

Steinmeier: Nein. Ich stelle mich in Dresden nicht zum ersten Mal der Diskussion. Die Wahl ist für uns bitter gelaufen. Die Partei muss über die Ursachen reden dürfen. Das tue ich auch.

Noch mehr warnen Sie vor einer einseitigen Festlegung, warum?

Steinmeier: Die SPD ist eine Volkspartei. Sie war immer stark, wenn sie der Anwalt der kleinen Leute war und zugleich wirtschaftliche Kompetenz bewiesen hat. Wir müssen das eine pflegen, ohne das andere zu vernachlässigen. Daran mache ich die politische Mitte fest, und die will ich nicht aufgeben. Für die Position werde ich in Dresden streiten. Im Übrigen: Eine flotte Distanzierung von elf Jahren Regierungszeit würden uns die Wähler nicht abnehmen. Das stärkt Glaubwürdigkeit nicht – im Gegenteil!

Wie passt dazu ihr Plädoyer für Rot-Rot in Brandenburg?

Steinmeier: Die SPD regiert in Brandenburg seit 20 Jahren in unterschiedlichen Koalitionen und das höchst erfolgreich. Wie in Thüringen hat die SPD in Brandenburg nach dem Wahltag mit allen Parteien geredet. Matthias Platzeck hat danach beurteilt, was für das Land besser ist und mit wem sich ein Höchstmaß an SPD-Politik durchsetzen lässt. Dass die Antwort in Thüringen so und in Brandenburg anders ausfiel, war nicht geplant, macht aber das Prinzip klar. Man muss von Land zu Land entscheiden.

Was heißt das für NRW?

Steinmeier: In NRW ist die Partei Die Linke eine Chaotentruppe. Wenn die Linke ernst genommen werden will, muss die Berliner Führung ihren Laden in NRW noch kräftig umkrempeln.

Nicht zuletzt gibt es in NRW eine Wut über Opel. Wie geht die SPD damit um?

Steinmeier: Das ist doch ein ungeheuerlicher Vorgang. Ich verstehe die Wut. Immerhin wurden die letzten Details bis in die Stunden vor der Verwaltungsratsentscheidung verhandelt. Und nachdem alle offenen Fragen geklärt sind, fällt den Amerikanern ein, dass sie das ganze Geschäft nicht wollen. Aber was schlimmer ist: Die Opelaner und ihre Familien werden in völlige Ungewissheit und Angst zurückgestoßen. Jetzt muss schnellstmöglich ein Sanierungskonzept von GM auf den Tisch! Die Regierung ist jetzt in der Pflicht, das einzufordern. Und die Kanzlerin darf sich nicht unsichtbar machen. Ich erwarte von ihr ein klares Wort zu Opel in der Regierungserklärung.

Ist die Politik erpressbar?

Steinmeier: Natürlich steht Politik unter Druck, wenn so viel Arbeitsplätze auf dem Spiel stehen. Es ist immer noch die Politik, die über Staatshilfen entscheidet. Und nur sie.

Streichen wir die Erpressung aus dem Protokoll. Dann bleibt immer noch die Frage, ob man den Umgang von GM so hinnehmen soll?

Steinmeier: Wir können nicht zur Tagesordnung übergehen. „Bestrafung von GM”, wie manche das fordern, ist gleichwohl wenig weiterführend. Der Ärger ist das eine, sprechen muss man mit GM wegen der Arbeitsplätze in Bochum, Rüsselsheim, Kaiserslautern und Eisenach gleichwohl. GM kennt ein Konzept zur Erhaltung der vier Standorte und der Großzahl der Opel-Arbeitsplätze in Deutschland. Ich will hoffen, dass sich die Sanierungsvorschläge von GM daran orientieren. Bleiben die alten GM-Vorschläge vom Frühjahr Basis des Sanierungskonzepts, werden Mehrheiten für politische Hilfen kaum zu gewinnen sein.