Essen. Extremismus pur: Die Linke in NRW stellt den Parlamentarismus infrage und pflegt Kontakte bis ins gewaltbereite Spektrum. Eine Momentaufnahme aus einer Partei, für die bei der Europawahl immerhin 252.438 Nordrhein-Westfalen gestimmt haben.

252 438 Nordrhein-Westfalen haben bei der Europawahl die Linke gewählt. Die Partei hat ihren Anteil gegenüber 2004 verdoppelt. Die Wähler sind Slogans gefolgt, die in Zeiten der Krise nachvollziehbar sind. „Schutzschirm für Menschen” ist einer. Es ist eine Forderung, die auch der CDU-Ministerpräsident hätte aufstellen können.

Doch: Wussten die 252.438, wen und was sie da wählen?

Vor dem Banner mit „Schutzschirm für Menschen” hat auch Hüseyin Aydin Wahlkampf im Ruhrgebiet gemacht. Er sitzt für die Linken im Bundestag und hat einen Rest Hoffnung, dass ihn die Wähler im Duisburger Norden für eine zweite Wahlperiode nach Berlin schicken. Das ginge diesmal nur direkt, mit der Erststimme. Aber der Mann richtet sich auf den Berufswechsel ein. Er hat kaum Chancen, den SPD-Konkurrenten zu schlagen. Er wird sich wohl im Herbst vom Parlament verabschieden und als Gewerkschaftssekretär arbeiten.

"Der Begriff Diktatur ist nicht angemessen"

Die eigenen Leute haben Aydin von der Landesliste verdrängt, die den Wiedereinzug in den Bundestag garantiert hätte. Er ist kein strammer Dogmatiker. Er argumentiert pragmatisch, differenziert gerne. Da hat man ihn abgestraft. NRW entwickelt sich zum Nest der Ultras, die realpolitische Außenseiter wie Aydin nicht zulassen mögen.

Bundesweit wird man auf den Trend aufmerksam. Carl Wechselberg, Mitglied im Berliner Abgeordnetenhaus, der gerade die Partei verlassen hat: „Über die Landeslisten im bevölkerungsreichsten Bundesland werden im September ausnahmslos Sozialrevolutionäre in den Bundestag gelangen.” Bodo Ramelow, linker Spitzenmann in Thüringen, fürchtet: „Diese Sektierer im Westen torpedieren mit kontraproduktiven Äußerungen unsere erfolgreiche Arbeit in den ostdeutschen Ländern.” Auch der gedemütigte Aydin sagt, die Linke habe „eine Debatte nötig” über den großen Einfluss kleiner Gruppen. Er mahnt: „Es ist wichtig, dass unsere Politik bei einer breiten Wählerschaft ankommt.”

Wer sind die neuen Einflussreichen in NRW, die die Linke noch linker machen und die in den Bundestag drängen?

Da ist die Schöne: Sahra Wagenknecht, Sprecherin der Kommunistischen Plattform. Sie kandidiert in Düsseldorf und auf Listenplatz 5. Die Ostdeutsche trauert der DDR nach („...der Begriff Diktatur ist nicht angemessen”), setzt sich für Radikalforderungen ein: 500 Euro monatlich für jeden Hartz-Empfänger, ein Mindestlohn von zehn Euro. Nach NRW kam sie, weil ihr, so geht es aus ihrer der WAZ vorliegenden Bewerbung hervor, „der Landesverband politisch weit näher steht als die Führungsebene des Landesverbandes Berlin, dem ich bisher angehört habe”.

Hilfe für die Rote Hilfe

Da ist die Ex-Grüne: Ulla Jelpke, früher in Hamburg bei den Ökos aktiv, heute Linke-Kandidatin in Dortmund.

Sie hat gute Drähte zu der von westlichen Diensten als terroristisch eingestuften Kurdenorganisation PKK. In Kuba, behauptet sie auch, werden die Menschenrechte eingehalten.

Da ist Sevim Dagdelen aus Bochum. Sie macht bei der vom Verfassungsschutz als verfassungsfeindlich eingestuften Roten Hilfe mit, die in Schriften über Jahre hinweg Polizisten nur als „Bullen” bezeichnet hat. Dagdelen will die „sozialistische Demokratie”. Die Klage der Bundestagsfraktion gegen den neuen EU-Vertrag begründet sie damit, dass darin ein Wirtschaftssystem für Europa festgeschrieben werde. „Wenn die Linke bei der Bundestagswahl 51 Prozent bekäme, könnten wir nicht einmal das Wirtschaftssystem verändern”. Wie, fragt sie, solle man so Kapitalverkehrskontrollen einführen?

Ab Platz 1 fast durchgehend beherrschen Vertreter diverser Szene-Gruppen die Landesliste. Ulla Lötzer an der Spitze kommt aus der globalisierungskritischen Attac. Paul Schäfer (Platz 4) war, heißt es, in der DDR-gesteuerten DKP.

Die Landes-SPD ziert sich, klar Nein zu einer Zusammenarbeit nach der Landtagwahl 2010 zu sagen. Aber auch ihr kann der Inhalt nicht passen, der mit dem personellen Schwenk der Linken verbunden ist. Denn längst stellt sich dort die Gretchenfrage: Wie halten wir es mit der parlamentarischen Demokratie?

Der Landesverband hält nicht nur, wie vom Bundestagskandidaten Anrej Hunko formuliert, „soziale Unruhen” für „notwendig und wünschenswert”. Er will nicht nur „die politische und soziale Mitte neutralisieren”, wie es ein Strategiepapier von 2008 fordert. Sahra Wagenknecht zieht den Druck der Straße auch dem parlamentarischen Opponieren vor: „Wir brauchen Gegenwehr von außerhalb des Parlaments”. „Politischer Streik” gegen den „neoliberalen Irrsinn” sei nötig.

Im Visier des Verfassungschutzes

Am klarsten macht der Aufruf „Widerstand jetzt”, wohin die Reise gehen soll. Er liegt dem NRW-Verfassungsschutz vor. Der Autor ist Beisitzer des Landesvorstands. „Ein Warten auf Gesetze und die Forderungen nach einer irgendwann durch Stimmzettel erreichbaren parlamentarischen Änderung reichen nicht aus”, heißt es, „die Verhältnisse sind hier und jetzt unerträglich.”

Mit größter Wachsamkeit beobachtet die SPD-Parteiführung in Berlin die Entwicklung bei dem – zumindest in den Ländern – potenziellen Partner rot-roter Koalitionen. In der sozialdemokratischen Spitze wird schon von „Staatszersetzung” gesprochen, die da in den Reihen der Linken gepredigt werde.

Der NRW- Verfassungsschutz sieht ähnliche Gefahren. Die Partei arbeite längst „mit anderen linksextremistischen Gruppierungen zusammen - diese Kooperation reicht bis ins gewaltbereite Spektrum”.

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