Mönchengladbach. Günter B. soll mehrere Mädchen zwischen fünf und zwölf Jahren schwer sexuell missbraucht haben. Der mutmaßliche Kinderschänder aus Viersen, der nach einer Justizpanne frei kam, hat für jeden Anklagepunkt eine Erklärung und leugnet die Taten.
Fälle wie diesen verhandeln die deutschen Gerichte fast täglich: Ein Mann, der Kindern vorgab, väterlicher Freund zu sein, doch dann waren ihre Spiele solche, für die man sich ausziehen muss, und die Gute-Nacht-Geschichten handelten von nackten Tatsachen. Es gibt Bilder aus der Badewanne, verbotene Filme, und wenn der Mann die Kinder an die Hand nahm, dann selten für einen Spaziergang.
Man mag kaum mehr hinsehen, man kann auch nicht alles wahrnehmen; dass dieser Prozess nun aber mitten im Blickpunkt steht, hat einen Grund: Der Angeklagte Günter B. aus Süchtelen im Kreis Viersen läuft frei herum. Lebt unbehelligt mit dem Vorwurf, mehrere Mädchen zwischen fünf und zwölf Jahren schwer sexuell missbraucht zu haben. „Schier unerträglich” nannte das NRW-Justizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter selbst, dabei war es eine ihrer Behörden, die den heute 59-Jährigen gehen lassen musste: Die Staatsanwaltschaft Mönchengladbach hatte Fristen versäumt, das „Verfahren verschleppt”, sagt der Volksmund. Da aber das „Beschleunigungsgebot” gilt, muss der Verdächtige nun bis zu einem möglichen Urteil nicht mehr in Untersuchungshaft zurück.
"Selbst auf dem Mars bin ich nicht mehr sicher"
Günter B. also hätte am Montag gelassen durch den Haupteingang des Landgerichts Mönchengladbach schlendern können, „da muss er selber gucken, wie er klarkommt”, sagte ein Gerichtssprecher – aber dann öffnete man ihm doch eine Hintertür. Wegen der Kameras. „Selbst auf dem Mars bin ich nicht mehr sicher”, klagte der Mann in brombeerfarbenem Hemd und Cordjackett und verbarg seine Halbglatze unter einem Käppi und der Heimatzeitung.
Dabei hat der 59-Jährige vor so viel Öffentlichkeit offenbar gar keine Angst. Er machte den Saal zur Bühne, wenn schon Show, dann eben Sprechtheater: „Gar kein sexuelles Interesse” habe er an Kindern, betont er mehrfach. „Wir haben uns umarmt, plötzlich ausgezogen und geschmust.” Er habe das Mädchen M. eben „wahnsinnig gern” gehabt, „wie zwei Sonnen” sei es gewesen und überhaupt: Die Elfjährige war es doch, die von Liebe sprach, die „immer anhänglicher” wurde und ihn drückte, dass er „kaum noch Luft” bekam.
Woher die Bilder nackter Nachbarskinder stammen? Die haben sie selbst gemacht, als er nicht da war. Wie hunderte Sexfotos auf seinen Rechner kamen? Da hat jemand nächtens gehackt! Was die deutlichen Sex-Szenen auf seiner Webcam machen? „Ich weiß es wirklich nicht, die habe ich nie benutzt.” Warum die Mädchen von Pornofilmen berichten? Die haben sie heimlich geguckt, bis er es verbot. Und wie kam er zu einer Fünfjährigen in die Wanne? „Sie hat mich ins Wasser gezogen.”
Kammervorsitzender spricht von "Gewaltanwendung"
Kammer plant mit sechs Verhandlungstagen
Die 1. große Jugendkammer als Jugendschutzkammer des Landgerichts Mönchengladbach hat für die Verhandlung gegen Günter B. fünf weitere Verhandlungstage angesetzt. Das Urteil soll Anfang Oktober fallen. Vorgeworfen wird dem 59-Jährigen schwerer sexueller Missbrauch von Kindern. Zwischen 2006 und 2008 soll er in fünf der angeklagten 19 Fälle Geschlechtsverkehr mit den fünf- bis zwölfjährigen Mädchen versucht haben. Teilweise habe er die Taten sogar gefilmt.
Wortreich schildert B. seine Version und hat alles eine Erklärung, nur: Irgendwann muss er, der als Heimkind selbst missbraucht worden sein will, sich ja ausgezogen haben, und es gibt doch Beweise. Die Fotos, die rosa Aktendeckel füllen, und die Filme, für die der riesige Bildschirm aufgebaut ist im Saal. Den ausgezogenen Angeklagten müssen die Prozessbeteiligten dort sehen, wie er Kinder zwischen den Beinen küsst und „Guten Morgen, Muschi” sagt. Stimmen müssen sie hören, die „Nein, nein!” schreien, von einer „gewissen Gewaltanwendung” spricht der Kammervorsitzende Lothar Beckers.
„Ich will Ihnen das erklären”, B. fällt immer wieder etwas dazu ein, aber nach einer knappen Stunde dem Richter nicht mehr. „Sie drehen den Spieß ja fast um”, wirft er dem Angeklagten vor und rät ihm dringend zu einem Geständnis. „Wenn wir rauskriegen, dass das alles gelogen ist, geht der Schuss nach hinten los.” B. aber findet, dass ihm einfach „keiner glaubt, das ist mein Pech”. Und: „Ich habe auch sehr viel leiden müssen.”
Dass er in den zwei Monaten seit seiner Haftentlassung noch immer keine Therapie angefangen hat, obwohl es – bereits verjährte – Vorstrafen gibt und ja doch, vielleicht in einem Fall, „was schiefgelaufen” ist, lag laut B. übrigens an der „Sache mit der Justizministerin. Ich musste mich vor der Presse verbergen”.