Bochum. Ein Jahr nach Nokia. Es ist viel passiert, seit das Gerücht vom Aus in Bochum für die Mitarbeiter zur bitteren Wahrheit wurde. Erst 1379 Nokianer haben einen neuen Job gefunden. Fast die Hälfte ihrer ehemaligen Kollegen wartet noch auf eine neue Chance.

Bei der IG Metall haben sie jetzt eine Ausstellung, ein Jahr danach: Es sind Bilder aus der Zeit, als Nokia für „Nicht Ohne Kampf Ins Aus” stand, und man sieht darauf, dass sie gar nicht nur geweint haben in jenen Tagen; sie haben Protestaufkleber geklebt und gelacht dabei. Sie waren ja immer noch die Familie, die Nokia aus ihnen gemacht hatte, die Nokia nun auseinanderreißen wollte. Wolfgang Kemper sagt, sie haben eben nicht geglaubt damals, „dass die so eiskalt sind”, und das mit dem Lachen, das lag an der Hoffnung. Es liegt immer noch daran: Er steht da, zwischen den Fotos, und lacht, dabei ist er doch einer von bald 1400, die in der Transfergesellschaft sind und bloß deshalb nicht arbeitslos.

Genau das aber hat dem Vater von zwei Kindern Mut gemacht: „Ich mache eine Qualifizierung, bin in fünf, sechs Monaten fit, und fange neu an.” Das hat er gedacht, ein Optimist, der immer noch sagt, im Juli, da beginnt vielleicht endlich der Kurs, und Ende des Jahres zieht die Konjunktur an, und dann... Der 55-Jährige hat sich bestimmt 80-mal beworben, wenigstens hat ihm noch keiner gesagt: Du bist zu alt. Der Werkzeugmacher war Servicetechniker für die Bestückungsautomaten, sowas geht heute computergesteuert, das wird er jetzt lernen. Inzwischen war er oft an der VHS, „aber irgendwann füllt einen das nicht mehr aus: dieses Nichtstun, diese verdammte Rumsitzerei!” Und jetzt blickt selbst Wolfgang Kemper ein bisschen besorgt.

"Es sieht schlecht aus"

Als das Gerücht sie erreichte, im Januar 2008, hielt sie es für einen „blöden Scherz”: „Wollen Sie mich verarschen?”, schleuderte Gisela Achenbach dem Ersten entgegen, der etwas munkelte vom Aus bei Nokia Bochum. Als das Gerücht zur Nachricht wurde, brachte die Betriebsratschefin nur eine Frage heraus: „Alle?” Alle. „2300 arbeitslos”, sie wird das nicht vergessen.

Einen Moment haben ihre Hände damals so gezittert, dass sie unkontrolliert unter den Tisch hauten – dann hat Gisela Achenbach auf den Tisch gehauen: Sie war Frau Nokia in jener Zeit, als Bochum sich noch auflehnte. Eine zähe kleine Person in roter Jacke vor dem blauen Firmenlogo, sie hat gekämpft. „Ich kann mich auch kampflos schlachten lassen”, sagte sie den Zweiflern, aber sie wollte sich nicht vorwerfen, „dass ich es nicht probiert habe”. Es hat trotzdem nichts genutzt. Wenigstens die Hälfte wollte sie retten, aber Nokia wollte: nichts und niemanden.

„Die wollen gar nichts mehr”, hat die 59-Jährige heute längst eingesehen, aber es tut immer noch weh. Im Frühjahr 2008 brach sich das manchmal Bahn in bitteren Tränen. „Dass die sowas machen!” Sie waren schließlich Nokia, alle miteinander, „deshalb sind wir so enttäuscht”. Deshalb macht sie sich auch weiter Sorgen: um die 700, 800, die Nokia Deutschland anderswo noch hat, um die in Rumänien, wo das neue Werk nicht läuft – und um die Vielen in der Transfergesellschaft.

„Gerade jetzt!”, sagt Gisela Achenbach, wo die Finanzkrise immer mehr Suchende auf den Arbeitsmarkt spült, nun seien die Nokianer noch schwerer zu vermitteln. Früher, erinnert sie sich, hatten sie Mitleid mit den Leiharbeitern unter ihnen, sie waren so schlecht bezahlt. „Nun bieten sie uns das an.” Wobei „uns” nicht stimmt: Achenbach ist in Altersteilzeit, es stand damals schon fest, und vielleicht hat ihr das die Kraft gegeben, die verzweifelten Bitten zu ertragen und die Bilder. Die Tränen eines Ehepaars, das einen pflegebedürftigen Sohn zu versorgen hat, und die der Mutter von Zwillingen, deren Mann auch gerade seinen Job verloren hatte - bei Opel. „Es sieht”, sagt Gisela Achenbach, „alles ganz schlecht aus.”

Einer der Glücklichen

Rainer Gerk ist einer von den Glücklichen. Ein Opfer zum Vorzeigen: gekündigt bei Nokia, eingestellt bei einer Nachfolgefirma. Sein Glück war, dass er als Betriebsrat noch im Büro saß, als andere schon zuhause verzweifelten, vorzeitig freigestellt. Deshalb hat er die Ausschreibung gesehen: Sie suchten einen Arbeitsschützer bei Novero. So wurde aus dem gelernten Maschinenbauer aus Herne ein „Occupational Health and Safety Specialist”. Gerk muss darüber selbst ein bisschen lachen, auch wenn man weinen könnte über den neuen Lohnstreifen: 25 Prozent weniger, „aber die Abfindung ist ja schließlich nicht dafür da, sich einen Sportwagen zu kaufen”. Seine Kinder sind schon groß, aber das Studium will bezahlt sein.

Ein wenig Bitterkeit ist dem 49-Jährigen trotzdem geblieben. Er war 15 Jahre in dem Betrieb, den sie „die Familie” nannten, und den Tag, da sie ihn dort „auf so brutale Weise in den Hintern getreten” haben, hat er nicht vergessen. „Den vergisst keiner, der bei Nokia war.” Er hat die Nachricht im Internet entdeckt, am 15. Januar 2008: dass die Finnen „alles ratzekahl weg” machen wollten in Bochum, und dann haben sie es wirklich wahr gemacht. Rainer Gerk hat wieder einen Job, aber Sicherheit gibt ihm das nicht: „Kein Nokianer wird sich in irgendeiner Firma je mehr sicher fühlen.”

Nicht aufgeben

Die Mehrheit derer, die Nokia ins Nichts entließ, waren Frauen; man kann das gut sehen einmal im Monat donnerstags, wenn sie sich treffen, auch noch den letzten guten Rat auszutauschen. „Für die Alleinerziehenden ist es am schwersten”, hört man sie dann sagen, sie klagen nicht gern über sich selbst, und es waren ja so viele Ungelernte dabei! Das kann man über Christine Wrona nun nicht sagen.

Radio- und Fernsehtechnikerin hat sie gelernt zu Zeiten, da Nokia noch Graetz war, 24 Jahre war sie dabei, eine gefühlte Ewigkeit als Schichtleiterin. Und jetzt? „Schichtleiterin und Frau, kein Bedarf.” In der Wirtschaftskrise, sagt die 43-Jährige, „sind die Chancen nochmal enorm gesunken”. Dabei war noch keine Krise, als Nokia dicht machte, „es gab doch keine Anzeichen zur Sorge, wir haben Sonderschichten gemacht, Personal eingestellt”. Aber dann: „Schock!” Christine Wrona weiß noch, wie sie weinte, wie die Betriebsrätin weinte am Telefon und selbst der Fertigungsleiter, „alles aus, alle haben geheult”. Ein gutes Jahr danach hat Wrona in der Transfergesellschaft Peag schon zwei Weiterbildungen gemacht: Personalsachbearbeitung, Lohn und Gehalt. Sie hofft, dass sie damit selbst bald wieder verdient, „man kann nie genug lernen”, zur Not eben was ganz anderes. „Damit kann man überall einsteigen.”

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