München. . Am 43. Verhandlungstag im NSU-Prozess in München berichtet eine Beamtin des Bundeskriminalamtes über Funde auf der Computer-Festplatte des NSU-Terrortrios. Die Aussage einer Dortmunderin, sie habe die Hauptangeklagte Beate Zschäpe in Dortmund gesehen, wird von einem Nachbarn entkräftet.
Ermittler haben beim Auswerten einer Festplatte im Rahmen der NSU-Ermittlungen Fotos vom früheren Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) mit Judenstern auf der Brust und mit ihm hinter Gittern gefunden. Die Fotovorlagen für die Darstellungen seien aus dem Internet kopiert worden. Einige hätten Aufschriften wie „you are the next“ oder „Wahlbetrug“ getragen, sagte am Dienstag eine BKA-Beamtin als Zeugin im NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht in München.
Nach ihren Angaben stammten die Bilder vom Jahr 2002. Da sei Schröder noch Bundeskanzler gewesen. Die 28-jährige Beamtin hatte gemeinsam mit einer Kollegin eine Festplatte ausgewertet, die aus dem Brandschutt des letzten mutmaßlichen NSU-Quartiers in der Zwickauer Frühlingsstraße geborgen wurde. Die dortige Wohnung sollen Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gemeinsam bewohnt haben, bis sie am 4. November 2011 nach dem Auffliegen des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) explodiert und in Brand geraten war.
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Auf der Festplatte hätten die Ermittler zudem das NSU-Bekennervideo und zwei frühere Fassungen dazu gefunden. Außerdem seien zahlreiche Bilddateien abgespeichert gewesen, unter anderem auch private Fotos von Susann E., der Frau des in diesem Prozess Mitangeklagten André E. Laut Zeugin weisen viele der Bilder „starke Bezüge“ zum Angeklagten André E. auf. Bei ihm soll die Polizei bei einer Durchsuchung zudem zwei mobile Festplatten sichergestellt haben, die identisch mit der ausgewerteten Platte aus dem Brandschutz gewesen seien, so die BKA-Beamtin.
Uwe Böhnhardt hat sich oft als "Gerry" ausgegeben
Auf dem Datenträger entdeckten die Ermittler auch Mitschnitten einiger Fernsehberichte über die Morde mit der mutmaßlichen NSU-Tatwaffe „Ceska 83“ und zwei Videosequenzen von Überwachungskameras aus Köln. Diese zeigen nach Angaben der Zeugin unter dem Namen „Gerry“ einen jungen Mann, der zwei Fahrräder schiebt und unter dem Namen „Max“ einen weiteren, der ein Fahrrad mit einem Koffer auf dem Gepäckträger mit sich führt.
Die Zeugin erklärt, dass Uwe Böhnhardt häufig die Identität des ebenfalls Angeklagten Holger G., mit Spitzname „Gerry“, verwendet habe. Mundlos dagegen soll in die Identität eines Max B. geschlüpft sein. Die Ermittler gehen inzwischen davon aus, dass auf den beiden Videosequenzen Böhnhardt und Mundlos vor dem Nagelbombenanschlag in der Kölner Keupstraße von 2004 zu sehen sind.
Das NSU-Bekennervideo war nach dem Selbstmord von Mundlos und Böhnhardt und dem Brand in Zwickau am 4. November 2011 an einige Redaktionen und politische Organisationen in Deutschland verschickt worden. Die bekannten Trickfilmfigur „Paulchen Panther“ taucht darin in Verbindung mit allen neun dem NSU zugerechneten fremdenfeindlichen Morden auf. Bei drei der Darstellungen sind sich die Ermittler sicher, dass Fotos gezeigt werden, die vor dem Eintreffen von Polizei und Rettungskräften an den jeweiligen Tatorten aufgenommen wurden. Die Bundesanwaltschaft wirft dem Angeklagten André E. unter anderem Unterstützung einer terroristischen Vereinigung vor. Er steht im Verdacht, das NSU-Bekenner-Video gefertigt zu haben.
Zschäpe in Dortmund? Zeugenaussage stößt auf Zweifel
Am Dienstagvormittag sagten als Zeugen Desiree und Thomas D. aus. Auf dem Grundstück von Thomas D. will eine Zeugin Anfang April 2006 Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt beobachtet haben. Thomas D. erklärte, dass er an dem Beobachtungstag auf dem Grundstück war. Er hätte seine Kinder für das Wochenende von seiner Ex-Frau erhalten. Seine derzeitige Ehefrau Desiree weist eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Fahndungsbild von Beate Zschäpe auf.
In der Vorwoche hatte eine 63-jährige Zeugin im Prozess erklärt, Anfang April 2006 Zschäpe, Mudlos und Böhnhardt auf dem Grundstück in Dortmund gesehen zu haben. Es waren erhebliche Zweifel an der Aussage der Zeugin geblieben, auch weil sie sich erst im Sommer dieses Jahres bei einem Anwalt gemeldet hatte. Würde die Aussage stimmen, wäre das ein erster Hinweis darauf, dass die Hautangeklagte Zschäpe an einem der möglichen NSU-Tatorte gewesen ist. Am 4. April 2006 war in Dortmund Mehmet Kubasik erschossen worden.
Die Bundesanwaltschaft wirft Beate Zschäpe in diesem Verfahren unter anderem Mittäterschaft zum Mord in zehn Fällen sowie schwere Brandstiftung vor. André E. ist unter anderem wegen Unterstützung einer Terroristischen Vereinigung angeklagt. Ralf Wohlleben und Carsten S. wird Beihilfe zum Mord in zehn Fällen vorgeworfen und Holger G. ebenfalls Unterstützung einer Terroristischen Vereinigung. Das Oberlandesgericht verhandelt seit Mai dieses Jahres gegen die Angeklagten.