Berlin/Wiesbaden. Umfragen zeigen, dass mancherorts mehr als zwei Drittel der Wähler noch nicht wissen, welcher Partei sie bei der Bundestagswahl ihre Stimme geben. Das ist eine Herausforderungen für Experten, die an Wahlprognosen arbeiten - und auch die Parteien haben deshalb im Wahlkampf-Endspurt noch viel zu tun.
Kurz vor der Bundestagswahl ist die Zahl der Unentschlossenen offensichtlich weiterhin hoch. Die Umfrage-Zahlen schwanken zwischen rund 30 Prozent und mehr als zwei Drittel der Wähler. Für die Wahlkampfstrategen der Parteien ist dies eine Herausforderung.
"Je weniger kontrovers die Auseinandersetzung zwischen den Parteien ist, desto unsicherer sind die Wähler", erläutert der Politikwissenschaftler Nils Diederich von der FU Berlin das hohe Maß an Ungewissheit. In einer solchen Situation konzentrierten sich die Wähler zudem auf Personen, was wohl eher für Kanzlerin Angela Merkel (CDU) von Vorteil sei.
Bindungen an bestimmte Parteien haben sich gelockert
"Grundsätzlich ist festzuhalten, dass sich die Bindungen großer Wählerschichten an eine bestimmte Partei in den vergangenen Jahrzehnten kontinuierlich gelockert haben", hatte der Wahlforscher Matthias Jung bereits nach der Bundestagswahl 2009 analysiert - und damit vor allem die Stimmenverluste der SPD erklärt. Durch das Verschwinden traditioneller Milieus sei "die Volatilität des Wahlverhaltens deutlich angestiegen".
Bundestagswahl 2013Der Leiter des Instituts Infratest dimap, Richard Hilmer, sieht für die Bundestagswahl am 22. September eine Mischung aus solchen langfristigen Trends und aktuellen Gegebenheiten. Zum einen werde der Anteil derer, die nicht auf eine Partei festgelegt sind, "mit jeder nachwachsenden Wählergeneration immer größer". Zum anderen gebe es diesmal "viele ambivalente Botschaften im Wahlkampf", was die Unsicherheit verstärke.
Sozialdemokraten setzten auf Haustürwahlkampf
Umso mehr versuchen gerade SPD und Grüne, noch kurz vor der Wahl Unentschlossene für sich zu gewinnen. Die Sozialdemokraten setzen dabei stark auf ihren Haustürwahlkampf. "Wir werden bis in den Sonntag hinein versuchen, Menschen zu überzeugen", kündigte Generalsekretärin Andrea Nahles kürzlich Aktionen auch noch am 22. September an, denn: "30 Prozent der Wähler entscheiden sich in den letzten 72 Stunden".
Die Grünen planen sogar eine "3-Tage-wach"-Aktion in den letzten 72 Stunden bis zur Schließung der Wahllokale. Ihnen hatte das ZDF-Politbarometer kürzlich ein Wählerpotenzial von bis zu 42 Prozent zugesprochen. Auch wenn solche hypothetischen Angaben wenig über das tatsächliche Wahlverhalten aussagen, wäre bei den Grünen demnach mehr Luft nach oben vorhanden als bei den anderen Parteien.
Last-Minute-Aktionen der Parteien durchaus sinnvoll
Diederich hält Last-Minute-Aktionen der Parteien vor diesem Hintergrund durchaus für sinnvoll, rechnet aber dadurch nicht mit entscheidenden Wähler-Schwenks. Wenn die SPD jetzt diese Strategie propagiere, sei dies wohl auch ein "versteckter Hilfeschrei" angesichts schlechter Umfragewerte, sagt der Experte. Zudem ändere eine hohe Zahl von Unentschlossenen in der Regel wenig an "Grundtendenzen", welchen Parteien die Wähler letztlich ihre Stimme geben.
Hilmer gibt allerdings zu bedenken, bei knappem Wahlausgang könnte das Werben um Unentschlossene kurz vor dem Urnengang durchaus entscheidend sein. Wenn nicht einmal jeder zweite sicher wisse, was er wählen wolle, "lohnt es sich für die Parteien, noch einmal nachzulegen". Dabei gehe es weniger darum, Menschen noch zu überzeugen, als sie zu mobilisieren, "Die Wahlentscheidung fällt häufig durch das Ausmaß von Mobilisierung", hebt Hilmer hervor. Dafür könnten auch Hausbesuche sinnvoll sein, gerade wenn es um eher politikferne Wählergruppen gehe.
Mailing-Aktionen kurz vor dem Wahltag
"Die direkte Ansprache kann schon einen aufmunternden Effekt haben", sagt auch Diederich. Allerdings sieht er die Effizienz von Hausbesuchen skeptisch, weil normalerweise von zwölf Parteien in einem Mehrfamilienhaus "nur vielleicht drei bis vier für eine Partei ansprechbar sind". Im Fokus der meisten Demoskopen stehen daher eher andere Mittel und Termine - zum Beispiel das TV-Duell zwischen Merkel und Steinbrück am 1. September oder Mailing-Aktionen kurz vor dem Wahltag. Dabei könne es immer auch noch Überraschungen geben.
61,8 Millionen Deutsche können am 22. September ihre Stimme abgeben
Bei der Bundestagswahl am 22. September sind etwa 61,8 Millionen Deutsche im Bundesgebiet wahlberechtigt. Dabei bilden 31,8 Millionen Frauen eine deutliche Mehrheit gegenüber 30,0 Millionen Männern. Nach Angaben des Bundeswahlleiters in Wiesbaden gibt es drei Millionen Erstwähler. 20,8 Millionen Wählerinnen und Wähler, ein gutes Drittel der Wählerschaft, sind über 60 Jahre alt.
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Nordrhein-Westfalen als bevölkerungsreichstes Bundesland hat 13,2 Millionen Wahlberechtigte, gefolgt von Bayern mit 9,3 Millionen. In den ostdeutschen Bundesländern leben 10,7 Millionen Wahlberechtigte, das ist etwa jeder sechste Wähler.
Die Zahl der Wahlberechtigten ist etwas geringer als bei der Bundestagswahl 2009. Damals durften rund 62,2 Millionen Bürger wählen. Zwar ist die Bevölkerung der Bundesrepublik in den letzten Jahren auf knapp 82 Millionen Einwohner gewachsen, doch sind vor allem Ausländer ohne Wahlrecht in Deutschland zugezogen. (afp/dpa)