Düsseldorf. Zwei Wochen vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen sehen die Umfragen die SPD vorn. SPD-Ministerpräsidenten Hannelore Kraft nutzt ihren Amtsbonus konsequent aus. In der Partei ist sie unumstritten. Niemand käme noch auf die Idee, sie zu unterschätzen.
Sie hatte kaum Zeit, aber sie hat sie genutzt. Die Frau, die vor 21 Monaten auf den Chefsessel der Minderheitsregierung gedrängt werden musste, spielt den Bonus der Ministerpräsidentin seitdem konsequent aus. Hannelore Kraft mehrt Macht und Popularität. Niemand käme noch auf die Idee, sie zu unterschätzen.
„Sie können es nicht“, urteilte ihr Amtsvorgänger Jürgen Rüttgers (CDU) gern über Kraft. Er ist politische Geschichte. Sie ist noch da. Wenn die Umfragen nicht täuschen, wird sich daran so bald nichts ändern. Zwei Wochen vor der Landtagswahl in NRW sehen alle Institute die SPD vorn. Es scheint, als wäre die Mülheimerin erneut zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Platz. Ein Phänomen, das alle Stationen ihres nahezu kometenhaften Aufstiegs markiert.
Kometenhafter Aufstieg
Kraft war stets bereit. 2001, als Wolfgang Clement über Nacht eine Europaministerin brauchte. 2005, als sich niemand fand, der eine tief erschütterte Fraktion nach dem Absturz der NRW-SPD aufrichten konnte. 2007, als sich die Partei nach neuer Führung sehnte. Und 2010. Da gewann sie eine fast aussichtslose Wahl.
Gütersloh, Fußgängerzone. Wer die von Kamerateams belagerte blonde Frau da drüben ist, fragt keiner mehr. Vor zwei Jahren war das ganz anders. Kraft hat sich bekannt gemacht, war Talk-Dauergast bei Lanz und Pilawa. „Ich bin gern nah bei den Bürgern“, sagt die 50-Jährige. Sie pflegt ihre Wirkung, geht auf Tuchfühlung. Auf große Bühnen verzichtet sie – Massen sind nur schwer zu mobilisieren. Etwa 150 Leute hören an diesem Morgen zu, darunter viele Genossen.
„Sie regiert ohne Girlanden“
„Sie regiert ohne Girlanden und Ornamente“, beschreibt Frank-Walter Steinmeier ihre schnörkellose Art. Neben SPD-Chef Sigmar Gabriel ist es der erste Mann der Bundestagsfraktion, mit dem sie sich eng abstimmt. Aus dem gängigen Parteien-Klischee fällt sie heraus. Die Tochter eines Straßenbahner-Ehepaars lässt sich in der SPD weder als Linke noch als Konservative einsortieren.
Ihre Karriere hat die Seiteneinsteigerin nicht in vertraulichen Zirkeln erdacht. Aber Kraft hat Ehrgeiz. Und steht in dem Ruf, Interessen knallhart durchsetzen zu können. Jetzt verkündet sie ihre Botschaft bei jedem Marktplatz-Auftritt: „Wir haben eins zu eins gehalten, was wir versprochen haben.“ Studienbeiträge abgeschafft, Kita-Gebühren gestrichen. Schwachstellen in der rot-grünen Bilanz verteidigt die „Schuldenkönigin“, wie die CDU sie tituliert, offensiv. NRW, sagt sie, sei doch nicht Griechenland.
Die Rau-Pose
Diese Pose ist nicht die einzige Parallele zu Johannes Rau. Kraft gibt sich heute präsidialer, kennt ihre Sympathiewerte unter Anhängern konkurrierender Parteien. Auch deshalb meidet sie jede Schärfe gegenüber Norbert Röttgen, dem Herausforderer. Lieber lobt sie die CDU für ihre Kooperation beim Schulkonsens und umarmt in Versöhner-Manier das ganze Land. Manchmal verspottet sie sich selbst. „Gucken Se mich ruhig an“, verblüfft sie eine Passantin, „im Original seh’ ich nicht so gut aus wie auf dem Plakat.“
„Ich will nicht Kanzler“
Und Berlin? „Ich will nicht Kanzler“, versichert Kraft. Auch Spekulationen um ihr Kabinett wiegelt sie ab. Doch sollte sie ihre Macht am Rhein festigen, dürften einige SPD-Minister nervös werden. Mit einer Notelf, die ein Produkt fehlender Mehrheit war, lassen sich weitere fünf Jahre nicht planen.