Berlin. . Die Linkspartei hat sich überlebt, sagt SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier im Interview. Sie werde über kurz oder lang aus westdeutschen Parlamenten verschwinden. Das „mangelnde und unglaubwürdige Politikangebot“ habe die Partei unattraktiv gemacht gemacht.
Die leichte Bräune verrät den Südtirol-Urlaub zu Ostern. Zurück in Berlin steckt Frank-Walter Steinmeier wieder im SPD-Geschirr: Eingespannt in der Troika, die im Wahlkampf in Schleswig-Holstein auftritt, ferner als Zugpferd der Fraktion. Ihr Chef gilt als Konsens-Typ. In diesen Tagen aber lässt er mit neuen Tönen aufhorchen: Der Ausweitung des Anti-Piraten-Einsatzes an der somalischen Küste stimmt die SPD nicht zu. Zum EU-Fiskalpakt sagt der Oppositionschef im Interview, die Kanzlerin lasse die „Dinge treiben“. Er werde keinem Sparplan zustimmen, der Europa weiter in die Rezession führe.
Herr Steinmeier, wissen Sie noch, wer Sie 2009 einen Stalker genannt hat?
Frank-Walter Steinmeier (lacht): Ich bin nicht nachtragend, aber ich vergesse wenig! Es war eine hochmütige FDP im Rausch der Umfragen, die sich jedes Nachdenken über Ampelkoalitionen verbeten hat. Das ist erst drei Jahre her. Aber es sieht so aus, dass der tiefe Fall den ein oder anderen bei den Liberalen doch zum Nachdenken bringt.
Und Sie? Denken Sie über eine Ampelkoalition als Option nach?
Steinmeier: Ich habe keine Erwartungen und keine Empfehlungen für die FDP. 20 Jahre lang hat sie sich als Partei mit den marktradikalsten Vorschlägen gezeigt, für die Politik nichts als Markt und Renditen war. Das Erbe des Liberalismus hat sie preisgegeben. Der hat in Deutschland mittlerweile Heimat in anderen Parteien, auch bei uns, gefunden. Deshalb hilft es der FDP nicht, sich auf die eigene Geschichte zu berufen. Sie muss sich neu erfinden, ihre Rolle neu definieren.
Steinmeier: "Der von der FDP erhoffte Lindner-Effekt bleibt aus"
Was trauen Sie dem FDP-Spitzenkandidaten Lindner in NRW zu?
Steinmeier: Alles unter fünf Prozent. Der von der FDP erhoffte Lindner-Effekt bleibt aus. Und das, obwohl viele mit Röttgen unzufriedene konservative Wähler sich von der CDU abwenden.
Bildung ist ein Thema im Wahlkampf. Muss der Staat das Kooperationsverbot von Bund und Ländern aufgeben?
Steinmeier: Das Kooperationsverbot war falsch. Es muss wieder abgeschafft werden. Die SPD ist bisher die einzige Partei, die dazu einen Vorschlag gemeinsam von Bund und Ländern vorgelegt hat. Union und FDP haben das im Bundestag abgelehnt. Sie setzen weiter auf Kleinstaaterei. Aber wir dürfen kein Kind zurücklassen. Die bestmögliche Ausbildung unserer Kinder ist nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit, sondern auch unsere einzige Chance, die Herausforderungen einer älter werdenden Gesellschaft zu meistern. Dazu bedarf es einer gemeinsamen Kraftanstrengung von Bund und Ländern.
In den NRW-Landtag dürften auch die Piraten einziehen, womöglich obendrein 2013 in den Bundestag. Gibt es erste Kontakte? Erleben wir eine „Karibik-Connection“?
Steinmeier: Es gibt vereinzelte, persönliche Kontakte. Und selbstverständlich müssen wir die Piratenpartei ernst nehmen. In ihrem Umfragehoch zeigt sich massive Unzufriedenheit mit Regierungsparteien in Bund und Ländern. Und so unangenehm das ist: Ich finde es gut, dass die Wähler der Piraten nicht einfach in die Wahlenthaltung flüchten. Aber Protest macht noch keine Politik. Unsere Aufgabe wird es sein, uns nicht anzubiedern, sondern klarzumachen, dass Politik Entscheidungen und Erfahrung braucht, um mit so komplexen Herausforderungen wie europäischen Krisen oder internationalen Konflikten umzugehen. Da genügt der für viele so sympathische Hinweis der Piraten auf eigene Unerfahrenheit und nicht abgeschlossene Willensbildung nicht. Wer sich zur Wahl stellt, sollte auch in der Lage sein, Verantwortung zu tragen.
Für die Linke ist das "Ende der Party eingeläutet"
Die Linke sucht gerade eine neue Führung: Chance für eine Annäherung?
Steinmeier: Das Ende der Party ist eingeläutet. Die anstehenden Landtagswahlen werden das Signal geben, dass die Linkspartei nach und nach aus den westdeutschen Parlamenten verschwindet. Das mangelnde und unglaubwürdige Politikangebot hat die Linke unattraktiv gemacht, die Führungsquerelen tun ein Übriges. Die Rückkehr Lafontaines an die Spitze wäre nur ein weiterer Ausdruck der Verzweiflung.
Würde Lafontaine der SPD nicht gefährlich?
Steinmeier: Nein. Angst vor Lafontaine haben nur viele in der Linkspartei. Sie ahnen, dass der Weg zurück den Weg in die Bedeutungslosigkeit beschleunigt.
Die SPD ist gegen das Betreuungsgeld – was wird sie tun?
Steinmeier: Das Betreuungsgeld ist bildungspolitisch der katastrophal falsche Weg. Viel zu viele Kinder scheitern, weil sie auf die Schule nicht ausreichend vorbereitet wurden und ihnen sprachliche Fähigkeiten fehlen. Das Betreuungsgeld wird dafür sorgen, dass viele derjenigen, die frühzeitige Bildung in Kitas dringend bräuchten, zu Hause bleiben. Das ist der komplett falsche Anreiz. Dass jetzt auch noch Hartz-IV-Empfänger davon ausgenommen werden sollen, aber Managergattinnen nicht, zeigt doch, dass diese Koalition Maß und Mitte völlig verloren hat. Wir prüfen deshalb, ob wir gegen ein solches Gesetz verfassungsrechtlich vorgehen werden. Denn auch in den Ländern gibt es verfassungsrechtliche Bedenken dagegen, dass der Bund diese Angelegenheit regelt, obwohl es - wie in Thüringen - die Länder tun könnten. Weshalb Merkel trotz alledem daran festhält, ist mir ein Rätsel.
Der Kanzlerin geht es um den Zusammenhalt der Koalition. Nun will sie drauflegen und die Rentenansprüche von Eltern ausbauen. Macht das den Plan besser?
Steinmeier: Nein. Jetzt noch einmal rund zehn Milliarden Euro aus der Rentenkasse zu nehmen, um das falsche Betreuungsgeld gängig zu machen, ist ein Irrsinn.
Wird die SPD dem Fiskalpakt nach heutigem Stand zustimmen?
Steinmeier: Die SPD hat bei den Beratungen der Euro-Rettungspakete große Verantwortung gezeigt. Das gilt auch hier. Aber: Fantasieloses Sparen in allen EU-Staaten zur gleichen Zeit ist kein Ausweg aus der Krise. Im Gegenteil. Das Wachstum bricht überall ein und das treibt die Staaten in die Rezession und weiter in die Schuldenfalle. Deshalb brauchen wir dringend ein Wachstumsprogramm für Europa. Sonst sind bald auch Arbeitsplätze hier in Deutschland gefährdet. Wir haben dazu Vorschläge gemacht. Notwendige Entscheidungen für Europa werden wir unterstützen. Aber wir werden nicht zustimmen, wenn dadurch Arbeitsplätze in Deutschland gefährdet werden und Europa weiter in die Rezession getrieben wird.
Fühlen Sie sich fair behandelt?
Steinmeier: Es geht nicht um Befindlichkeiten, sondern um das, was zu tun ist, um aus der Krise zu kommen. Seit dem Auftakt-Gespräch vor Wochen gibt es keine weiteren Signale oder Verhandlungsangebote seitens der Regierung. Längst ist klar, dass der Zeitplan der Regierung, Rettungsschirm ESM und Fiskalpakt Ende Mai vom Bundestag beschließen zu lassen, nicht zu halten ist. Deshalb ist es unverständlich, wie sie die Dinge treiben lässt. Ich erwarte, dass das Kanzleramt endlich auf die Opposition zugeht und mit uns sowohl über einen realistischen Zeitplan spricht als auch auf unsere Forderung nach Wachstumsimpulsen eingeht.