Witten. „Keine Stimme der AfD!“ Das forderten Hunderte bei einer Demo kurz vor der Europawahl in Witten. Wer dabei war - und wer dem Protest fernblieb.

  • Protestzug startet am Wittener Hauptbahnhof
  • Auch Bundes- und Landtagsabgeordnete dabei
  • Redner warnen vor „braunem“ Europa

Ein starker Wind bläst über den Bahnhofsvorplatz in Witten, wo am Samstagmittag (8.6.) die Demonstration gegen die AfD startet. Einen Tag vor der Europawahl haben dazu das sozio-kulturelle Zentrum „Trotz Allem“ und die Wittener Antifa aufgerufen.

Um die hundert wurden vielleicht erwartet. Doch am Ende sind es rund 300 Menschen, die ihren Protest gegen die in Teilen rechtsextreme Partei auf die Straße tragen, gut gelaunt und trotzdem voller Sorge. „Wir dürfen Europa nicht dem braunen Sumpf überlassen“, ruft ein Redner. Jubel, Klatschen, dann geht‘s los, durch die Berliner Straße und Poststraße in Richtung Wiesenviertel.

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Sie schwenken schwarz-rote Fahnen der Antifa und orangefarbene Flaggen aus der Weimarer Republik, als Warnung vor den Rechtsaußen. Sie singen alte Kampflieder und die „Internationale“ - und doch wäre es falsch, die Teilnehmenden alle in die äußerst linke Ecke zu schieben. Auch SPD-Bundestagsabgeordneter Axel Echeverria und die grüne Landtagsabgeordnete Verena Schäffer folgen dem Protestzug.

Nur aus Unionskreisen ist niemand zu sehen, auch nicht der Bürgermeister. Ihnen waren die Organisatoren dann vermutlich doch zu suspekt, gilt die Antifa zumindest in konservativen Kreisen doch als linksextrem. Schon beim breiten Protest gegen die AFD im Winter vorm Saalbau hatte Unionschef Ulrich Oberste-Padtberg damit seine Absage begründet.

Stephanie (41): „Schade, sonst wären vermutlich noch viel mehr Menschen mitgelaufen“

Dass die heutige Demo im Vorfeld womöglich in ein falsches Licht („linksextrem“) geriet, findet Stephanie „ein bisschen schade“. „Sonst wären vermutlich noch viel mehr Menschen mitgelaufen, wie damals am Saalbau, wo es 4000 waren“, sagt die 41-Jährige. „Dabei geht es doch nur darum, die Demokratie zu erhalten.“

Deshalb hat die dreifache Mutter auch ihre Kinder mitgenommen, ihre zehnjährige Tochter, die im Gehen Zuckerwatte nascht, und die anderthalbjährigen Zwillinge. „Ich will ihnen zeigen, dass wir gegen alles, was uns bedroht, ankämpfen können“, sagt die Wittenerin. Tatsächlich ist die Angst groß, dass die AfD bei der Europawahl erneut viele Stimmen einfährt. Deshalb die Demo an diesem sonnigen Samstagmittag.

„EKELHAFD“: Marie ließ auf ihrem Pappschild keinen Zweifel daran, was sie von den Rechtspopulisten hält.
„EKELHAFD“: Marie ließ auf ihrem Pappschild keinen Zweifel daran, was sie von den Rechtspopulisten hält. © FUNKE Foto Services | Jürgen Theobald

Viele tragen selbst gemalte Schilder aus Pappe oder Transparente. „Wer Nazis wählt, ist selbst ein Nazi“, ist da zu lesen. Marie (30) und Gina (31) haben „EKELHAFD“ auf ihren Karton geschrieben. Die jungen Frauen sind ein Paar und wollen weiter „sicher leben“. „Mal abgesehen von dem ganzen anderen Scheiß, den die AfD erzählt“, sagt Marie. Sie gehören keiner Partei oder Initiative an, sondern haben ein Plakat mit dem Demoaufruf im Wiesenviertel gesehen. Costa (25) warnt vor der „Demagogie“ der AfD, dass Deutschland unter der EU zu leiden hätten. „Das stimmt doch gar nicht“, sagt das 25-jährige SDAJ-Mitglied, auch „finanziell nicht.“

Wittener: „Ich finde es gut, dass die jungen Leute Partei ergreifen. Irgendeiner muss es ja tun“

Auch André (57) ist ganz privat hier, „ich bin einfach Demokrat“, sagt der Mann in der roten Hose. Dass der Aufruf zur Demo aus der linken Szene kommt, stört ihn nicht. „Ich finde es gut, dass die jungen Leute Partei ergreifen. Irgendeiner muss es ja tun.“

Der Protestzug ist so bunt wie die Welt, in der sie alle weiter friedlich leben möchten. Seite an Seite laufen hier Punks mit rotem Irokesenschnitt und Anarchos mit dunklen Brillen, Eltern mit Fahrradkarre., junge Leute mit schwarz geschminkten Augen oder gestandene Sozialdemokraten wie Thomas Strauch, der sogar auf Krücken der AfD den Kampf ansagt.

„Es wäre fatal, sich nicht zu engagieren“, sagt SPD-Bürgermeisterkandidat Dirk Leistner (50), der ebenfalls dabei ist, „aber ganz privat“. Berührungsängste mit der linken Szene zeigt hier keiner. Bundestagsabgeordneter Axel Echeverria (SPD) lässt sich sogar eine der schwarzen Fahnen mit einer geballter Faust in die Hand drücken. „Kein Bock auf Nazis“ ist darauf zu lesen. Er finde es gut, sagt der Politiker, dass der Anstoß zur Demo „aus der Zivilgesellschaft kommt“ und „nicht von den Parteien“.

Vom Wittener Hauptbahnhof zog der Protestzug durchs Wiesenviertel, über Ruhr-, Haupt und Wideystraße zum Ossietzkyplatz.
Vom Wittener Hauptbahnhof zog der Protestzug durchs Wiesenviertel, über Ruhr-, Haupt und Wideystraße zum Ossietzkyplatz. © FUNKE Foto Services | Jürgen Theobald

Im Übrigen gehöre die Antifa in Witten nicht zu den „schlimmen“ antifaschistischen Gruppen, die es in Deutschland auch gebe, sagt Parteifreund Christoph Ebner (76), der seit über 50 Jahren in der SPD ist. „Vor allem ist die Antifa in Witten nicht gewalttätig.“ Und wenn es darum gehe, gegen Rechts zu protestieren, „nehme ich auch in Kauf, mit der Antifa zu laufen.“

Starke Polizeikräfte begleiten die Demonstration an diesem Samstagmittag. Nachdem der Zug auch die Ruhr-, Haupt- und Wideystraße passiert hat, kommt er schließlich am Ossietzkyplatz zum Stehen. Noch einmal erschallt dort der laute Ruf: „Ganz Witten, Anti-AfD!“

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