Witten. Sollten Flüchtlinge zu gemeinnütziger Arbeit verpflichtet werden? In Witten gibt es schon Möglichkeiten, doch sie werden kaum genutzt.
Geflüchtete schneller in den Arbeitsmarkt zu vermitteln, ist erklärtes Ziel der Bundesregierung. Auch NRW will kräftig auf die Tube drücken. Doch schon jetzt gibt es gesetzliche Möglichkeiten, die Arbeitsgelegenheiten für Schutzsuchende schaffen, die noch keinen „richtigen“ Job annehmen können oder dürfen.
Wessen Asylverfahren noch läuft oder wer eine Duldung hat, der kann eine sogenannte Arbeitsgelegenheit mit Aufwandsentschädigung annehmen. Solche Hilfsjobs stellt die Stadt selbst oder aber gemeinnützige Träger. Dafür gibt es 80 Cent pro Stunde.
80-Cent-Jobber helfen in der Brauckstraße
Dabei handelt es sich etwa um Tätigkeiten in der Unterkunft an der Brauckstraße selbst. „Das kann die Reinigung der Allgemeinflächen sein oder auch leichtere Instandhaltungsarbeiten zur Unterstützung des Hausmeisters“, sagt Michael Gonas, Leiter des Sozialamts. Schwerpunkt dabei sei die Reinigung, die in der Sammelunterkunft Aufgabe der Bewohnerinnen und Bewohnern ist – mit Ausnahme einer Grundreinigung „alle paar Monate“.
Bei externen Anbietern können Geflüchtete zum Beispiel in der Küche, beim Reparieren von Fahrrädern oder im Garten- und Landschaftsbau tätig sein – oder auch Handtaschen und Kleider nähen, beim Sozialunternehmen Nouranour. „Das Angebot ist sehr vielfältig“, sagt Gonas.
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40 Personen haben 2023 gemeinnützig gearbeitet
200 Menschen im erwerbsfähigen Alter - also zwischen 18 und 67 Jahren - erhalten vom Amt für Wohnen und Soziales der Stadt Witten Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Sie alle könnten eine solche Arbeitsgelegenheit theoretisch aufnehmen - und von der Stadt dazu verpflichtet werden. „Darunter sind aber auch noch alleinerziehende Mütter oder kranke Menschen“, ordnet Gonas ein. 2023 haben letztendlich 40 Männer und Frauen einen solchen 80-Cent-Job gemacht.
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„Wir zwingen niemanden, eine gemeinnützige Arbeit aufzunehmen“, betont Gonas. Für ihn und sein Team hätten ohnehin die Integrationskurse Priorität. „Wir versuchen, dass die Menschen so schnell wie möglich damit beginnen können.“ Derzeit dauert es im Schnitt zwei bis drei Monate, bis die Geflüchteten einen Platz in einem solchen Kurs bekommen.
Stadt setzt bei 80 Cent-Jobs auf Freiwillige
Für die gemeinnützigen Tätigkeiten setze man auf Freiwillige. Damit habe man gute Erfahrungen gemacht. „Sonst haben wir mehr Verwaltungsaufwand als Nutzen.“ Mehr Geflüchtete zu solchen Tätigkeiten zu verpflichten, hält der Wittener Sozialamts-Chef für falsch. „Man kann das politisch wollen, aber es ist Quatsch“, urteilt der 51-Jährige.
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In Witten kümmert sich unter anderem die soziale Flüchtlingsberatung um die Menschen in der Brauckstraße. „Die Kolleginnen und Kollegen führen Gespräche mit den Leuten, fragen ab, wer was will“, so Gonas. Die Freiwilligen für die 80-Cent-Jobs seien meist diejenigen, die später schnell eine „richtige“ Arbeit antreten. „Für sie ist es eine Art Sprungbrett.“
Aufnahme einer Beschäftigung ist nach drei Monaten möglich
Rechtlich gesehen können Geflüchtete im laufenden Asylverfahren nach drei Monaten eine Tätigkeit aufnehmen, oder ab dem Zeitpunkt, in dem sie nicht mehr in einer Erstaufnahmeeinrichtung untergebracht sind. Also mehr oder weniger sobald sie nach Witten kommen. „Aber die Menschen müssen hier ja auch erstmal ankommen in der neuen Situation, sich irgendwie zurecht finden“, sagt Gonas. Erst dann könne man die Integration wirklich in Angriff nehmen.
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Wer in Witten geduldet ist – also eigentlich ausreisepflichtig ist – kann mit Erlaubnis der Ausländerbehörde nach sechs Monaten Aufenthalt eine Beschäftigung aufnehmen. Meist sind diese Genehmigungen an ein bestimmtes Jobangebot oder eine Firma gebunden, weiß Lilo Dannert vom Help-Kiosk. Das Problem: Die Duldung und die Arbeitserlaubnis müssen alle drei Monate erneuert werden. Es sei aber oft schwer, an Termine zu kommen, um den Aufenthaltsstatus rechtzeitig verlängern zu können.
Viele Geduldete arbeiten und verdienen Lebensunterhalt selbst
„Dann verlieren die Leute erstmal ihren Job“, so Dannert, die sich seit Jahren in der Flüchtlingshilfe engagiert. „Das ist eine unheimliche Belastung.“ Vor allem, weil die arbeitenden Geduldeten oft auch bereits in eigenen Wohnungen leben, die sie selbst finanzieren. Wer das nicht kann, muss in einer städtischen Einrichtung leben, denn für Geduldete bezahlt das Sozialamt in der Regel nicht die Miete. „Es ist wirklich erstaunlich, was diese Menschen alles leisten, um hier eine Chance zu haben“, so die Grünen-Ratsfrau.
Ein Punkt, der auch Sozialamtsleiter Michael Gonas am Herzen liegt: „Man verliert in der Diskussion oft den Blick fürs Ganze.“ Das Vorurteil, dass Geflüchtete quasi nur herumsitzen würden, sei sehr verzerrt. „Der Ansporn ist groß. Die Menschen wollen hier wirklich leben und arbeiten.“ Das bestätigt auch Steffen Louis, Leiter der Regionalstelle Witten/Wetter/Herdecke des Jobcenters EN.
Jobcenter-Leiter: Viel Engagement und Wille bei Geflüchteten
Er ist zuständig für die Geflüchteten, die bereits ein Aufenthaltsrecht in Deutschland haben. Er sehe „viel Engagement, Wille zur Integration und die Bereitschaft, auch schlecht bezahlte Jobs anzunehmen“. Auch für die Menschen, die er betreut, gibt es Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung. In diesem Fall erhalten die Menschen aber etwas mehr: 1,50 Euro pro Stunde.
199 Männer und Frauen aus Witten haben einen solchen „1-Euro-Job“ 2023 angenommen, darunter 65 Geflüchtete. Diese Arbeitsstellen sind oft in der Dienstleistung angesiedelt, etwa in Küche oder Service bei der Wabe am Schleusenwärterhäuschen oder bei den Ruhrtalrangern. Der Job könne bei Zugewanderten nicht nur für eine Tagesstruktur sorgen, sondern vor allem auch beim Spracherwerb und Selbstbewusstsein helfen, so Louis. Ziel sei am Ende die Integration in den ersten Arbeitsmarkt. Auf dem tun sich viele Geflüchtete dann doch noch schwer. Viele Menschen würden Helfertätigkeiten ausüben. Denn oft sei einfach die sprachliche Barriere noch da. Auch sei das Qualifikationsniveau insgesamt eher niedrig.
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