Witten. Nino Chikhradze ist neue Vorsitzende des Wittener Integrationsrates. Was sich die 50-Jährige vorgenommen hat und was sie antreibt.

Der Integrationsrat in Witten führt bisher eher ein Schattendasein. Das will Nino Chikhradze, die neu gewählte Vorsitzende, in Zukunft ändern. Ende April hat die 50-Jährige die Leitung des Gremiums von Nataliya Koshel übernommen, die wegen ihres Engagements in der Ukraine-Hilfe nicht mehr zur Wahl angetreten ist. Ihre Nachfolgerin hat sich viel vorgenommen.

„Die Tätigkeiten des Integrationsrates müssen bekannter werden“, sagt die studierte Pflegewissenschaftlerin, die derzeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Ruhr-Uni Bochum forscht und lehrt. Das gelte auch für die Lokalpolitik. „Wir haben bisher nicht das gleiche Standing wie andere Ausschüsse“, so Chikhradze. Bisher sei man aber auch nicht so tätig gewesen. „Aber das wollen wir jetzt ändern.“

Integrationsrat will durch mehr Anträge mehr mitgestalten

So sollen künftig etwa mehr eigene Anträge in den Rat getragen werden. Das passierte bislang eher selten. Im vergangenen Jahr etwa hatte der Integrationsrat sich für die Ächtung des N-Wortes eingesetzt. Der Rat folgte dem Anliegen des Gremiums. 2021 setzte das Gremium durch, dass Witten sich an der NRW-weiten Aktion „10+1 Bäume für die Opfer rechter Gewalt“ beteiligt. Die neu zu pflanzenden Bäume sollen an die zehn Menschen erinnern, die die Terrorvereinigung Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) Anfang der 2000er Jahre ermordet hat. Der elfte Baum steht sinnbildlich für alle weiteren Opfer rassistischer Gewalt. Bis heute seien die Bäume aber nicht gepflanzt, sagt Chikhradze. „Da müssen wir jetzt nachhaken.“

Aber auch für die Wittener Bürgerinnen und Bürger soll der Integrationsrat sichtbarer werden – und will Menschen mit und ohne Migrationshintergrund näher zusammen bringen. „Es gibt diese Kluft zwischen den zwei Gesellschaften. Das stört mich extrem“, sagt die gebürtige Georgierin. Das könne man etwa gut am Wiesenviertel und der unteren Bahnhofstraße sehen. Trotz der räumlichen Nähe herrsche kaum Austausch oder Kontakt, abgesehen von kurzen Abstechern, um sich etwa mit Essen zu versorgen.

2004 nach Deutschland gekommen

Man müsse sich aber besser kennenlernen, um sehen zu können wie viele Gemeinsamkeiten man habe – und um Unterschiede wertschätzen zu lernen. Schon im vergangenen Jahr hatte der Integrationsrat gemeinsam mit der Uni eine Gesprächsreihe gestartet, die Jugendliche unterschiedlicher Herkunft miteinander in Kontakt bringen sollte. Im Herbst soll es eine Neuauflage geben. Auch der Kontakt zu Vereinen und Moscheen soll intensiviert werden. Ebenso wie zu

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Dass Deutschland einmal ihr Lebensmittelpunkt werden würde, hätte Chikhradze wohl selbst nie gedacht. Sie kam 2004 zum Bachelor-Studium nach Deutschland. Da hatte sie in ihrem Heimatland bereits dabei mitgeholfen, eine Sozialstation mit EU-Mitteln aufzubauen. Auch leitete sie ein Ausbildungsinstitut für Pflegeberufe. Das Studium in Deutschland sollte ihr Wissen vertiefen, um damit im Anschluss in Georgien neue Strukturen in der Gesundheitsversorgung aufbauen zu können.

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Liebe zur Wissenschaft hielt Chikhradze in Deutschland

Doch die Liebe kam ihr dazwischen – und zwar die zur Wissenschaft. „In Georgien hätte ich nicht so forschen können wie hier“, sagt Chikhradze. Auf den Bachelor folgte der Master, dann die Promotion. Ihr Schwerpunkt liegt dabei in den Bereichen Onkologie und palliative Pflege, etwa wie sich eine fortgeschrittene Krebserkrankung auf das Familienleben auswirkt.

Seit 2010 in Witten aktiv

Seit 2010 gibt es in Witten den Integrationsrat, der sich für die Belange der ausländischen Mitbürger Wittens einsetzt. Ein solches Gremium muss in NRW laut Gemeindeordnung in allen Gemeinden und Städten mit mindestens 5000 gemeldeten ausländischen Einwohnerinnen und Einwohnern eingerichtet werden.

Das Gremium besteht aus 27 Mitgliedern, von denen zwei Drittel (18 Mitglieder) von den wahlberechtigten Wittenerinnen und Wittenern und ein Drittel (9 Mitglieder) aus der Mitte des Rates gewählt werden. Auch Nicht-EU können ihre Stimme abgeben. 2020 standen zwei Listen zur Auswahl: Die „Wittener Internationale Liste“ (WIL) und „Aktiv für Witten“ (AWiT).

Auch wegen ihres Berufs liegt ihr das Thema Gesundheit besonders am Herzen. „So viele Menschen kommen zu uns und haben traumatische Erlebnisse hinter sich“, sagt Chikhradze. Aber ihre psychologische Betreuung sei nicht gewährleistet. „Und dann müssen wir über Integration gar nicht nachdenken.“ Der Integrationsrat will sich deshalb für eine bessere Versorgung dieser Menschen stark machen. Geplant ist außerdem ein Workshop für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Gesundheitsberufen zu interkulturellen Kompetenzen. „Etwa wie ich mit der älteren Frau mit Kopftuch umgehe, die als Patientin zu mir kommt. Aber auch wie mit der neuen Kollegin aus dem Ausland.“

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