Witten. Das Ehepaar Arntz leitet seit kurzem das Johanna-Ruß-Haus in Witten. Dort wohnen junge Menschen mit Behinderung – die oft Schlimmes erlebt haben.

Die Räume im Johanna-Ruß-Haus oben in Witten-Herbede sind weihnachtlich geschmückt. Lichterketten hängen an den Fenstern. Sterne und Wichtelfiguren sind liebevoll dekoriert. Auf dem Tisch steht ein großer Adventskranz. „Den haben wir mit den Kindern selbst gebunden“, sagt Rahel Arntz. Sie und ihr Mann Lasse leiten das Heim seit dem Sommer. Beide arbeiten schon seit Jahren dort, haben sich dabei kennen- und liebengelernt. Es ist ihr Zuhause – und das der 24 Jungen und Mädchen mit geistiger und körperlicher Behinderung.

Der alte Gutshof an der Rüsbergstraße leuchtet in sanften Regenbogenfarben. Das Gebäude liegt idyllisch am Hang, umgeben von Wiesen und Wäldern. Vier Ponys und zwei Esel gibt es dort. Katzen streunen herum. Auch Hühner soll es bald geben. Sie sind eine Spende und warten im Westerwald noch darauf, abgeholt zu werden. „Ja, wir haben gerade gut zu tun“, sagt das Paar. Die beiden haben viel vor, um den Kindern das Leben im Haus so angenehm wie möglich zu machen.

Anfragen aus ganz Deutschland erreichen das Witten Heim

Farbenfroh und mitten in der Natur gelegen: Das Kinderheim an der Rüsbergstraße oben in Witten-Herbede.
Farbenfroh und mitten in der Natur gelegen: Das Kinderheim an der Rüsbergstraße oben in Witten-Herbede. © FUNKE Foto Services | Jürgen Theobald

Der Bedarf an stationären Plätzen sei insgesamt gestiegen, so Lasse Arntz (42). „Täglich klingelt mindestens ein Mal das Telefon.“ Anfragen aus Bayern, Schleswig-Holstein oder Schwerin erreichen das Wittener Heim. Inzwischen wohnen hier nicht mehr nur junge Menschen, deren Eltern einfach nicht mit der beispielsweise starken autistischen Behinderung ihres Kindes zurechtkommen.

„Wir erleben immer mehr, dass Kinder mit Beeinträchtigungen auch aus schwierigen sozialen Verhältnissen, aus zerrütteten Familien zu uns kommen“, sagt Lasse Arntz. Sie seien traumatisiert, hätten oft Gewalt erlebt. „Die Kinder hier brauchen mehr Zuwendung.“ Deshalb hat das Paar ein neues Fachkonzept geschrieben und will darüber in Verhandlung mit dem Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) gehen, der das Haus finanziert.

Kunsttherapie im ehemaligen Hühnerstall

Statt drei Achter-Gruppen soll es demnächst vier Secher-Gruppen geben. Alle Kinder sollen eigene Räume bekommen. Bisher gab es noch ein paar Doppelzimmer. Im letzten Jahr habe man bereits ein neues Gewaltschutzkonzept auf den Weg gebracht. Dazu gehört etwa die ebenfalls neu gestaltete Bewohnerselbstvertretung, die sich nun „Hero Club“ nennt und der als externe Kontaktperson eine pensionierte Förderschullehrerin zur Verfügung steht.

Der stillgelegte Bauernhof, der zum Grundstück gehört und vor fünf Jahren gekauft wurde, soll wieder genutzt werden. Noch mehr Tiere könnten einziehen. „Denn sie haben eine große Wirkung auf Kinder“, sagt Rahel Arntz (51), die selbst tiergestützte Therapie anbietet. Im ehemaligen Hühnerstall befindet sich schon ein Raum für Kunsttherapie. Die Heimleiterin hat schließlich Malerei studiert. Werke von ihr hängen im Haus.

Viele Paare finden sich im Johanna-Ruß-Haus

Rahel Arntz arbeitet bereits seit 27 Jahren im Johanna-Ruß-Haus. Lasse Arntz hat hier seinen Zivildienst geleistet, hat statt Mathe und Bio doch lieber Psychologie studiert. 2005 haben sie geheiratet. „Hier sind schon viele Paare unter den Gruppenleitern entstanden“, sagen sie. Auch aktuell gebe es solche Beziehungen. Es sei wunderbar, zusammen zu arbeiten, sind sich beide einig. Lasse Arntz: „Für Kinder, die Gewalt erfahren haben, ist es schön, Partner in einer liebevollen Beziehung zu erleben.“

Inzwischen hat das Paar selbst längst Nachwuchs. Ihre drei Kinder wachsen ganz normal zwischen den anderen im Haus auf. Alle zwei Wochen holt die Familie außerdem eine frühere Bewohnerin zu sich. Das Mädchen mit Down-Syndrom ist wie ihr viertes Kind.

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Natürlich haben die Arntz’ eine eigene Wohnung auf dem Gelände, in der sie zwar stets erreichbar sind, aber zumindest am Wochenende mal für sich sein können. „Privatleben und Arbeit haben schon immer ineinandergegriffen“, sagt Lasse Arntz, der lange stellvertretender Heimleiter war. „Das Haus ist der Lebensraum der Kinder. Wer hier arbeitet, verliert sein Herz daran“, ergänzt seine Frau.

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Der Waldorfgedanke spielt eine große Rolle im Heim. „Es ist eine warme, menschliche Pädagogik, in der die Kinder nicht nur mit ihren Defiziten gesehen werden, sondern als Persönlichkeit“, sagt Rahel Arntz. Offenbar gelingt es ihnen, den jungen Menschen das Gefühl zu vermitteln, nicht am Rand der Gesellschaft zu leben. Die Heimleiterin zitiert einen Jungen, der mal gesagt hat: „Ich bin stolz, im Johanna-Ruß-Haus aufgewachsen zu sein.“

Drei der 24 Kinder bleiben über die Weihnachtstage im Heim. Dann feiern sie mit einer Betreuerin, die vielleicht ihren Freund mitbringt. Fast wie eine kleine Familie eben.