Witten. Hühner im Unterricht? Wo gibt’s denn sowas? An der Gerichtsschule in Witten. Die Wohlfühlstunde für Tier und Mensch liefert nebenbei auch Infos.
Antoni sitzt ganz entspannt auf dem Boden. Die Beine ausgestreckt, darauf ein Handtuch mit getrockneten Würmern – und zwei Hühnern, die es sich sichtlich gut gehen lassen. „Das pikst ein bisschen, aber ich fühle mich total wohl“, sagt der Neunjährige über die etwas andere Unterrichtsstunde an diesem Vormittag in der Wittener Gerichtsschule.
Zu Gast ist Nic Koray (51) mit fünf Hühnern und einem Hahn. Die ehemalige Lehrerin der Blote-Vogel-Schule am Annener Berg ist nicht nur Autorin, Illustratorin und Musikerin. Sie hat im Januar 2019 den Begegnungshof „HerzBerg“ in Herdecke gegründet und bietet dort – und mobil – tiergestützte Förderung an. Freitags kommt Koray regelmäßig mit Hund in die Grundschule in der Innenstadt. Diesmal hat sie in einer großen Box ein paar Exemplare ihres Federviehs mitgebracht.
Wittener Grundschüler schaffen einen Raum für die Hühner
„Die Tiere sind seit der Kükenzeit in engem Kontakt mit Menschen“, erklärt Nic Koray. „Sie werden auf den Transport in der Box vorbereitet, kriegen darin ihre Leckerchen. Es ist für sie ein Wohlfühlort.“ Tatsächlich harren die Hühner und Hahn Jakob geduldig darin aus. Nur ein leises Gackern ist zu hören, während Nic Koray und die Kinder der 3a erstmal den Raum für den tierischen Besuch vorbereiten.
Die Fachkraft für tiergestützte Pädagogik hat eine Plane mitgebracht und Heu, das die Jungen und Mädchen darauf ausbreiten. Eine Vase mit Zweigen steht in der Mitte. Unter deren großen Blättern können die Hühner notfalls Schutz suchen, wenn es ihnen doch mal zu viel wird mit den sichtlich aufgeregten Kindern. Töpfe mit Lavendel und Bohnenkraut kommen dazu. „Das lieben die Hühner“, sagt Koray. Noch lieber mögen sie aber den grünen Salat und die Gurken – die jungen Gastgeber haben vorher ordentlich geschnippelt.
Im Kreis sitzen sie jetzt auf dem Boden, würden am liebsten sofort loslegen mit Füttern und Streicheln. Die Tiere sehen aber auch zu kuschelig aus. Es sind keine normalen Haushühner. Ein weißes Zwergseidenhuhn ist dabei. „Mützchen“ heißt es und hat beim Besuch zwei Tage zuvor in der 3b sogar ein Ei gelegt. Die anderen gehören zur Rasse der Zwerg-Cochin-Hühner: Dotti, Flipsi, Liu und Kleiner Adler. „Wie süß“, raunen die Kinder. Und plötzlich: „Das kackt.“ Alles ganz natürlich halt. Nic Koray wischt die Hinterlassenschaften aber umgehend weg.
Begegnung mit Respekt
Nur beobachten sollen die Kinder zunächst. Und möglichst ruhig sein, was manchmal schwerfällt. „Die Begegnung muss immer mit Respekt und Rücksichtnahme auf die Tiere stattfinden und sie endet, wo bei diesen Stress entsteht“, sagt Koray.
Spielerisch kitzelt sie aus den Kindern heraus, was sie schon über Hühner wissen – dass sie den Menschen Eier, Federn und ihr Fleisch schenken. „Sie opfern sich für uns“, formuliert es ein Kind ganz bedachtsam. Diese Sicht freut Nic Koray. Dennoch betont sie: „Es geht mir nicht um den erhobenen Zeigefinger, sondern darum, dass die Kinder Nutztiere aus einer anderen Perspektive kennenlernen.“
Grundschülerin Finja wünscht sich drei Hühner
Begegnungshof für Mensch und Tier
Der „HerzBerg“ ist ein zertifizierter Begegnungshof der Stiftung Bündnis Mensch und Tier mit mobilen Angeboten in verschiedenen Einrichtungen wie Kindergärten, Schulen, Seniorenheimen oder Wohngruppen sowie direkt vor Ort.„Alle Tiere haben ein Gesundheitszeugnis, sind geimpft und entwurmt“, sagt Nic Koray. Sie entwickelte das Konzept „Grüne Waldorfschule“ an der Blote-Vogel-Schule in Witten mit und erweiterte ihr Wissen zur tiergestützten Pädagogik mit einer berufsbegleitenden Fortbildung am Institut für soziales Lernen mit Tieren in Hannover. Weitere Infos: www.herzberg-herdecke.de.
„Sie macht das toll“, lobt Sonderpädagogin Dagmar Pösel, die das Projekt in die Gerichtsschule geholt hat – eben damit die Kinder lernen, den Tieren „Achtsamkeit und Wertschätzung“ entgegenzubringen. „Die meisten leben in der Stadt, viele kennen Bauernhoftiere gar nicht.“
Die zehnjährige Finja jedoch hatte ihr Herz schon vorher an Hühner verloren. „Ich bekomme vielleicht welche“, hofft die Gerichtsschülerin. Drei Stück hätte sie am liebsten. „Denn ich liebe Eier.“ Inzwischen macht sich auch Hahn Jakob bemerkbar: „Kikeriki“, tönt es durch den Klassenraum. Das finden alle cool. Und was will Jakob ihnen damit sagen? Nic Koray lächelt: „Dass er seine Damentruppe im Blick und alles unter Kontrolle hat.“