Witten. In Witten Rad zu fahren, ist nicht leicht, geschweige denn ungefährlich. Selbst in Begleitung des Fahrradbotschafters kommt es zu Zwischenfällen.
Mit der „Wutkreuzung“ hat die Stadt Witten einen ersten gefährlichen Brennpunkt für Fahrradfahrer etwas entschärft. Es gibt aber noch viele andere Stellen, die nur darauf warten, sicherer zu werden. Wir, die WAZ-Redaktion, testeten einige wichtige Routen in der City und rund um die Innenstadt – zusammen mit dem Fahrradbotschafter Andreas Müller. Das Fazit fällt teilweise ernüchternd aus. Die Stadtteile werden noch gesondert folgen.
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Wir starten an der Bahnhofstraße/Ecke Breite Straße, dort, wo der 320er hält. Es regnet, aber wir trotzen dem schlechten Wetter. Manchmal passt es ja auch zum Zustand der Fahrradwege. Womit wir gleich beim Thema wären. Der Radfahrstreifen – mit einer weißen durchgezogenen Linie – mündet direkt in die Busbucht. Anschließend hat der Fahrradfahrer die Wahl: Fährt er auf der Fahrbahn weiter oder wechselt er auf den Bürgersteig? Aus Müllers Sicht ein klarer Fall für eine „Weiche“.
Damit meint er jene roten Markierungen, die nun immer häufiger im Stadtgebiet auftauchen und Autofahrer auf die Existenz von Radfahrern hinweisen, wie jetzt an der unteren Ruhrstraße. Gibt es zusätzliche weiße Pfeiler, wie an dieser Stelle schon vorhanden, wissen Fahrradfahrer, wo sie herfahren können oder müssen.
In Richtung Gasstraße wird es für Fahrradfahrer in Witten unübersichtlich
Auf der Bergerstraße entscheiden wir uns für den Bürgersteig, da gerade keine Passanten in Sicht sind und die Straße vor dem Zebrastreifen bei der Lente-Tankstelle immer enger wird. Der Fahrradfahrer wird – kaum ersichtlich – an den Taxen vorbei zum ZOB geführt. Dort gibt’s eine der ersten roten Einfärbungen. Trotzdem wird der weitere Verlauf des Radfahrstreifens unübersichtlich. Hinterm ZOB, vor der Gasstraße, stellt sich die Frage: einfach geradeaus oder rechts auf den Geh- und Radweg?
Tatsächlich ist hier, auf dem schmalen Geradeausstück Richtung Saalbaukreisel, ein kleines Fahrradsymbol zu erkennen. „Wer soll das verstehen“, sagt Müller, der selbst an vielen Verkehrsplanungen in der Stadt beteiligt war, bevor er 2020 in den Ruhestand ging. „Rechtlich ist das zwar in Ordnung, praktisch aber Chaos.“ Auch an dieser Stelle schlägt der 71-Jährige eine rote „Weiche“ vor, um für Klarheit zu sorgen. Noch mal zur Orientierung: Wir stehen immer noch hinterm ZOB, Fahrtrichtung Saalbau/Gasstraße.
Gegenüber, dort, wo die Wohnungsgenossenschaft Witten-Mitte seit längerem baut und der Bürgersteig deshalb nicht genutzt werden kann, ist laut Müller Besserung ist. „Hier soll der Gehweg, den Fahrradfahrer mitbenutzten dürfen, einen Meter breiter werden, so dass es weniger Konflikte mit Fußgängern gibt.“
Weiter geht’s, über die kaputte Gasstraße Richtung untere Ruhrstraße. Links und rechts parken Autos, es gibt keinen Radfahrstreifen. Erst an der „Wutkreuzung“ erwarten uns die neuen roten Markierungen. Hier läuft alles relativ glatt, man fühlt sich gut geschützt, etwa auf der „Protected Bike Lane“.
Wir fahren auf der Straße weiter, passieren die Ruhrdeichkreuzung und biegen dahinter leicht rechts auf die Brücke nach Bommern ab. Auch hier kann es schnell zu Konflikten mit Fußgängern kommen. Deshalb plädiert Müller dafür, die breite Busspur auf der Straße zur Fahrradspur zu machen. Sie sei völlig überflüssig, da sich der Bus wenig später sowieso wieder in den Verkehr einfädeln muss.
Wir machen noch einen Schlenker zum Ruhrtalradweg Richtung Elbschetrasse/Wetter. Wichtiger Zubringer ist hier die Straße „Im Klive“, deren Schlaglöcher den Spaß am Radfahren deutlich dämpfen. „Im Klive und Ledderken fände ich als Fahrradstraßen wichtig“, sagt Müller. Tatsächlich ist der Ruhrtalradweg-Zubringer dafür auch offiziell im Gespräch. „Das hat aber erst Chancen, wenn die Straße komplett gemacht wird“, sagt der Fahrradbotschafter.
Wir rollen über den Bodenborn zurück in die City, bergab die Busspur zum Ruhrdeich. Hier ist das schon Wirklichkeit, was sich Müller auch in der entgegengesetzten Richtung wünscht: Radfahrer nutzen die Busspur. Früher, als sich die Radfahrer noch den Weg mit Fußgängern teilen mussten, habe es Unfälle gegeben, sagt der Botschafter vor dem „Wohnpark Ruhrhof“, dem großen Gebäude direkt vor der Brücke.
Weiter geht’s via Ruhrstraße zur Husemannstraße. Dort kommt es fast zum Eklat. Statt den für Radfahrer freigegebenen Bürgersteig zu nehmen, fährt der Fahrradbotschafter ebenfalls regelkonform auf der Straße. Die ist aber bekanntlich ziemlich eng, so dass die Autofahrer nicht ohne Weiteres überholen können. Das regt den Fahrer eines Kleinwagens so auf, dass er anfängt zu hupen. Vielradfahrer Müller bleibt gelassen. „Je kleiner das Auto, desto mehr wird gehupt.“ Tatsächlich schadet eine Portion Galgenhumor nicht, wenn man sich als Radfahrer durch den Verkehr in Witten kämpft.
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Kurz vor der Dortmunder Straße endet der Geh- und Radweg, etwa in Höhe des Rhienschen Bergs, und es stellt sich einmal mehr die bekannte Frage: Wie geht’s jetzt weiter? Ein klarer Fall für Andreas Müller: „Hier muss eine Weiche hin.“
Auch die Kreuzung Dortmunder Straße/Husemann-/Ardeystraße braucht rote Farbe
Es folgt die Kreuzung Dortmunder Straße/Husemannstraße/Ardeystraße, die für Radfahrer nicht so leicht zu durchschauen ist, zumal die Markierungen abgefahren sind. „Im Prinzip funktioniert es genauso wie an der Pferdebachstraße“, sagt Müller. Gemeint ist die neue Kreuzung an der Ardeystraße, die zunächst als „Wirrwarr-Kreuzung“ für Schlagzeilen sorgte, seit der Rotmarkierung aber keine Probleme mehr bereitet. Also liebe Stadt: Färbt die Gabelungen auch vor der Esso-Tankstelle ein, dann sehen alle Seiten klarer.
Ardeystraße und Dortmunder Straße, Herdecker Straße, Haupt- und Ruhrstraße, Breite und Herbeder Straße stehen – um nur einige wenige zu nennen – symbolisch für das vielleicht größte Wittener Problem bei der Verkehrswende. „Was zählt, sind durchgehende Verbindungen“, sagt Müller. Und genau daran hapert es. Es gibt zwar eine Vielzahl von Radfahrstreifen in Witten. Sie werden aber viel zu oft unterbrochen oder enden abrupt im Nichts beziehungsweise auf der vielbefahrenen Straße, so dass der Radfahrer auf dem Schlauch steht, sprich gefährdet wird.
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Die durchgehende Markierung der Ardeystraße von der Rüdinghauser Straße bis zur Breite Straße ist eines der großen Projekte, die sich der Fahrradbotschafter in den nächsten zwei Jahren wünscht, ebenso wie eine bessere Regelung für Linksabbieger von der Husemann- in die Ruhrstraße und einen durchgehenden Radweg nach Bommern. Auch eine Markierung der Seestraße steht auf der Wunschliste, der Wannen ebenso. Und und und.
„Es wäre gut“, sagt Müller, „wenn es für all diese Projekte eine zeitliche Pipeline gäbe. Ich kenne aber keine.“ Auch hier beweist der gebürtige Dresdner Galgenhumor: Bis alle 400 Maßnahmen aus dem Radverkehrskonzept umgesetzt seien, dauere es 140 Jahre. 14 Millionen Euro werden benötigt, 100.000 vielleicht jedes Jahr ausgegeben. „Kleinere Maßnahmen würden aber nur 700.000 Euro kosten“, sagt Müller, „Bordsteinabsenkungen, Schilder, Markierungen.“ Auf die hofft er in den kommenden Jahren.
Wittener Fahrradbotschafter: Leere Kassen lähmen die Verkehrswende
Mittlerweile hat es angefangen, stärker zu regnen. Irgendwie schaffen wir es, über den immer wieder unterbrochenen Geh- und Radweg auf der Dortmunder Straße zum „Backhaus“ zu gelangen. „Bis auf die Wutkreuzung hat die Stadt bisher eher Krümel hingekriegt“, sagt Müller, bevor wir uns ein Stück Kuchen gönnen. Aber wer steht auf der Bremse?
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Die leeren Kassen sind für den Grünen der Hauptgrund, warum der Fortschritt bei der Verkehrswende derzeit eher noch wie eine Schnecke daherkommt. Vom Spaß am Radfahren hält ihn das freilich nicht ab. Es gibt ja auch genug schöne Freizeittrassen in Witten und Umgebung. Nur im Alltag bleibt das Radfahren auf den heimischen Straßen vorerst ein Abenteuer.
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