Witten. Ihre Gottesdienste sind voll, Tausende machen bei den Chorprojekten mit: Wie gelingt der Creativen Kirche Witten seit 30 Jahren der Erfolg?

Der große Saal der Popakademie ist voll bestuhlt an diesem Vormittag. Doch die Plätze reichen nicht. Während die Band schon das dritte Lied spielt, werden immer noch neue Stühle hereingetragen. Das Haus ist voll, wenn die Creative Kirche zum Sonntags-Gottesdienst ruft. Wie macht sie das nur?

„Diese Atmosphäre hier, die ist einfach so lebendig“, erklärt Marianne Wissel, eine der älteren Besucher an diesem Sonntag. Die 75-Jährige gehört eigentlich zur evangelischen Gemeinde Heven, aber zum Gottesdienst dort geht sie nicht mehr hin. „Denn da gibt es nichts, in dem ich mich wiederfinde.“ Stattdessen fährt die Hevenerin lieber zur Popakademie in die Innenstadt.

Wittenerin lobt: „Eine Kraftquelle für die neue Woche“

„Das, was hier rübergebracht wird, das kann ich in meinem Leben gebrauchen“, sagt sie, lobt die Musik und die Predigt von Torben Schmidt (28), der neuerdings den Gottesdienst leitet. Eine klassische Liturgie und Orgelspiel vermisst die 75-Jährige nicht. „Warum auch?“ Kirche müsse sich nach den Bedürfnissen der Menschen richten. „Und was hier vermittelt wird, ist für mich eine Kraftquelle für die neue Woche.“

So wird gefeiert

So wird das 30. Geburtstag der Creativen Kirche gefeiert: Am Samstag (4.11.) läuft von 10 bis 18 Uhr der Celebration Chortag im Saalbau. Spontane Anmeldungen vor Ort sind noch möglich. Vier internationale Teacher formen mit den Sängerinnen und Sängern einen Chor für einen Tag und studieren mit ihnen neue Arrangements und unvergessene Hits ein. Am Abend folgt dann das Celebration Concert mit dem Tages-Chor. Los geht es um 19.30 Uhr. Tickets Chortag 39 Euro, nur Konzert 20 Euro (erm. 15 €).

Den Blick auf die Zukunft der Kirche richtet dann die Spezial-Ausgabe des Himmelwärts-Gottesdienstes am Sonntag (5.11.) Die Veranstaltung im Saalbau beginnt um 18 Uhr. Moderator Matthias Kleiböhmer begrüßt als besonderen Gast Professorin Sandra Bils. Ihr Spezialgebiet sind neue Formen von Kirche, ihr Thema lautet „Auf zu neuen Ufern.“ Die Veranstaltung ist kostenfrei.

Die Worte von Marianne Wissel dürften für Martin Bartelworth und Ralf Rathmann ein großes Geschenk sein. Vor 30 Jahren haben die beiden Diakone die Creative Kirche gegründet, an diesem Wochenende (4./5.11.) wird Jubiläum gefeiert. Mit einem Chorprojekt im Kirchenkreis hatte 1993 alles begonnen, inzwischen ist die Creative Kirche eine Stiftung mit über 40 hauptamtlichen Mitarbeitern, die mit ihren Aktionen Millionen von Menschen in Deutschland erreicht hat.

Wittener wollten den Glauben ins Leben holen

„Wir durften unseren Traum und Vorstellung von Kirche leben“, sagen die beiden Gründer, die die Stiftung bis heute leiten. Eine einladende, begeisternde Kirche hätten sie schaffen wollen. Eine freudige Kirche, die in ihren Themen und Sprache so gestaltet ist, dass man seine Nachbarn dazu einladen kann – egal, ob der evangelisch ist, katholisch oder Atheist. Mit Pop- und Gospelmusik als Brücke zu Gott und den Menschen. „Wir wollten den Glauben ins Leben holen“, sagt Rathmann.

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Er ist dankbar, dass sie dafür von Anfang an Unterstützung von Kirchenkreis und Landeskirche bekommen haben. Schon Ernst Voswinkel, der damalige Superintendent habe sie ermutigt, profilierte Gottesdienste für spezielle Gruppen anzubieten. Nicht gegen die anderen Gemeinden, sondern mit und zusätzlich zu ihnen. „Wir haben in der Kirche zu viel vom Gleichen“, sagt Martin Bartelworth. Das habe damals gegolten, das gelte auch heute noch.

Viele Formate für unterschiedliche Gruppen

Statt immer den gleichen Gottesdienst mit den immer gleichen Liedern zigmal in der Stadt anzubieten, solle die Kirche lieber versuchen, mit verschiedenen Formaten unterschiedliche Gruppen zu erreichen. Die Zahlen der Kirchenaustritte zeigten: Wie bislang allein aus der Tradition fortzubestehen, das funktioniere nicht mehr. „Kirche muss daher ihre Strukturen ändern. Mutiger werden, diverser und breiter aufgestellt“, so der 58-Jährige. „Kurz: Sie muss neue Wege gehen.“

Ralf Rathmann (links) und Martin Bartelworth haben die Creative Kirche gegründet und leiten sie bis heute. Mit einem Chorprojekt in Hattingen hatte damals alles angefangen.
Ralf Rathmann (links) und Martin Bartelworth haben die Creative Kirche gegründet und leiten sie bis heute. Mit einem Chorprojekt in Hattingen hatte damals alles angefangen. © FUNKE Foto Services | Michael Korte

Der Creativen Kirche schien das gelungen zu sein. Die Chorprojekte und Gottesdienste wurden immer größer. Tausende machen bei den Musicals mit. 2012 wurde die Gemeinde gegründet, 2016 schließlich die Popakademie, die sowohl ein Institut für Weiterbildung als auch eine Hochschule für Kirchenmusik ist. Eine Erfolgsgeschichte.

Große Sorgen in den Corona-Jahren

Doch kurz nach ihrem größten medialen Triumph, der Übertragung des Pop-Oratoriums „Luther“ im ZDF, bei dem 1,7 Millionen Zuschauer einschalteten, kam das vorläufige Aus. „Wir hatten ja quasi zweieinhalb Jahre Arbeitsverbot“, sagt Ralf Rathmann mit Blick auf die Corona-Jahre. Von 100 auf Null. Singen – und das auch noch in Großveranstaltungen – war tabu. „Damals haben wir uns wirklich die Frage gestellt: Wird es je wieder möglich sein?“

Das Pop-Oratorium „Luther“, hier eine Szene aus der Uraufführung in der Dortmunder Westfalenhalle, war der größte mediale Erfolg der Creativen Kirche.
Das Pop-Oratorium „Luther“, hier eine Szene aus der Uraufführung in der Dortmunder Westfalenhalle, war der größte mediale Erfolg der Creativen Kirche. © dpa Picture-Alliance / Monika Skolimowska

Die Stiftung hat diese größte Krise seit ihrer Gründung überstanden. Mehr noch: Sie hat Kraft daraus gezogen. „Wir hatten ja plötzlich Zeit, neue Ideen zu entwickeln“, sagt Bartelworth. Zwei Formate seien in der Folge entstanden, die bis heute erfolgreich laufen: das Weihnachts-Stadionsingen in Bochum und Essen sowie die Online-Gottesdienste, die weiterhin in der Popakademie in der Ruhrstraße produziert werden. Fünf- bis zehntausend Menschen pro Monat schalten dazu ein. Es sei eine neue Community entstanden, die sich inzwischen auch schon im wirklichen Leben getroffen habe.

Bartelworth: „Kirche wird Leuchtturm mit Strahlkraft bleiben“

Angesichts dieser Zahlen sind die beiden Geschäftsführer sicher, dass die christliche Kirche noch lange nicht am Ende ist. „Die Menschen haben Sehnsucht danach“, sagt Bartelworth überzeugt. Kleiner werde sie sicher werden, aber weiterhin relevant sein. „Ein gesellschaftlicher Leuchtturm mit Strahlkraft.“ Auch um den Fortbestand der Creativen Kirche ist den beiden Gründern nicht bange. Sorgen bereitet allenfalls die Finanzierung. „Eine Herausforderung“, für die künftig neue Einnahmequellen gefunden werden müssten.

Die Creative Kirche setzt auf junge Leute wie den neuen theologischen Referenten Torben Schmidt (28), der seit dem Weggang von Pfarrer Daniel Hobe die Gottesdienste in der Popakademie leitet.
Die Creative Kirche setzt auf junge Leute wie den neuen theologischen Referenten Torben Schmidt (28), der seit dem Weggang von Pfarrer Daniel Hobe die Gottesdienste in der Popakademie leitet. © FUNKE Foto Services | Uwe Möller

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Die beiden Gründer selbst wollen allerdings künftig der nächsten Generation mehr Raum geben. „Wir haben da keine Bedenken – wir haben tolle junge Leute“, versichern beide. Sie werden daher bald einen Schritt zurücktreten, auch wenn Bartelworth versichert: „Ideen hätten wir noch für weitere 30 Jahre.“