Witten. Radiogeschichte(n): 40 Jahre lang hat ein ganz besonderer Sender die Wittener erfreut. Bei ihm gehörte der Babysitter-Boogie zu den Top-Titeln.

Vor 100 Jahren, am 29. Oktober 1923, begann in Berlin die deutsche Rundfunkgeschichte. Fried­rich Georg Knöpfke sprach die berühmten Worte „Achtung, Achtung! Hier ist die Sendestelle Berlin im Vox Haus.“ Ein Jahr danach begann die Radio-Ära in NRW. Und noch einmal 52 Jahre später nahm dann im Evangelischen. Krankenhaus in Witten ein ganz spezieller Sender seine Ar­beit auf. „Hier meldet sich der Krankenhausfunk Witten mit der Sendung ‚Sie wünschen – wir spielen‘“. So erklang es erstmals am 6. November 1976 in den Patientenzimmern und Aufent­haltsräumen des neuen „Diakonissenhauses“.

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Der damalige Krankenhausseelsorger und „Intendant“ Dieter Pfarre erinnert sich. „Das erste Lied, das wir im Wunschkonzert für einen Patienten spielten, war ‚Ein Festival der Liebe‘ von Jürgen Marcus. Es folgten manchmal bis zu 280 Wünsche pro Monat, die wir für Patienten und Mitarbeiter auflegten. Wir gaben Grüße und kleine Aufmerksamkeiten weiter und in Interviews ließen wir die Patienten selbst erzählen.“

Patientenrufanlage brach bereits am ersten Tag zusammen

Über die zentrale Patientenrufanlage konnten die Zuhörerinnen und Zuhörer Wünsche ins Tonstudio übermitteln. Die Anlage brach jedoch wegen Überlastung schon am ersten Tag zusammen. Deshalb wurde das System optimiert. Patienten, aber auch Menschen von außen aus der Stadt konnten dann direkt im Studio anrufen – und ihre Wünsche wurden immer sofort berücksichtigt. Klar, dass dann der „Babysitter-Boogie“ von Ralf Bendix oder „Happy Birthday“ von Stevie Wonder die meist gewünschten Titel waren.

Mit Gipsarm und Gipsbein dabei: Im Sommer wurde bei warmem Wetter auch schon mal der Balkon vor dem Studio für Interviews mit den Patienten genutzt.
Mit Gipsarm und Gipsbein dabei: Im Sommer wurde bei warmem Wetter auch schon mal der Balkon vor dem Studio für Interviews mit den Patienten genutzt. © Ulli Sassenberg

„Genau dieser direkte Draht zu den Hörern, die im Rollstuhl oder mit Gehhilfen neugierig ins Tonstudio kamen, wurde von den Radioprofis immer gelobt, etwa von den WDR-Journalistinnen Gabriella Wollenhaupt, Sabine Brandi oder Claudia Wietfeld, die uns als Studiogäste besuchten“, erzählt Peter Dziadek, der damalige ehrenamtliche „Chefsprecher“. „Und wir waren mächtig stolz, der ein­zige Krankenhaussender im EN-Kreis zu sein“, erinnert sich der Herdecker.

Talentschmiede für die Mitarbeiter des Krankenhausfunks

Der Krankenhausfunk war auch ein Talentschuppen. Schüler und Studenten konnten sich hier ausprobieren. Lothar Ackva etwa wurde später Mo­derator beim SWR in Mainz, Walter Schumann nebenberuflich Discjockey im Ruhrgebiet. Die Mitarbeiter Cars­ten Aufermann und Johannes Hülshoff machten später Mu­sik bei den „Free Bears“ und bei „Tony Chicken“. Andere wechsel­ten in den Journalismus, Christian Lukas oder Marek Schirmer zum Beispiel. Schließlich soll nicht unerwähnt bleiben: An Mischpult und Mikro verliebten sich sogar drei spätere Pärchen, die irgendwann hei­raten und eine Familie grün­den sollten.

„Ein Bürgermeister muss auch mal im Bürgerfunk zu hören sein“, sagte Stadtoberhaupt Klaus Lohmann (li.) im Interview mit Dieter Pfarre, als er unangemeldet am 26. Oktober 2001 bei der Silberjubiläums-Sendung auftauchte.
„Ein Bürgermeister muss auch mal im Bürgerfunk zu hören sein“, sagte Stadtoberhaupt Klaus Lohmann (li.) im Interview mit Dieter Pfarre, als er unangemeldet am 26. Oktober 2001 bei der Silberjubiläums-Sendung auftauchte. © Barbara Zabka

Ab 1989 nahm der Zuspruch am Klinikradio langsam ab. Schuld daran waren die privaten Fern­sehsender, die nun per Bildschirm in die Patientenzimmer flimmerten. Den­noch wur­den bis 1996 regelmäßig mittwochs die Wunschkonzerte im EvK über die Sendeschleife aus­ge­strahlt. Danach nur noch bei Bedarf – bis 1999 die hausinternen Sendungen ganz einge­stellt wurden.

Sendungen für Bürgerfunk im Studio vorproduziert

1992 war bereits der Wechsel von „drinnen“ nach „drau­ßen“ erfolgt. Im Krankenhaus-Tonstudio wurden seitdem Sendungen für den Bürgerfunk vor­produziert, die dann über die Frequenzen des Lokalsenders Radio Ennepe-Ruhr im Verbrei­tungsgebiet ausgestrahlt wurden.

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Nach 39 Jahren und drei Monaten endete schließlich Anfang 2016 auch diese Ära. Die Räumlichkeiten im zweiten Stock der Klinik wurden entkernt und umgebaut. Am 27. Januar wurde der letzte Bürgerfunk-Beitrag aus dem EvK Wit­ten gesendet. Studiogast war die damalige Krankenhausseelsorgerin Birgit Stein­hauer, die über die Palliativ-Station der Klinik berichtete. Sie sagte: „Es ist mir eine große Ehre, bei der letzten Sendung dabei sein zu dürfen. Ich danke euch für euer jahrzehntelanges Engagement!“ Das letzte Lied aus dem Ruhrstadtstudio war schließlich ein weltbekannter Ol­die der Band America: „A horse with no name“.

Weitere Infos unter https://schirmer.info