Witten. Als freier Mann hat ein Wittener das Amtsgericht verlassen. Angeklagt war er wegen Vergewaltigung. Die es „objektiv“ auch gegeben haben soll.

Wenn ein Mensch, meist ein Mann, wegen Vergewaltigung vor Gericht landet, steht meist Aussage gegen Aussage. So war es auch in dem Fall, der jetzt vor dem Amtsgericht in Witten verhandelt wurde. Am Ende gab es einen Freispruch für den 25-jährigen Angeklagten – obwohl er „objektiv“ nach Überzeugung des Gerichts eine Frau (damals 18) vergewaltigt hatte. „Wir können ihm aber subjektiv nicht nachweisen, gegen ihren Willen verstoßen zu haben“, sagte Richterin Barbara Monstadt.

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Sie waren an jenem Abend Anfang Oktober zu dritt gewesen, in der Wohnung einer Freundin, hatten etwas getrunken, Musik gehört, „ein bisschen Party gemacht“, wie es am Mittwoch vor Gericht hieß. Auf gemeinsamen Sex deutete offenbar noch nichts hin. Dazu kam es später, als die Freundin schlafen ging und der heute 19-Jährigen und dem Mann ihr Bett überließ.

„Wir haben gekuschelt und uns geküsst. Das fand ich noch okay“, erinnerte sich das mutmaßlichen Opfer an jene Nacht. „Dann hat er mich ausgezogen.“ Auch damit sei sie noch einverstanden gewesen – und anfangs auch damit, dass sie miteinander schliefen.

Amtsgerichtsdirektorin Barbara Monstadt leitete die Verhandlung und begründete am Ende den Freispruch für den 25-jährigen Angeklagten.
Amtsgerichtsdirektorin Barbara Monstadt leitete die Verhandlung und begründete am Ende den Freispruch für den 25-jährigen Angeklagten. © FUNKE Foto Services/Archiv | Jürgen Theobald (theo)

„Nach einer Zeit wollte ich aber nicht mehr und sagte, er solle aufhören“, sagte die junge Frau im Zeugenstand. Der Angeklagte habe trotzdem weitergemacht, bis zum Schluss. Für seine angebliche Äußerung, dass „Mann“ – einmal erregt – nicht mehr aufhören könne, soll sie sogar ein gewisses Verständnis geäußert haben.

Angeklagter: „Es war schön, alles war einvernehmlich“

Später, als alles vorbei war, ist sie weinend zur Freundin nebenan gelaufen, die den 25-Jährigen kurz zur Rede stellte. Die 18-Jährige kehrte daraufhin wieder ins Bett zurück, zumindest für kurze Zeit, und ließ sich sogar noch von dem Beschuldigten umarmen. Am anderen Morgen wurde auch noch gemeinsam gefrühstückt. „Es war schön, alles war einvernehmlich“, erklärte der Angeklagte. Er will kein „Nein oder irgendwas“ gehört haben. Er bestritt auch, gesagt zu haben, dass Männer nicht aufhören könnten.

Das Schöffengericht sah sich am Ende mit zwei „sehr ernsthaften“ Aussagen konfrontiert. Zwischen beiden sei es „sehr weit einvernehmlich gewesen“, stellte Richterin Monstadt fest. „Es klang nicht so, als hätten Sie sich das ausgedacht“, bescheinigte sie dem Angeklagten. Und doch habe der Wille der jungen Frau irgendwann dem zunächst von beiden gewollten Sex entgegengestanden. „Wir haben lang hin und her diskutiert, ob Sie das hätten wahrnehmen müssen. Im Zweifelsfall bleibt die Annahme, dass Sie es nicht erkennen konnten“, begründete Monstadt den Freispruch für den 25-Jährigen.

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Hatte sich die damals 18-Jährige vielleicht an einen frühkindlichen Missbrauch erinnert gefühlt? Aber ihren Unwillen wie damals nicht laut herauszuschreien gewagt? Weder das Gericht noch die Anwältin des Angeklagten schienen dies auszuschließen, nachdem die junge Frau selbst zu Protokoll gegeben hatte, dass das Ereignis in der Wohnung ihrer Freundin einen „Trigger“ bei ihr ausgelöst habe.

Seine Verteidigerin sprach von einer traumatischen Belastung. „Möglicherweise ist es in ihrer Fantasie, in ihrer Vorstellung anders gelaufen als das tatsächlich Geschehene.“ Aufgrund der alten Bilder im Kopf habe sie vielleicht ein „stilles Nein ausgesprochen, das der Angeklagte nicht hören konnte“.

Wittener Richterin: „Junge Frau hat Furchtbares erfahren“

Richterin Barbara Monstadt sprach in ihrer Urteilsbegründung von einer „ganz armen jungen Frau, die Furchtbares erfahren hat“. Die Rückkehr zu dem Mann ins Bett, morgens gemeinsam am Frühstückstisch – das sei für diese vielleicht „wie früher nach dem Missbrauch mit dem Täter“ gewesen. So könne sie sich auch nur das Verständnis der jungen Frau dafür erklären, dass es ein Mann bis zum Ende tun müsse. Die Amtsgerichtsdirektorin: „So eine Aussage erwartet man nicht von einem Vergewaltigungsopfer.“

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Als die 19-Jährige vor vielen Jahren vom eigenen Vater missbraucht wurde, was auch den jetzt Angeklagten offenbar sichtlich erschütterte, war sie noch ein kleines Kind. Heute hat sie als Auszubildende erste Schritte in ein selbst bestimmtes Leben gemacht.