Witten. Das Amtsgericht Witten hat einen Mann von dem Vorwurf freigesprochen, seine Mutter vergewaltigt zu haben. Zum Schluss sagte die Schwester aus.

Manchmal enden selbst die übelsten Gerichtsprozesse mit einem Happyend – in diesem Falle aus Sicht des Angeklagten und der meisten Prozessbeteiligten.

Ein 29-Jähriger, den seine Mutter (53) beschuldigt hatte, sie vergewaltigt zu haben, wurde nicht nur von diesem schweren Vorwurf freigesprochen. Das Wittener Amtsgericht gibt ihm auch die Chance, in ein normales Leben zurückzukehren, nach vielen kleineren Straftaten, nach einer Kindheit voller Härte mit einer oft alkoholisierten Mutter, die für das Gericht nicht glaubhaft wirkte. Die Schwester, die zugunsten ihres Bruders aussagte, schloss den Angeklagten am Ende glücklich in ihre Arme. Hatte sie sich im Zeugenstand doch all das von der Seele geredet, was sich über viele Jahre angestaut hatte.

Wittener Amtsrichterin: „Man sieht Ihnen an, dass Sie ungleiche Startchancen hatten“

„Man sieht Ihnen an, dass Sie ungleiche Startchancen hatten“, sagte Amtsgerichtsdirektorin Barbara Monstadt nach Anhörung der Schwester. Hier eine gepflegt aussehende, hübsche junge Frau, die ihr Leben im Griff zu haben scheint, dort der sieben Jahre ältere Bruder, der gerade noch sitzt, weil er für das Gericht unauffindbar gewesen war, der immer wieder in Schwierigkeiten gerät, der keine feste Bleibe hat, schwarzfährt, klaut und dem man ansieht, dass er auf der Schattenseite des Lebens steht.

Wie zuvor schon ein Nachbar, mit dem die Mutter am vermeintlichen Tattag im Februar 2021 getrunken hatte, bevor ihr Sohn sie auf dem Sofa in ihrer Wohnung vergewaltigt haben soll, weckte auch die Tochter große Zweifel an der Glaubwürdigkeit der eigenen Mutter. Wenn Alkohol floss, habe sie sich früher schon entblößt und mit anderen Männern herumgemacht. Anders als von der Mutter behauptet, habe sich ihr Bruder niemals ihr, der Schwester, sexuell genähert. „Er hat die Grenze nie übertreten“, sagte sie. Vor Gericht hatte er den Vorwurf der Mutter zurückgewiesen, sich an ihr vergangen zu haben.

Bruder wurde geschlagen und im Heim missbraucht

Während die Schwester bei Vater und Oma aufwuchs, war der Bruder offenbar ganz den Launen der Mutter ausgesetzt. Laut Schwester wurde er geschlagen, wenn er seine Hausaufgaben nicht machte, und hörte Sätze wie „Ich hasse dich“. Er war auch im Heim, wo er nach eigenen Worten missbraucht wurde.

Was die Mutter schließlich veranlasst hat, ihren Sohn so schwer zu beschuldigen, blieb offen. Jedenfalls brach ihre Version von einer angeblichen Vergewaltigung am Ende wie ein Kartenhaus zusammen. Der Staatsanwalt schloss nicht aus, dass sie sich noch einem Verfahren wegen Falschaussage stellen muss.

Das Gericht verurteilte ihren Sohn dennoch zu zwei Monaten auf Bewährung, ausgesetzt auf drei Jahre – wegen des Besitzes von 0,4 Gramm Marihuana. Damit eröffnete es ihm die Chance, einen Bewährungshelfer zu bekommen und betreut zu werden. „Sie haben jetzt wohlwollende Aufpasser um sich herum“, sagte Richterin Monstadt.

Sohn darf keinen Kontakt mehr zur Mutter haben

Klare Worte fand sie für die Mutter, die den Prozess verfolgt hatte, den Kopf stets vornübergebeugt. „Sie können uns nicht in die Augen sehen“, sagte die Richterin. Es sei schwerwiegend, der Polizei eine Vergewaltigung zu schildern, die nicht stattgefunden habe. Und: Die unterschiedliche Entwicklung des Angeklagten und seiner Schwester gehe auf ihre Kappe. Dem fast 30-jährigen Mann gab sie mit auf den Weg: „So eine Kindheit soll niemand haben. Jetzt sind Sie aber erwachsen und müssen für sich selbst Verantwortung übernehmen.“ Er darf keinen Kontakt mehr zu seiner Mutter haben.

podcast-image