Witten. Der kleine Wittener hat eine seltene Muskelerkrankung. Nur ein Mittel aus den USA könnte ihn retten. Sein Traum wird sich dennoch nicht erfüllen.
Der neunjährige Mats aus Witten ist todkrank. Nun klammert sich seine Mutter an den letzten Strohhalm, der ihrem Sohn ein längeres Leben bescheren könnte: ein Medikament, das bisher allerdings nur in den USA zugelassen ist. Mit anderen betroffenen Eltern hat Marie Labus deshalb eine Online-Petition gestartet, um den Prozess auch für Europa zu beschleunigen.
Mats ist ein fröhlicher Junge mit kurzen, blonden Haaren. Seine Leidenschaft sind Borussia Dortmund und Modellautos, von denen er zu Hause jede Menge in einer Spielzeugkiste hortet. Er besucht die zweite Klasse der Pferdebachschule und mag das Fach Deutsch am liebsten. Doch er leidet an einer seltenen Erbkrankheit, der sogenannten Duchenne-Muskeldystrophie, kurz DMD.
Die Diagnose: Ein Schock für die Wittener Familie
Der Gendefekt bewirkt, dass Muskelmasse des Kindes nach und nach durch Fett- und Bindegewebe ersetzt wird. Betroffen sind fast ausschließlich Jungen. Sie verlieren ihre Gehfähigkeit, die Muskelschwäche schlägt auf Herz und Lunge, derzeit werden Patienten im Mittel 28 Jahre alt.
„Mats war elf Monate, als ich feststellte, dass er nicht richtig zunahm und kleiner war, als es seinem Alter entsprach“, erinnert sich seine Mutter (39). In der Klinik wurde festgestellt, dass der Kreatinkinase-Wert erhöht ist. Ein Signal für viele körperliche Probleme. „Es hat lange gedauert, bis das Erbgut analysiert worden ist. Aber nach einem Jahr stand fest: Er hat DMD.“ Ein Schock für die Familie.
Mutter: Man muss immer für alles kämpfen
Typisch für diese Krankheit sind Entwicklungsverzögerungen. Mats bekommt Kortison, das den Muskelabbau verlangsamen soll. Er geht einmal in der Woche zur Physiotherapie. Mit drei Jahren wurde eine Fuß-Fehlstellung durch eine Operation korrigiert. Dann erst lernte er richtig laufen. Inzwischen schafft der Junge nicht mehr alle Wege allein. Deshalb hat der Zweitklässler zur Einschulung im vergangenen Jahr einen Rollstuhl bekommen.
„Was haben wir bei der Krankenkasse dafür gekämpft“, sagt Marie Labus. „Man muss immer für alles kämpfen. Auch für die Sachen, die in einer inklusiven Welt eigentlich selbstverständlich sein sollten.“ Eine barrierefreie Wohnung hat die fünfköpfige Familie – Mats hat zwei Schwestern – ebenfalls noch nicht gefunden. „Wir suchen seit anderthalb Jahren“, sagt die Mutter. „Bisher schleppe ich Mats immer die Treppe hoch.“ Die Familie lebt derzeit zwischen Annen und Rüdinghausen.
DMD-Facebookgruppe: Kontakt zu Betroffenen hilft
Marie Labus versucht, im Alltag den Gedanken an die geringe Lebenserwartung ihres Kindes zu verdrängen. Mats selbst weiß nur, dass er schwache Muskeln hat und Medikamente nehmen muss, damit er stark bleibt. Ihn frustriert, dass er im Sportunterricht nicht mithalten und seinen Ranzen nicht allein tragen kann. Eine Integrationskraft unterstützt ihn in der Schule, wo es geht.
Um an diesem Schicksal nicht zu verzweifeln, hilft Marie Labus der Kontakt zu anderen Betroffenen. Sie tauscht sich in einer Facebookgruppe mit 1500 Menschen über DMD aus. Inzwischen sind aus einigen Online-Kontakten echte Begegnungen im Raum Dortmund, Bochum und Witten geworden.
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Darüber hat sie auch von einer Gen-Therapie gegen DMD erfahren. Diese Behandlung könne den Defekt im Erbgut ganz oder teilweise reparieren. Das Mittel wurde in den USA entwickelt und dort im Juni 2023 per Schnellverfahren zugelassen. „Es kann DMD nicht heilen, aber es besteht die Hoffnung, dass der aktuelle Zustand erhalten bleibt und der Muskelabbau gestoppt wird“, sagt Marie Labus. Allerdings könnten bisher nur Jungen im Alter von vier und fünf Jahren behandelt werden. Auch dürfe die Krankheit noch nicht so weit fortgeschritten sein, dass das Kind nicht mehr laufen kann.
Um diesen Personenkreis auszuweiten, müsste die derzeit mit 126 Kindern weltweit laufende Klinische Studie zur Wirksamkeit des Medikaments abgeschlossen sein. Die Prüfung könne bis zu fünf Jahre dauern, so Marie Labus. Deshalb versuchen sie und ihre Mitstreiter bei Facebook, jetzt auch in Europa eine beschleunigte Zulassung zu erreichen. Darüber entscheidet die Europäische Arzneimittel-Agentur EMA.
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An sie richtet sich die Online-Petition, die seit 24. Juni im Netz zu finden ist. Knapp 23.000 Menschen haben sich schon daran beteiligt. 50.000 müssen es sein. „Deshalb haben wir das noch mal um drei Monate verlängert“, sagt die Wittenerin. Doch für die erkrankten Kinder zähle jede Stunde, jeder Tag.
Schritt für Schritt wird Marie Labus ihren Sohn über seine Krankheit informieren. Noch setzt sie alle Hoffnungen auf das Medikament und darauf, dass sich damit der Zustand ihres Kindes zumindest nicht verschlechtern würde. Der größte Traum des Jungen wird dennoch nicht in Erfüllung gehen: Er will Polizist werden. „Ich hab ihm noch nicht gesagt, dass das nicht klappen wird.“
Die Petition ist zu finden unter: https://www.openpetition.eu/petition/online/hilfe-fuer-erkrankte-kinderbeschleunigte-zulassung-von-srp-9001mit-muskelerkankung-dmd