Witten. Bevor die Edelstahlwerke in Witten in die Sommerpause gehen, sind entscheidende Weichen gestellt worden. Kam der neue Sanierungsvertrag durch?
Bis in den Donnerstag hinein sind bei der IG Metall Stimmen ausgezählt worden. An allen vier beziehungsweise fünf Standorten wurde am Mittwoch bei den Deutschen Edelstahlwerken (DEW) in NRW über den neuen Sanierungstarifvertrag abgestimmt. Vorher hatten die Beschäftigten erfahren, warum sie ihre Finger abermals für einen schmerzhaften Lohnverzicht heben sollten. Am Ende taten es 77 Prozent.
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Keine Sonderzahlung von 110 Prozent in diesem Jahr, 2024 nur 45 Prozent – kein Wunder, dass die meisten Stahlkocher, die an den Mitgliederversammlungen teilnahmen, nicht gerade in Urlaubsstimmung waren – obwohl die Betriebsferien unmittelbar bevorstehen. Schon in den letzten Jahren hatten sie Einbußen etwa beim Urlaubs- und Weihnachtsgeld hinnehmen müssen, ohne dass sich nennenswert etwas zum Besseren zu ändern schien. Es ging nur eben weiter bei der DEW.
Beschäftigte beteiligen sich mit 37 Millionen Euro
Ob diesmal die von der IG Metall und dem Gesamtbetriebsrat geforderten strukturellen Veränderungen folgen? Da scheinen die ein oder anderen Zweifel zu hegen. Groß ist die Sorge, dass sie nun 37 Millionen Euro zur Sanierung beitragen und nach anderthalb Jahren die nächste Sparrunde folgt – oder gar Schlimmeres.
„Ein guter Kompromiss“
Heiko Reese hatte mit keinem besseren Abstimmungsergebnis über den neuen Sanierungsvertrag gerechnet. Der Leiter des Stahlbüros im Bundesvorstand der IG Metall und stellvertretende DEW-Aufsichtsratsvorsitzende erinnert daran, dass die Mitarbeiter „auf das ein oder andere verzichten müssen“. 77 Prozent der organisierten Beschäftigten stimmten für die erneute Tarifabweichung.
„Das Ergebnis drückt aus, dass wir einen guten Punkt in den Verhandlungen getroffen haben“, sagt er. Gemeint ist, „dass wir die Mitte getroffen haben zwischen den Forderungen des Unternehmens und dem, was wir meinen, geben zu müssen“. Reese spricht von einem „guten Kompromiss“.
Bei den Mitgliederversammlungen erfuhr die Belegschaft jetzt, wie schlecht es um ihren Betrieb steht, zumindest aus Sicht der Gewerkschaft und des von ihr beauftragten Gutachters. Die Verluste seien so hoch, dass schon früher die Insolvenz gedroht hätte – wenn die Schweizer Mutter Swiss Steel nicht immer wieder Geld ins marode Unternehmen gepumpt hätte. Von 250 Millionen Euro ist die Rede.
„Wir sind noch in der Verlustzone und es wird noch ein hartes Jahr“, sagt der Wittener IG-Metall-Bevollmächtigte Mathias Hillbrandt. Nach dem Gutachten von Wirtschaftsprofessor Heinz Bontrup kommt er zu dem Schluss: „Wir sind noch nicht über den Berg.“
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„Die DEW muss ihre Hausaufgaben machen. Sonst wird es nicht zu schaffen sein“, so Hillbrandt. In seiner Analyse kam Bontrup zu dem Schluss, die Kosten seien zu hoch und die Produktivität zu niedrig. Für viel zu groß hält er beispielsweise die Produktpalette („14.000“). Dass die Edelstahlwerke profitabler produzieren müssen, ist schon lange kein Geheimnis mehr.
Hierarchien sollen nach Angaben des Gesamtbetriebsratsvorsitzenden Burak Bilal verschlankt, Arbeitsabläufe verändert werden. Alles soll auf den Prüfstand, ob es um technische, personelle oder betriebliche Abläufe geht.
Außerdem sollen die Standorte wieder in zwei Gesellschaften beziehungsweise „Prozessrouten“ aufgeteilt werden, wie vor 20 Jahren, als es noch „EWK“ gab, die Edelstahlwerke Witten-Krefeld. Diesmal würden wieder Witten und Hattingen mit Krefeld zusammengehen, Hagen mit Siegen.
Für den Sachverständigen der IG Metall ist klar, dass nicht allein konjunkturelle Gründe eine Rolle spielen. Diese kämen höchstens noch obendrauf. Gleichzeitig macht die Arbeitnehmerseite Druck. Wenn jetzt nicht schnell gehandelt werde, „ist es zu spät“, warnt Mathias Hillbrandt.
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Trotz der Zustimmung der Belegschaft – 85 Prozent waren es in Witten – ist der Sanierungsvertrag mit dem Restrukturierungsprogramm noch nicht in trocknen Tüchern. CEO Frank Koch muss sich dafür Anfang August noch die Zustimmung im Verwaltungsrat holen. Die dreiköpfige DEW-Geschäftsführung hatte die Neukonzeptionierung mit den örtlichen Betriebsräten ausgearbeitet.
Immer wieder betonen Gesamtbetriebsrat und IG Metall, dass der Beitrag der Arbeitnehmer diesmal komplett als Invest in das Unternehmen fließe – zusätzlich zu Investitionen in Höhe von 68 Millionen, die der Konzern selbst leiste.
Ein höherer zweistelliger Millionenbetrag dürfte auch für den Interessenausgleich/Sozialplan fällig werden, den die Schweizer Mutter tragen soll. Knapp 360 Stellen werden in diesem und im nächsten Jahr abgebaut, „sozialverträglich“, wie es heißt. Betroffen sind die „indirekten Beschäftigten“, gemeint ist die Verwaltung.
Dafür sollen die anderen 3600 DEW-Mitarbeiter eine Zukunft bei der DEW haben. Hillbrandt: „Wir werden alles tun, um den Laden zu retten.“
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