Witten. Die Edelstahlwerke aus Witten sehen sich auf gutem Weg zu vollständig grünem Stahl. Für die nächsten Schritte hofft man auf staatliche Hilfe.

Zwei Milliarden Euro will Thyssenkrupp in eine neuartige Anlage für CO2-armen Stahl in Duisburg investieren – hier soll perspektivisch mit Wasserstoff grüner, annähernd klimaneutraler Stahl produziert werden. Dafür kann Thyssenkrupp fest mit staatlichen Fördermitteln rechnen, die etwa die Hälfte der Kosten auffangen sollen. Auch in anderen Bundesländern, etwa dem Saarland, unterstützt der Staat Stahlhersteller beim Umstieg auf neue, CO2-arme Technologien. Die Deutschen Edelstahlwerke in Witten hingegen, Teil des Schweizer Mutterkonzerns Swiss Steel Group (SSG), fühlen sich auf dem Weg zu klimafreundlichem Stahl alleingelassen.

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„Fördergelder fließen in die Hochofenroute, um dort die Entwicklung neuer Methoden zu unterstützen“, sagt Lutz Ernenputsch, Mitglied der Geschäftsführung von DEW. „Doch nichts davon ist bisher Realität. Wir aber können das schon.“ Was er damit meint: Die Swiss Steel Group erzeugt ihren Stahl nicht im Hochofen, sondern durch das Einschmelzen von Schrott in Elektrolichtbogenöfen (ELO). „Damit sind wir nicht nur europäischer Marktführer in Green Steel, sondern auch ein großer Recycler“, so Ernenputsch.

78 Prozent weniger CO2-Ausstoß im Vergleich zum Hochofen

Die bis 1600 Grad heißen Lichtbogenöfen werden mit Strom betrieben – allerdings mit einer Menge davon. So viel wie die Großstadt Düsseldorf verbrauchen die Edelstahlwerke in etwa. Dennoch ist der CO2-Abdruck der hier hergestellten Rundstäbe aus Edelstahl deutlich niedriger als gewöhnlich. Das Unternehmen selbst spricht von 78 Prozent weniger CO2-Ausstoß als auf der klassischen Hochofenroute, bei der Eisenerz zunächst zu Roheisen und schließlich zu Stahl geschmolzen wird – unter enormem Energieaufwand, vor allem durch die Verbrennung klimaschädlicher Kokskohle.

Lutz Ernenputsch (links) ist Chief Operating Officer der Deutschen Edelstahlwerke. Frank Koch (rechts) ist CEO der Swiss Steel Group, zu der DEW gehören.
Lutz Ernenputsch (links) ist Chief Operating Officer der Deutschen Edelstahlwerke. Frank Koch (rechts) ist CEO der Swiss Steel Group, zu der DEW gehören. © FUNKE Foto Services | Walter Fischer

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Ganz ohne fossile Brennstoffe geht es aber auch bei den Edelstahlwerken nicht: Denn das Walzwerk, in dem der Stahl weiterverarbeitet wird, benötigt eine Menge Gas. „Auch wir müssen noch Hausaufgaben machen“, sagt Geschäftsführer Ernenputsch. „Deshalb fänden wir es gut und richtig, wenn auch wir Fördermittel erhalten würden.“ Diese wolle man in Forschung und Entwicklung investieren, um noch grüner zu werden. „Denn die aktuelle Situation raubt uns den Atem dafür.“

Produktion aufgrund der Strompreise eingeschränkt

Im laufenden Jahr musste das Unternehmen seinen Energieverbrauch aufgrund der hohen Preise deutlich reduzieren und die Stahlproduktion teilweise einschränken. „Wir produzieren, wenn der Strom bezahlbar ist“, sagt ein Sprecher der Gruppe. Dies sei bei den Elektrolichtbogenöfen relativ einfach möglich. Auch die Mitarbeiter hätten flexibel mitgezogen.

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Die Swiss Steel Group sieht sich auf einem guten Weg zu vollständig grünem Stahl. Ein wichtiger nächster Schritt zu mehr Nachhaltigkeit wäre daher auch für das Unternehmen der Umstieg auf Wasserstoff in seinen Walzwerken. Auch die Verfügbarkeit von Ökostrom ist eine Herausforderung. „Wir versuchen, den Anteil regenerativer Energien hochzuziehen“, so Ernenputsch. Doch man sei immer auf den im Netz verfügbaren Mix angewiesen.

Im Schweizer Werk in Emmenbrücke etwa kommt nach Angaben des Konzerns nur noch Strom aus Schweizer Wasserkraftwerken zum Einsatz. „Die Dekarbonisierung unserer Werke weiter voranzutreiben ist bei uns nicht nur von den anstehenden Regularien getrieben, sie ist uns auch eine gesellschaftliche Verpflichtung, die wir auch in so schwierigen Zeiten wie sie jetzt sind, nicht zur Disposition stellen“, so Frank Koch, Global CEO der Swiss Steel Group.

Legierungen nicht mehr importieren

Weiterer wichtiger Punkt auf dem Weg zu noch weniger CO2-Ausstoß im Produktionsprozess ist es auch, in der Beschaffung von Legierungen unabhängiger zu werden. Derzeit werden etwa Ferrochrom oder Ferronickel dazu verwendet, dem Stahl bestimmte Eigenschaften zu verleihen. Besonders die Rohstoffe Nickel und Chrom stammen häufig aus politisch instabilen Ländern. Zudem sind sie in der Beschaffung besonders Energie- und CO2-intensiv.

Derzeit forscht die Swiss Steel Group in Frankreich daran, Legierungen aus Abfallprodukten wie Batterien, Katalysatoren oder Filterasche von Abgasreinigungsanlagen herstellen zu können. Gelungen ist es bereits, einen Prozess zu entwickeln, um aus hochlegierten Stahlabfällen die Elemente Chrom, Nickel, Eisen zurückzugewinnen. Das Projekt wird in Frankreich mit staatlichen Mitteln in Höhe von zehn Millionen Euro gefördert.