Witten. Die Situation bei den Deutschen Edelstahlwerken in Witten ist laut IG Metall äußerst bedrohlich. Die DEW sei noch drei Monate lang zahlungsfähig.
Rund 100 IG Metall-Vertrauensleute der Deutschen Edelstahlwerke (DEW) in Witten sind am Mittwoch vor dem Gewerkschaftshaus an der Hans-Böckler-Straße zusammengekommen. Die Anwesenden fanden deutliche Worte zur aktuellen Lage des Stahlwerks. „Es ist nicht fünf vor, sondern fünf nach Zwölf“, sagte Mathias Hillbrandt von der IG Metall. DEW werde nach der aktuellen Krise nicht mehr das Unternehmen sein, wie es seine Beschäftigten kennen.
Für die kommenden drei Monate sei die Liquidität des Unternehmens noch gesichert, sagte Holger Lorek, Gewerkschaftssekretär und stellvertretender Vorsitzender des Aufsichtsrats. Wie es danach weitergehe, sei ungewiss. „Es ist ein Fahren auf Sicht“, so Lorek. Kürzlich war bekannt geworden, dass das Unternehmen für die kommenden drei Jahre mit einer Finanzierungslücke von jeweils 13 Millionen rechnet.
Geschäftsführung in Witten hat Landesbürgschaft noch nicht beantragt
Harsche Kritik hagelte es am Verhalten der Geschäftsführung. „Die haben uns in die Scheiße geritten und tun jetzt nichts“, wetterte Betriebsratschef Ralf Peine. Denn die von der Geschäftsführung angestrebte Landesbürgschaft von rund 50 Millionen Euro sei vom Unternehmen noch gar nicht beantragt worden, wusste der heimische SPD-Bundestagsabgeordnete Ralf Kapschack. Das Wirtschaftsministerium sei wohlwollend, brauche aber noch Unterlagen. Laut Bürgermeisterin Sonja Leidemann handelt es sich dabei um eine positive Fortführungsprognose für den Betrieb. Die schlechte Jahresbilanz von 2019 verhindere es zudem, dass das Unternehmen nun unter den Corona-Schutzschirm des Bundes schlüpfen könne, so Leidemann.
„Die Geschäftsführung hat ihre Hausaufgaben nicht gemacht“, urteilte Kapschack. „Da kommt schon der Verdacht auf, dass es andere Strategien gibt.“ Diese Sorge teilen die Beschäftigten. „Man hat den Eindruck, Corona war ein gefundenes Fressen für die Geschäftsführung“, sagte Betriebsratsvorsitzender Peine. „Wenn ich Geldsorgen hätte, würde ich doch vor der Bank schlafen. Was haben die vor?“ DEW ist dabei auch von seinem Mutterkonzern Schmolz + Bickenbach abhängig. Denn für eine Landesbürgschaft müsse der ganze Konzern zukunftsfähig sein, nicht nur das deutsche Tochterunternehmen, sagt Holger Lorek von der IG Metall.
Gewerkschaft fordert Konzept für die Zukunft von DEW ein
Die Leitung stehe nun in der Pflicht, ihre Konzepte für die Zukunft von DEW offenzulegen. „Zeigen Sie uns die hässliche Katze, die im Sack steckt“, forderte der Wittener IG-Metall-Chef Hillbrandt. Die fehlende Kommunikation sei eine bodenlose Frechheit. „Das zeugt von mangelnder Wertschätzung der Arbeitnehmer“, sagte der Erste Bevollmächtigte.
Mutterkonzern machte 420 Millionen Euro Minus
Allein in Witten bangen 1700 Beschäftigte um ihren Job. DEW hat weitere Standorte in Siegen, Krefeld, Hagen und Hattingen und insgesamt 4000 Beschäftigte. Die Werke in NRW erzeugen derzeit weniger als 700.000 Tonnen Stahl im Jahr – etwa 100.000 Tonnen zu wenig. Im vergangenen Jahr machte der Mutterkonzern Schmolz + Bickenbach ein Minus von 420 Millionen Euro.
Bei ihrer nächsten Versammlung soll auch ein Mitglied der Geschäftsführung anwesend sein und Rede und Antwort stehen, fordern die Vertrauensleute.
Die Geschäftsführung agiere „kopflos“, sagte Aufsichtsrats-Vize Lorek. Im letzten Jahr habe man kein Geld verdient, sondern nur „massiv Geld verbrannt“. Die Finanzspritze von 300 Millionen Euro an den Mutterkonzern im Dezember sei für die Tilgung von Schulden verwendet worden, nicht, um Neues aufzubauen.
Beschäftigte wollen nicht auf Urlaubsgeld verzichten
„Wir malochen jeden Tag, wir halten den Laden am Laufen“, meldete sich ein jüngerer Mitarbeiter zu Wort. „Andere sitzen im Büro und fahren den Karren seit Jahren an die Wand – und wir sollen verzichten?“ Die Geschäftsführung von DEW hatte angeregt, dass die Beschäftigten auf die Auszahlung ihres Urlaubsgeldes verzichten. Das würde rund 4,5 Millionen Euro sparen. „Das will von meinen Kollegen niemand“, so der Gewerkschafter. Man vertraue dem Unternehmen nicht mehr.
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„Es ist eine Frechheit, wie hier mit Menschen umgegangen wird“, ärgerte sich Vertrauensmann Dieter Czyz. Was er denn seinen Leuten im Betrieb sagen solle, wie es nach den drei Monaten weitergeht. Diese Frage blieb am Mittwoch unbeantwortet.
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