Witten. Ukrainische Frauen in Witten leben in steter Angst um die Liebsten daheim. Eine Mutter erhielt die schockierende Nachricht vom Tod des Sohnes.

Die drei Frauen sind vor dem Krieg geflüchtet. Doch er bleibt für sie allgegenwärtig. Wenn sie an ihre Liebsten daheim denken, sind die Ukrainerinnen den Tränen nahe. Jeden Tag bewegt sie die Frage: Was ist mit dem Sohn, was mit dem Bruder? Einer der jungen Männer wurde jetzt sogar für vermisst erklärt.

Das Wechselbad der Gefühle, das Iryna Mamontova schon hinter sich hat, möchte sie keinem anderen zumuten. Vor wenigen Wochen erhielt sie die schockierende Nachricht, dass ihr Sohn Stas bei Gefechten im umkämpften Bachmut gefallen sei. Seit er freiwillig zur Armee gegangen war, lebt sie in ständiger Angst um den 20-Jährigen. In der Weihnachtsausgabe hatte die WAZ Witten über ihr Schicksal geschrieben. Nun hatten sich ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigt – oder besser gesagt, es sah danach aus.

Ein Kommandeur war sich bei der Identität des Toten doch nicht mehr sicher

Iryna Mamontova hatte die schockierende Nachricht erhalten, dass ihr Sohn gefallen sei. Dann war es plötzlich überhaupt nicht mehr sicher, ob er wirklich unter den Toten war.
Iryna Mamontova hatte die schockierende Nachricht erhalten, dass ihr Sohn gefallen sei. Dann war es plötzlich überhaupt nicht mehr sicher, ob er wirklich unter den Toten war. © FUNKE Foto Services | Frank Oppitz

Denn schon nach wenigen Tagen der Trauer hieß es plötzlich: Der zuständige Kommandeur sei sich seiner Sache doch nicht sicher. Die Mutter solle in die Ukraine kommen. Anhand ihres Blutes wolle man prüfen, ob es sich bei dem Toten wirklich um ihren Sohn handeln könne. Inzwischen liegt das Ergebnis vor.

Danach ist erwiesen, dass Stas nicht der getötete Soldat ist, den Kameraden gefunden haben. Die Hoffnung, nun endlich ihren Jungen wieder in die Arme schließen zu können, sollte sich für die Mutter dennoch nicht erfüllen. Er ist wie vom Erdboden verschluckt. Niemand weiß, wo er sich aufhält. Wie er sind auch andere Soldaten aus seiner Einheit verschwunden. Nachforschungen hatten keinen Erfolg.

Tagelang hat die 38-Jährige in Cherson nach Stas gesucht und damit in der Stadt, wo sie so viele schöne und friedvolle Jahre mit der Familie gelebt hat. Iryna wandte sich an Freunde und Bekannte, sucht Orte auf, die ihrem Sohn ans Herz gewachsen waren. Doch überall Fehlanzeige. Mittlerweile ist die Ukrainerin wieder in Witten. Um ihre vier Kinder hatte sich zwischenzeitlich eine Freundin gekümmert.

Sie alle wollen natürlich wissen, wo sich ihr Bruder nun aufhält. Doch die Antwort muss die Mutter ihnen schuldig bleiben. Gleichwohl versucht sie, die Kinder aufzumuntern. Sie nimmt sich viel Zeit. Die Familie ist für die Ukrainerin ihr ein und alles.

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Manchmal hätte auch Alla Lupan (55) gern eine Schulter, an die sie sich anlehnen könnte. Vor einem Jahr ist sie vor Putins Truppen nach Deutschland geflüchtet und lebt jetzt hier allein. Ihr Sohn hatte sich schon gleich nach dem russischen Überfall auf die unabhängige Ukraine freiwillig zur Armee gemeldet. Wie Stas kam auch er nach Bachmut. Noch keine zwei Monate ist es her, dass er als Einziger aus einem Auto, in dem noch weitere fünf Kameraden saßen, einen Anschlag überlebte.

Der Sohn hat Alla Lupan Fotos von dem zerstörten Auto zugeschickt. Den Anschlag hat er wie durch ein Wunder überlebt.
Der Sohn hat Alla Lupan Fotos von dem zerstörten Auto zugeschickt. Den Anschlag hat er wie durch ein Wunder überlebt. © FUNKE Foto Services | Sebastian Sternemann

Sohn überlebte als einziger von sechs Kameraden

Alexander (37) hat seiner Mutter Bilder geschickt, von dem zerborstenen Wagen, den zerfetzten Sitzen - und von seinen Kameraden, um die er jetzt trauert. Die Mutter kann nicht anders, sie schaut sich die Fotos ein um das andere Mal an. Nur mit starrem Blick gelingt es ihr, die Tränen zurückzuhalten. „Mein Sohn hat überlebt, aber was ist mit all den anderen?“, fragt sie. Wie es ihm an der Front ergeht, das kann sie nur erahnen. Ab und an schickt er kurze Textnachrichten, in denen er aber eigentlich nur schreibt, dass es ihm gut gehe. Zuversicht versucht er auch in seinen wenigen Anrufen zu verbreiten. Häufiger könne sich Alexander wohl nicht melden, so die Mutter nicht melden, er kämpfe schließlich an vorderster Front.

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Dass er in den Gesprächen die Wahrheit sagt, daran mag die Ukrainerin nicht glauben, zumal sie weiß, dass das Militär einer Schweigepflicht unterliegt und Soldaten aus ihrem Alltag nichts preisgeben dürfen. Besonders hart sind für Alla Lupan die Zeiten, in denen sie über Wochen oder Monate nichts von ihrem Jungen hört. Dann muss sie sich immer wieder bewusst machen, dass er an der Front nun mal nicht einfach so mit der Mutter telefonieren kann. Gewöhnen wird sie sich aber wohl nie an diese quälende Ungewissheit, Gedanken lassen sich bekanntermaßen nur schwerlich steuern.

Ablenken kann sich die Ukrainerin am besten, wenn sie ihren siebenjährigen Enkel Nikita anruft, der mit seiner Mutter in Kiew lebt und seinen Vater so sehr vermisst. „Am Telefon versuche ich ihn zu trösten, aber das hat alles seine Grenzen. So ein Junge kann doch das alles nicht verstehen“, sagt Alla Lupan. „Aber uns Erwachsenen geht es ja nicht anders.“

Wann der Krieg wohl vorbei ist, diese Frage klinge in Gesprächen auch mit ihrer Schwiegertochter immer wieder an. Hoffnung auf ein baldiges Ende haben beide aber nicht.

Um die ostukrainische Stadt Bachmut toben seit Monaten unerbittliche Gefechte, bei denen auf beiden Seiten schon sehr viele Soldatebn gestorben sind.
Um die ostukrainische Stadt Bachmut toben seit Monaten unerbittliche Gefechte, bei denen auf beiden Seiten schon sehr viele Soldatebn gestorben sind. © dpa | dpa-infografik GmbH

Soldaten leben über Wochen in Schützengräben

Da ergeht es Xenia Lobachova kaum anders. Sie ist in ständiger Sorge um ihren Bruder, der jüngst am Telefon den Eindruck erweckt habe, als wenn der Kampf jetzt erst recht losgehe. Auf die Frage, wo sich der 45-Jährige überhaupt aufhält, kann sie nur mit den Achseln zucken. Sie weiß es nicht. Irgendwo an der Front sei er im Einsatz, habe inzwischen den Rang eines Offiziers erworben. Auch er meldet sich nur hin und wieder, aber längst nicht regelmäßig.

Die Ukrainerin, seit Frühjahr 2022 mit ihrer Tochter (6) in Witten, mag sich gar nicht ausmalen, was Ilja alles verkraften muss. „Wir hören so viel, was die Soldaten erleiden“, sagt sie. Tage und Wochen bringen sie in Schützengräben zu, bei Wind und Wetter. „Oftmals haben sie auch gar nicht genug zu essen“, weiß Xenia Lobachova. Auch die Kampfausrüstung der Soldaten habe vielfach Mängel. Darüber werde aber öffentlich nur wenig gesprochen, wie über viele Ereignisse in diesem Krieg.

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Ukrainehilfe plant weiteren Hilfstransport

Die Ukrainehilfe von Olga Tape plant erneut einen Hilfstransport, der Ende Mai starten soll.

Das Spendenaufkommen war zuletzt deutlich zurückgegangen.

Wer Hilfsgüter spenden möchte, kann sich an Olga Tape wenden: 016060 50 476 oder per E-Mail an hilfemenschen@gmail.com.

Eher durch Zufall habe sie auch erfahren, dass der Bruder für eine Panzerausbildung einen Monat in Deutschland war. Mehr konnte sie Ilja jedoch nicht entlocken. Wo er sich aufgehalten hat, an welchen Panzern ihn andere Soldaten geschult haben, „das kann ich nicht sagen“.

Mit der Angst um Ilja steht Xenia längst nicht allein. Seine Frau und die drei Kinder kommen, wie sie schildert, mit der Ungewissheit ebenso wenig klar. Genauso ergeht es den Eltern, 65 und 72 Jahre alt, die in dem Städtchen Ladyzhyn wohnen, in der mittleren Ukraine gelegen. „Wie sehr würden wir uns über ein Wiedersehen freuen. Doch danach sieht es momentan nicht aus.“ Derweil bangen sie weiter um Ilja. Der Krieg habe bei ihm sichtbar Spuren hinterlassen. „Es scheint, als sei er um 20 Jahre gealtert“, sagt seine Schwester.

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