Witten. Ein Buch ist zum zehnten Geburtstag des Autismus-Zentrums in Witten erschienen. Es erzählt „Mutmacher“-Geschichten von Betroffenen. Hier Auszüge.

Zehn Jahre ist es her, als im April 2013 das Autismus-Therapie-Zentrum (ATZ) des DRK an der Ardeystraße eröffnete. Zur Feier des zehnjährigen Bestehens konnten beim Tag der offenen Tür alle, die wollten, vorbeischauen – und ein besonderes Buch kennenlernen.

Die langjährige Therapeutin Marleen Berthold hat anlässlich des Jubiläums „Mutmacher-Geschichten von autistischen Menschen“ vorgestellt. Für dieses Buch führte sie Interviews mit fünf Betroffenen. „Ich wollte den Fokus mal mehr auf die Erwachsenen aus dem Autismus-Spektrum legen, weil sie oft übersehen werden“, sagt sie.

Autismus-Zentrum Witten: Nicht immer stimmt das Klischee vom Hochbegabten

Sie spricht von „Spektrum“, weil autistische Menschen ganz unterschiedliche Symptome haben. „Wir wollen mit den Erzählungen auch verdeutlichen, wie unterschiedlich sich Autismus zeigen kann. Das Klischee des Hochbegabten, der in einem speziellen Bereich hervorsticht, trifft bei Weitem nicht auf jeden zu“, so DRK-Mitarbeiter Thomas Vormann, der ebenfalls am Buch mitgewirkt hat.

Buchvorstellung zum zehnten Geburtstag des Wittener Autismus-Zentrums: Therapeutin und Autorin Marleen Berthold (li.) las beim Tag der offenen Tür aus den „Mutmacher“-Geschichten vor.
Buchvorstellung zum zehnten Geburtstag des Wittener Autismus-Zentrums: Therapeutin und Autorin Marleen Berthold (li.) las beim Tag der offenen Tür aus den „Mutmacher“-Geschichten vor. © FUNKE Foto Services | Jürgen Theobald

Zwar ist Autismus unheilbar. Doch alle fünf Interviewten haben durch Verhaltensstrategien in der Therapie gelernt, besser damit zu leben. „Mittlerweile kann ich zehn Minuten Verzögerung zulassen, ohne in Stress zu geraten und gereizt zu sein“, erzählt einer der fünf Interviewten, der sich selbst das Pseudonym „SchwertTypV“ gegeben hat.

Betroffener muss täglich mindestens 40.000 Schritte gehen

Der Name rührt daher, dass der junge Mann Ende Zwanzig eine Vorliebe für Schwerter hat. Jeden Tag muss er mindestens 40.000 Schritte gehen. Er hat den Zwang, Hände und Gesicht zu waschen sowie in bestimmter Reihenfolge Finger und Füße zu bewegen. Sehr zwanghaft zählt er Dinge, Rillen und Fugen. Schon in seiner Kindheit brauchte er immer gleiche Routinen, alles musste nach Plan laufen. Er war nie gerne mit anderen zusammen. „Noch nicht einmal mit meinen Eltern, weil dies meine minuziös geplanten Abläufe störte“, so der Betroffene. Als er seine Autismus-Diagnose erhielt, war „SchwertTypV“ bereits 23 Jahre alt.

Lesen Sie auch:

Seine soziale Phobie, Depressionen, Stottern und ADHS hatten ihn schon dazu veranlasst, eine Therapie anzufangen. Zu erfahren, dass er Autist ist, half dem jungen Mann, weil er sich nun selbst besser verstehen konnte. Die Therapie im ATZ brachte ihm seinem Ziel näher, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Mittlerweile hat er eine Ausbildung zum IT-Fachmann fast abgeschlossen. Er ist auch spontaner geworden. „Ich lasse mich jetzt auf neue Sachen ein und schaue, wie es dann wird“, erzählt er stolz.

„Ich bewege mich wie ein Schatten durchs Leben“

Das alltägliche Leben ist für Menschen mit Autismus nicht einfach. „Ich bewege mich wie ein Schatten durchs Leben. Und wenn jemand auf mich zukommt, verschwinde ich“, berichtet ein anderer Teilnehmer in dem Buch, der das Pseudonym „Sven“ hat. Die Interviews sollen Mut machen – darauf, dass Betroffene sehr wohl eine Perspektive haben und ihren Alltag meistern können. Trotz permanenten Reizüberflutungen. „Schon zum Bäcker gehen und einkaufen kann für Betroffene zu einer riesigen Herausforderung werden“, sagt Therapeutin Marleen Berthold.

Lesen Sie auch:

Im Supermarkt Boni, gleich um die Ecke, wird es an diesem Tag deshalb für eine Stunde still. Die Kassen piepen nicht mehr, die Musik verschwindet, es gibt keine Durchsagen und alle Mitarbeitenden tragen Westen, damit Menschen mit Autismus sich besser orientieren können. Die „Stille Stunde“ gibt es bereits in einigen Bundesländern regelmäßig. Im Ennepe-Ruhr-Kreis ist Boni der erste Supermarkt, der das Projekt auf Anfrage des DRK umgesetzt hat. „Wir freuen uns, dass das Thema mehr Aufmerksamkeit findet“, sagt Thomas Vormann vom Deutschen Roten Kreuz.

+++Folgen Sie jetzt auch dem Instagram-Account der WAZ Witten+++

Fast alle Sozialpädagoginnen und Therapeutinnen, die beim Tag der offenen Tür mit dabei sind, tragen ein schwarzes T-Shirt. Darauf gedruckt sind drei Lamas, eines davon besteht aus bunten Puzzleteilen und sticht hervor. Darüber steht in weißen Buchstaben die Botschaft des Tages: „It’s okay to be different“. Es ist okay, anders zu sein.

+++ Sie wollen keine Nachrichten aus Witten verpassen? Dann können Sie hier unseren Newsletter abonnieren. Jeden Abend schicken wir Ihnen die Nachrichten aus der Stadt per Mail zu. +++