Witten. Die IG Metall fordert einen Sonder-Strompreis für die Industrie. Die DEW in Witten würde davon besonders profitieren. Denn sie ist erneut in Not.

Die IG Metall will einen Sonder-Strompreis für energieintensive Industrien wie die Stahlbranche, damit diese auch im europäischen Vergleich wettbewerbsfähig bleibt. Ihrer Forderung hat die Gewerkschaft heute auch in Witten mit einer Kundgebung Nachdruck verliehen. Bei Nieselregen und ungemütlichen vier Grad folgten rund 150 Stahlarbeiter der Deutschen Edelstahlwerke und Kolleginnen und Kollegen aus den DEW-Werken Hattingen, Hagen und Krefeld dem Aufruf. Gerade für den angeschlagenen Stahlkonzern, ein Tochterkonzern der Swiss Steel Group, wäre ein niedriger Strompreis wichtig.

Denn wie Anfang des Jahres bekannt wurde, stehen die Edelstahlwerke vor einschneidenden Veränderungen. Die Swiss Steel-Geschäftsführung arbeitet an einem Restrukturierungsprogramm für ihre unrentable deutsche Tochter. Erneut sind dabei auch Personalabbau und finanzielle Einsparungen bei den Mitarbeitern geplant. Schon mehrfach haben die Beschäftigten in den vergangenen Jahren auf Sonderzahlungen wie Weihnachts- und Urlaubsgeld verzichtet, um einen Beitrag zum Überleben der DEW zu leisten.

Über 100 Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter zogen am Donnerstag von Tor 2 der Edelstahlwerke in Witten zur Kundgebung vor dem Gewerkschaftshaus der IG Metall.
Über 100 Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter zogen am Donnerstag von Tor 2 der Edelstahlwerke in Witten zur Kundgebung vor dem Gewerkschaftshaus der IG Metall. © FUNKE Foto Services | Jürgen Theobald

IG Metall sieht Stahl-Standort Deutschland gefährdet

Der Spezialstahlhersteller setzt seit jeher auf die Elektrolichtbogentechnik und ist damit in puncto Klimafreundlichkeit seinen Mitbewerbern auf dem Weg zu grünem Stahl deutlich voraus – verbraucht aber auch riesige Mengen Strom. „Wir sind doch gut unterwegs“, betonte bei der Kundgebung Jürgen Kerner, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall im Bund, der zum Aktionstag in die Ruhrstadt gekommen war. „Wir brauchen nur grünen Strom, dann wäre alles paletti.“ Doch vor allem brauche es einen niedrigeren Strompreis – für DEW und die gesamte deutsche Stahlindustrie.

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In europäischen Nachbarländern wie Frankreich, Italien und Spanien gebe es bereits Ausnahmen für die Stahlhersteller. Nur Deutschland hinke hinterher. Wenn die Regierung nicht schnell handle, laufe man Gefahr, dass Unternehmen ihre Investitionen in diese Länder oder auch weltweit umlenken. „Und dann ist die grüne Stahlindustrie in Deutschland Geschichte!“

Jürgen Kerner, Hauptkassierer und geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall, bei der Kundgebung in Witten zum Aktionstag „Industriestrompreis“ der Gewerkschaften IG Metall, IGBCE und IG BAU.
Jürgen Kerner, Hauptkassierer und geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall, bei der Kundgebung in Witten zum Aktionstag „Industriestrompreis“ der Gewerkschaften IG Metall, IGBCE und IG BAU. © FUNKE Foto Services | Jürgen Theobald

Industriestrompreis soll Arbeitsplätze sichern – auch bei DEW

Den Industriestrompreis brauche es nicht nur, um Unternehmen wieder auf sichere Füße zu stellen, sondern auch um Arbeitsplätze zu sichern, betonte auch Wittens IG Metall-Chef Mathias Hillbrandt. „Besonders bei DEW.“ Die wirtschaftliche Situation der Edelstahlwerke ist angespannt. Darüber, wie das Unternehmen nach den Vorstellungen von Konzernchef Frank Koch umgebaut werden soll, ist bislang wenig nach außen gedrungen.

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In einer Presseerklärung von Januar hieß es, man strebe einen Haustarifvertrag an. Diesen lehnt die IG Metall aber kategorisch ab. Nun ist in einem internen Schreiben an die Mitarbeiter unter anderem von „Veränderungen in den Betriebsvereinbarungen“ und „abweichenden tariflichen Vereinbarungen“ die Rede. Die Maßnahmen stehen an Punkt 5 und 6 von insgesamt sechs Handlungsfeldern. Des Weiteren sollen die Prozessrouten zwischen den Werken umgestaltet und Prozesse effektiver gestaltet werden. Auch wolle man sich auf die Kernprozesse des Unternehmens konzentrieren. Personelle „Anpassungen“ soll es vor allem in der Verwaltung geben. Das würde besonders den Standort Witten betreffen.

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IG Metall: Zugeständnisse nur als Teil eines tragfähigen Konzepts

„Über tarifliche Abweichungen werden wir nicht losgelöst, sondern nur im Gesamtpaket verhandeln“, stellt Heiko Reese, Stahlexperte der IG Metall in NRW, klar. „Sonst wird wieder Geld eingesammelt und verbraucht, aber es ändert sich nichts.“ Bei einer in Kürze anstehenden Gesamtbetriebsversammlung sollen die Mitarbeitenden von der Geschäftsführung über nähere Details informiert werden. Reese geht davon aus, dass es wohl „schlechte Nachrichten“ geben wird. Danach will die Gewerkschaft mit ihren Mitgliedern über Verhandlungen mit der Unternehmensseite sprechen.

Schnelle Ergebnisse erhofft sich die IG Metall nicht. „Sorgfalt geht vor Schnelligkeit, ein Durchwurschteln wie bisher wird es nicht mehr geben“, sagt Reese. Oder wie es Sabine Blum-Geenen, Gewerkschaftsvertreterin im Aufsichtsrat der DEW, in Richtung Konzernspitze zusammenfasst: „Einen Schuss gibt es noch, aber der muss sitzen.“ Sie sehe aber auf allen Seiten den Willen, die DEW zukunftsfähig aufzustellen.

Hoher Krankenstand

Ob die Belegschaft der DEW bereit sein wird, erneut Abstriche im eigenen Geldbeutel zu akzeptieren, ist ungewiss. „Das wird eine knappe Kiste“, sagt ein Mitarbeiter bei der Kundgebung. Gerade die älteren Kollegen seinen nach den Erfahrungen der letzten Jahre frustriert und würden erneute Zugeständnisse ablehnen. Bei den Jüngeren sähe das anders aus.

Die Stimmung in der Belegschaft sei wie das Wetter, sagt Thomas Richter vom Gesamtbetriebsrat DEW. “Die Leute haben Zukunftsangst.“ Nicht nur wegen der anstehenden Restrukturierung, auch wegen der anderen derzeitigen Krisen. Schon seit ein bis zwei Jahren sei die Krankenquote in den Werken erhöht. Stets seien bis zu zehn Prozent der Belegschaft krank. „Und jetzt sind wir gerade aus der letzten Tarifabweichung raus, jetzt steht schon die nächste vor der Tür.“