Witten. Souad Kowalik ist das Gesicht, das hinter „Fräulein Lecker“ in Witten steht. Ein Sommerinterview über Streuselkuchen und selbstständige Frauen.
Souad Kowalik (36) schneit morgens gegen halb zehn herein, platziert ihren kleinen Sohn Jonas im Hochstuhl und schon steht sie hinterm Tresen, redet mit ihrer Verkäuferin, bedient Kunden, ist wieder bei ihrem Filius. Keine Frage, die Frau hat Power. Ohne diese Kraft hätte sie es wohl auch nicht geschafft, sich einen eigenen Laden für Backwaren in Annen aufzubauen. Zwischen Blaubeer-Muffins, Nussecken, Rosinenschnecken und Kartoffelbrötchen findet die Inhaberin von „Fräulein Lecker“ auch noch Zeit für ein Gespräch mit der WAZ.
Ihre Eltern stammen aus Marokko, Sie sind in Deutschland geboren. Wie kamen Sie zu dem Geschäft an der Bebelstraße?
Ich habe meine Leidenschaft zum Beruf gemacht. Ich backe sehr gern und wollte irgendwann meine eigene Chefin sein.
Waren Sie vorher angestellt?
Nur noch Bäckereien in der Handwerksrolle
Souad Kowalik kann ihre Backwaren auch ohne Meistertitel verkaufen, da sie diese zuallermeist nicht selbst herstellt. Die 36-Jährige hat eine dreijährige Ausbildung zur Bäckereifachverkäuferin absolviert. Bäckereien müssen in der „Handwerksrolle“ der Handwerkskammer eingetragen sein. Dafür wiederum braucht man einen „Meister, ebenso wie für die Ausbildung.
In Witten gibt es tatsächlich nur noch vier eingetragene Bäckereien, sprich eigene Produktionsstätten (Stand Ende Juli, Handwerkskammer Dortmund). Alle anderen sind Filialen beziehungsweise reine Verkaufsstellen.
Ja, ich habe die dreijährige Ausbildung zur Bäckereifachverkäuferin bei Horst Temke in Wuppertal gemacht, wo ich auch herkomme. Ich war danach jahrelang bei Lidl, bevor ich wegen des neuen Ladens nach Witten gekommen bin. Am Anfang bin ich erst ein halbes Jahr lang gependelt, um zu gucken, ob es funktioniert.
Daraus sind jetzt schon neun Jahre geworden. Es scheint geklappt zu haben.
Ja. Aber es war alles andere als einfach. Ich musste mir ja erst einen treuen Kundenstamm aufbauen, für den ich sehr dankbar bin.. Aus der Wertschätzung der Kunden, ihrem Feedback habe ich Kraft geschöpft. Die ersten zwei Jahre mit Corona waren auch keine leichte Zeit.
… obwohl es doch für die Lebensmittelbranche immer gut lief?
Wir mussten das Café schließen und haben kein Mittagessen angeboten, weil das benachbarte Industriegebiet quasi im Homeoffice war. Bis Oktober haben wir auch noch eingeschränkte Öffnungszeiten, von sechs Uhr morgens bis 14 Uhr.
Eine Verkäuferin schmeißt mit Ihnen das Geschäft?
Ja. Mein Mann hatte nur im Studium ausgeholfen, er arbeitet als Elektroingenieur. Heute bin ich eigentlich hier, um Kuchen zu backen. Ich komme zwei-, dreimal die Woche selbst rein, sonst erledige ich Einkäufe, mache die Buchführung, die Bestellungen und zwischendurch backe ich wie gesagt alle Kuchen selbst.
Welche liegen Ihnen denn besonders?
Gerade der Streuselkuchen läuft gut, Mohn-, Kirsch-, Apfelstreusel… Und der Marmorkuchen geht richtig gut.
Wer macht das Brot und die Brötchen?
Wir kriegen alle Brötchen-Teiglinge frisch, die wir dann hier aufbacken. Ich habe lange gesucht, bis ich eine Backstube gefunden habe, die noch nach dem traditionellen deutschen Handwerk backt. Traurig, dass es kaum noch „Made in Germany“ gibt. Die Brötchen, Brote und die Teilchen werden komplett fertig geliefert.
Ihr Sohn ist noch keine zwei Jahre alt. Wie bekommen Sie beides unter einen Hut, Chefin und Mutter sein?
Ich habe einen guten Background. Mein Mann ist selbstständig, meine Schwiegermutter übernimmt das Babysitting. Bald kommt Jonas ja auch in die Kita.
Was fasziniert Sie an dieser Branche?
Ich liebe es, mit Backwaren zu arbeiten und Menschen etwas zu essen zu machen. Die Kundinnen und Kunden sind einfach dankbar und mir macht es großen Spaß.
Bäckereifachverkäuferin steht nicht gerade ganz oben auf der Wunschliste von Jugendlichen, die heute einen Ausbildungsplatz suchen. Wie würden Sie ihnen den Beruf schmackhaft machen?
Ich würde gern an die jungen Leute appellieren: Hey, wir können alle Abi machen und studieren. Aber die Handwerksberufe sterben aus. Klar ist es nicht einfach. Man muss um halb fünf aufstehen und um fünf im Laden sein, um ab sechs Uhr zu verkaufen. Viele Leute bekommen vom langen Stehen auch Rückenschmerzen.
Und wie sieht’s mit der Bezahlung aus?
Gelernte werden nach Tarif bezahlt. Als Aushilfe bekommt man 10,45 Euro Mindestlohn, ab Oktober zwölf Euro.
Wenn ich Ihre Verkäuferin beobachte, scheint es aber auch ein sehr vielseitiger Job zu sein...
Absolut. Man backt, man verkauft, man belegt, man dekoriert. Man ist aber nicht nur Verkäuferin, sondern auch Seelsorgerin. Die alten Leute aus dem Heim kommen zum Beispiel auch, um ein bisschen zu plaudern.
Was ist das A und O beim Verkauf? Freundlichkeit?
Man sollte schon kontaktfreudig sein, sonst ist man hier verkehrt.
Eine letzte, persönliche Frage. Wie schaffen Sie es, bei all den leckeren Sachen schlank zu sein?
Man muss immer in Bewegung bleiben.