Witten. Aller Kritik über Leerstände zum Trotz: Witten steht als Einkaufsstadt nicht schlecht da - das belegen die Kaufkraftzahlen der IHK.
Ist Witten eine „unterschätzte“ Einkaufsstadt? So klassifizierte vor wenigen Wochen der Immobilien-Analyst BMO Real Estate in einem bundesweiten Ranking die Wittener Bahnhofstraße. Josef Saller, der als Investor das leere Kaufhof-Gebäude beleben will, findet wenig positive Worte für die Fußgängerzone. Handelsexpertin Jenni Duggen hält dagegen: In aktuellen Kaufkraft-Erhebungen schneidet Witten nicht schlecht ab. Viele Wittener lassen ihr Geld tatsächlich in der Ruhrstadt.
Nach neuesten Erhebungen (Stand 2021) der IHK (Industrie- und Handelskammer Mittleres Ruhrgebiet) ist die Kaufkraft für den Einzelhandel – also das verfügbare Konsumpotenzial der Wittener – relativ hoch. 97,5 Prozent aller Wittener verfügen über „Einkommensbestandteile, die für Ausgaben im Einzelhandel zu Verfügung stehen“. Überraschend ist die Kaufkraftbindungsquote: 99 Prozent aller Wittener kaufen auch in ihrer Heimatstadt. Deutschlandweit liegt diese Zahl sonst bei 95,1.
Einkaufsmagnet Ostermann schönt die Bilanz
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Besonders gut schneidet Witten bei der „Zentralitätskennziffer“ ab. Sie besagt, inwieweit Witten in der Lage ist, auch überörtliche Kundschaft anzuziehen, und liegt bei 120,1. 20 Prozent zusätzliche Kunden kommen folglich aus den Nachbarstädten.
Dieser Effekt lässt sich simpel erklären – und zwar mit Einkaufsmagneten im Stadtgebiet, die oft nicht in der Innenstadt liegen. Allen voran das Einrichtungshaus Ostermann. Die IHK-Daten gelten für das gesamte Stadtgebiet. Darin fließen auch die positiven Zahlen ein, die es für manche Stadtteile gibt. Aus Handelssicht funktioniert zum Beispiel Herbede gut.
Ihre Bilanz zur Innenstadt fällt darum positiv aus: „Offenbar fließt wenig Kaufkraft aus Witten in die Nachbarstädte ab. Man darf den Standort nicht schlechter reden als er ist“, sagt sie. Der große Pluspunkt der Bahnhofstraße sei die Zentralität, mit einer sehr guten Anbindung an den Öffentlichen Nahverkehr. „Der Bahnhof ist nicht weit weg und die Straßenbahn fährt vor die Tür“, lobt Duggen. Es gebe genug Parkplätze, meint sie in Bezug auf die Idee des Immobilieneigentümers Josef Saller, Witten solle sich am Ruhrpark mit seinen kostenfreien Stellplätzen orientieren.
Großes Lob für Zentralität
Start-ups ziehen in leere Ladenlokale
Große Hoffnung auf eine Belebung der Innenstadt setzt IHK-Expertin Jenny Duggen auf den „Verfügungsfonds Innenstadt“ des Landes. Nach der ersten Bewerbungsrunde sei die städtische Wirtschaftsförderung nun in der Umsetzung. „Wir haben einige Bewerbungen mit tollen Geschäftsideen bekommen und haben auch bereits Ladenlokale im Blick, in die wir diese vermitteln möchten“, so Stadtsprecher Jörg Schäfer.Dazu mietet die Stadt das leerstehende Ladenlokal für 70 Prozent der Altmiete (kalt) an und vermietet dieses stark vergünstigt für maximal zwei Jahre an Gewerbetreibende. So können Immobilieneigentümer leichter neue Nutzer für ihr Ladenlokal finden. Der Mieter zahlt nur 20 Prozent der regulären Miete. Voraussetzungen sind aber ein Konzept, das Passanten anlockt, und ein zukunftsorientiertes, tragfähiges Geschäftsmodell.
Schwierig sei es überhaupt, allein auf den Handel zu setzen. Werden in Witten zwei Konsumtempel wie der einstige Kaufhof und die Stadtgalerie überleben können? Jenni Duggen hat Zweifel: „Seien Sie froh, dass Sie in der Stadtgalerie eine so engagierte Managerin haben.“
Mittlere Bahnhofstraße schwächelt
Insbesondere die mittlere Bahnhofstraße mit den Leerständen im Krüger-Haus, Vodafone-Shop und Camp David schwächele. Der Modeladen mit Dieter Bohlen als Werbeträger hat erst vor Kurzem geschlossen, als Begründung nannte das Unternehmen das „geringe Potenzial der Wittener Innenstadt“.
Ruhr- und Bahnhofstraße müssten sich in eine „multifunktionale Innenstadt“ verwandeln, sagt Jenni Duggen: „Die Ruhrstraße mit innovativen Konzepten wie Füllbar/ettics, das Wiesenviertel mit kleineren, individuellen Angeboten im Handels- und Dienstleistungsbereich – das ist das, was den Standort Witten im positiven ausmacht.“ Sie betont: „Der Wert einer Stadt ist mehr als nur der Konsum.“