Witten. Das Gesicht kennt man doch? Sonja Leidemann ist seit 16 Jahren Bürgermeisterin von Witten. Warum es die 60-Jährige jetzt noch einmal wissen will.

Sie ist schon ein Jahr länger im Amt als Angela Merkel und will es nach 16 Jahren noch einmal wissen. Nein, amtsmüde sei sie nicht. „Ich muss noch viel fertigmachen“, sagt Bürgermeisterin Sonja Leidemann, die diesmal wieder von der SPD zur Kandidatin gekürt wurde.

Kein Stadtoberhaupt hat Witten nach dem Zweiten Weltkrieg länger regiert als die heute 60-jährige Wahl-Herbederin, deren Aufstieg an die Stadtspitze einst als VHS-Chefin begann. Damals hätte sich die gebürtige Burgaltendorferin wohl nicht träumen lassen, dass sie eines Tages zum vierten Mal als Bürgermeisterin kandidieren würde.

SPD ließ die damals ungeliebte Genossin aus Witten 2015 fallen

Trotz Corona und vieler Termine dürfte ihr der Wahlkampf diesmal deutlich leichter fallen. Unvergessen das Jahr 2015, als die SPD sie fallen ließ und ihren eigenen Ersten Beigeordneten gegen sie aufstellte. Sonja Leidemann zog allein in den Kampf – und gewann haushoch. Doch die Anstrengung war ihr damals buchstäblich anzusehen.

Nun liegen fünf recht reibungslos verlaufene GroKo-Jahre hinter ihr, ohne nennenswerte Scharmützel mit den Mehrheitsfraktionen. Die beklagen nur, dass ihre Anfragen nicht richtig beantwortet werden. Es könnte schlimmer kommen.

„Witten sicher durch schwere Zeiten führen“, lautet ein Wahlkampf-Slogan

Sonja Leidemann wirbt für sich allein auf den Plakaten (links), ohne SPD-Logo. Weil sie die Bürgermeisterin für alle in Witten sein wolle.
Sonja Leidemann wirbt für sich allein auf den Plakaten (links), ohne SPD-Logo. Weil sie die Bürgermeisterin für alle in Witten sein wolle. © Ziegler

Leidemann setzt darauf, dass die Menschen ihr, der Amtsinhaberin, vertrauen, gerade jetzt, in der Corona-Krise. „Witten sicher durch schwere Zeiten führen“, lautet einer ihrer Wahlkampfslogans. Obwohl man während des Lockdowns wenig von ihr gehört hat – sie sei immer präsent gewesen, im Rathaus, im Krisenstab, es sei so viel zu tun gewesen. „Masken beschaffen, Desinfektionsmittel, sich später um die Schulen, die Kitas kümmern“.

Dass das Rathaus schon vor Corona über 500 digitale Arbeitsplätze verfügt habe, sei der Verwaltung in der Pandemie zugute gekommen. „Die Kollegen konnten von zuhause aus arbeiten“, sagt die Verwaltungschefin. Die sich noch heute freut, wenn ein Kind ruft: „Frau Leidemann, ich habe Sie auf einem Plakat gesehen.“

Ihr Bekanntheitsgrad gibt ihr den nötigen Rückenwind. Zieht man eine Bilanz ihrer letzten Amtszeit, hängt das wohl nicht zuletzt vom Betrachter ab, wie die ausfällt. Sie selbst kann lange erzählen, was geschafft worden und noch in der Pipeline sei, ob Rathaus-Sanierung, eine schwarze Null im Haushalt, Kita-Ausbau, Offener Ganztag, Schulsanierungen, Straßenbauprojekte oder Digitalisierung. Sie sagt nicht, dass schon alles gut sei.

Die fehlende Digitalisierung in den Schulen will sie sich nicht ankreiden lassen

Nehmen wir die Schulen. 100 Millionen Euro will die GroKo für deren Instandsetzung ausgeben. Dass die Digitalisierungsoffensive durch Corona viele kalt erwischt hat, will sich Leidemann nicht ankreiden lassen. Für eine Million Euro kaufe man jetzt 1500 neue Laptops. „Aber der Markt ist leergefegt. Wir können ja nicht mal eben bei Saturn anrufen.“ Jede Schule müsse ein eigenes Digitalisierungskonzept erstellen. Die Stadt habe jemanden beauftragt, der ihnen dabei zur Seite steht.

Und wo bleiben die bitter benötigten Gewerbeflächen, Frau Bürgermeisterin, die erhofften Ansiedlungen auch auf den Opel-Flächen? „Sie sind von Bochum vereinnahmt worden“, sagt Leidemann. Trotzdem habe Witten es geschafft, eigene Flächen zu entwickeln – etwa für Hermes, Amazon und Euzil. Das sei ohne Landesmittel gelungen. Mit „Drei Könige“ habe man zudem Mittelständler in der Stadt halten können. Unterm Strich seien in den letzten zehn Jahren 3000 neue sozialversicherungspflichtige Jobs entstanden.

Pferdebachstraße in Witten ist das „größte Straßenbauprojekt seit dem Zweiten Weltkrieg“

„Größtes Straßenbauprojekt seit dem Zweiten Weltkrieg“: Die Pferdebachstraße in Witten wird umgebaut und saniert.
„Größtes Straßenbauprojekt seit dem Zweiten Weltkrieg“: Die Pferdebachstraße in Witten wird umgebaut und saniert. © FUNKE Foto Services | Jürgen Theobald

Und was ist mit den maroden Straßen? Und der Verkehrswende? Leidemann erinnert an den Umbau der Pferdebachstraße, „das größte Straßenbauprojekt seit dem Zweiten Weltkrieg“, an die neuen Radwege dort, und dass ewige Rumpelstrecken wie die Herbeder Straße Richtung Bahnhofstraße schon wegen der Schienenerneuerung bis 2026 erledigt sein müssten.

Und der Klimaschutz? Den ganzen Verkehr aus der Innenstadt herauszunehmen, werde nicht funktionieren. Aber durch neue Parkraumbewirtschaftungskonzepte, sprich eine bessere Nutzung der Parkhäuser, wolle man die City zumindest autoärmer machen. Leidemann erinnert daran, dass es bald im Krüger-Haus die erste autofreie Kita gebe.

In Buchholz über „Elterndienste“ in Kita gesprochen – „wie bei meinen Kindern damals“

Und die schleppende Umsetzung des Radkonzepts? Ja, das dauere etwas, „aber es wird“. Auch hier schlug ihr zufolge der Mangel an Fachkräften, etwa Verkehrsplanern, durch. Erzieherinnen sei ebenfalls schwer zu bekommen, weil überall neue Plätze entstünden. Mit Eltern in Buchholz habe sie über Elterndienste gesprochen, um Betreuungszeiten am Nachmittag abzudecken, „wie damals bei meinen Kindern“. „Doch heute wird nur Fachpersonal zugelassen.“

Und wie will sie die Innenstadt stabilisieren? Ein Pfund sei, dass die City einen hohen Wohnanteil aufweise. Nach der Sicherung der Stadtteile gelte es nun, das Zentrum zu festigen. So werde am Kornmarkt daran gedacht, nur Wohnungen zu bauen. Für die Innenstadt schweben ihr „mehr Dienstleister und mehr Stadtgrün“ vor.

„Ohne Mehrheiten bin ich als Bürgermeisterin nichts“

„Die Leute sagen immer, Frau Leidemann, machen Sie mal“, sagt die Bürgermeisterin. Und fügt hinzu: „Aber wenn die Leute bei Amazon kaufen...“ Nun, um etwas zu bewegen, brauche sie Mehrheiten – so wie sie zuletzt mit der GroKo hatte. „Ohne Mehrheiten“, sagt Leidemann, „bin ich als Bürgermeisterin nichts und kann aus dem Fenster springen.“