Witten. Fahrrad fahren in Witten ist mitunter lebensgefährlich, wurde bei einer Diskussion in der Werkstadt beklagt. Kommt denn bald die Verkehrswende?
Mehr Fahrrad- und Spielstraßen, flächendeckend Tempo 30 in der City, ein attraktiverer und vor allem preiswerterer Nahverkehr, mehr markierte und durchgehende Radwege, eine schnellere Umsetzung des Radverkehrskonzeptes und eine möglichst autofreie Innenstadt – das waren Forderungen, die bei einer Diskussion zur Kommunalwahl über die „Wittener Verkehrswende“ laut wurden. Aber wie lange wird es dauern, all das umzusetzen?
Was das seit einem Jahr vorliegende Radverkehrskonzept angeht, rechnet Fahrradbotschafter Andreas Müller mit mindestens zwei Ratsperioden, sprich zehn Jahren, um die wichtigsten Maßnahmen auf die Strecke zu bringen. Müller hatte zusammen mit dem Allgemeinen Deutschen Fahrradclub (ADFC) und dem Verkehrsclub Deutschland (VCD) die verschiedenen Parteien zur Debatte in der Werkstadt geladen.
Einig waren sich Politik und Radlobby, dass die Mobilitätswende kommen muss. Und die Zeit drängt, machte Müller deutlich, wolle Deutschland die CO2-Emissionen bis 2030 halbieren. Mit Elektromobilität allein werde das nicht zu schaffen sein.
Joachim Drell von den Grünen brachte das Problem auf den Punkt, den immer noch starken Autoverkehr in Witten und im gesamten Ruhrgebiet. „Alles ist noch zu sehr auf das Auto zugeschnitten“, sagte Drell. Er forderte wie alle anderen Teilnehmer einen attraktiveren Nahverkehr. „Ich komme aus Berlin und weiß, was ein guter Nahverkehr an Lebensqualität bringt. Wir brauchen einfachere und billigere Tarife, mehr Sauberkeit, Pünktlichkeit und bessere Taktzeiten.“
Andreas Redecker vom Verkehrsclub forderte, Gelder und Flächen zwischen den einzelnen Verkehrsträgern umzuverteilen. „Wir brauchen eine Mobilitätswende und müssen davon wegkommen, dass das Auto immer zuerst gedacht wird. Wir müssen uns den Autoschlüsselreflex abgewöhnen.“
Bürgermeisterkandidat Stefan Borggraefe (Piraten) wünscht sich zum Beispiel ein „smartes Park-Leit-System“, das den Autofahrer in die zu wenig ausgelasteten Parkhäuser führt. Davon verspricht er sich mehr öffentlichen Raum für Fußgänger.
Bürgermeisterkandidat des Bürgerforums in Witten nennt Holland ein gutes Beispiel
Martin Strautz, Bürgermeisterkandidat des Bürgerforums, nannte die Holländer als positives Beispiel. „Sie denken den Straßenbau von den Fußgängern und Radfahrern her.“ Als begeisterter Fußgänger outete sich CDU-Bürgermeisterkandidat Lars König. In der Innenstadt oder etwa Herbede sei „vieles fußläufig möglich“. Problematisch sei es gerade auf dem Lande. E-Bikes seien eine Alternative, aber auch Anrufsammeltaxis. Der Öffentliche Nahverkehr, war sich der Christdemokrat mit den anderen Parteienvertretern einig, „ist sauteuer“.
Während Stefan Borggraefe von den Piraten ein 365-Euro-Jahresticket forderte, sprach sich Ulla Weiß von der Linkspartei sogar für einen Nulltarif bei Bus und Bahn aus. „Dann könnte jeder umsteigen.“ Weiß plädierte auch für einen Viertelstundentakt, etwa zwischen Annen und Bommern oder Stockum und der Uni. „Der ÖPNV wird in dem Moment attraktiver, wo er preiswerter wird“, sagte Claus Humbert von der SPD.
FDP-Vertreter aus Witten setzt beim Nahverkehr auf Zusammenarbeit der Städte
Die Chance für einen besseren Nahverkehr sieht Steffen Fröhlich (FDP) aber nur in der Zusammenarbeit der Städte. „Wir dürfen nicht sagen „die da in Schwelm und wir hier in Witten.“ „Die Kleinstaaterei muss ein Ende haben“, forderte ein junger Mann aus dem Publikum. Er beklagte, dass es bis heute keine direkte Verbindung zur Uni Dortmund gebe.
Ein weiteres großes Thema war die Sicherheit im Verkehr. Zuhörer aus dem Publikum forderten flächendeckend Tempo 30, zumindest in der Innenstadt. „Kinder sind in Lebensgefahr, wenn man sie von der Hand lässt“, sagte ein junger Mann aus dem Wiesenviertel, der sich dort zum Beispiel eine Fahrrad- und Spielstraße wünscht. Ein älterer Herr vom Schnee meldete sich ebenfalls zu Wort: „Wir haben zwar Tempo 30, aber keinen Fußweg. Hier warten wir seit Jahren auf eine Lösung.“ Ein junger Vater sagte, er sei froh, wenn er seinen Sohn mit dem Rad über die Ardeystraße zur Kita bringt und diese lebend erreicht.
Die Politik schloss sich dem Ruf nach Tempo 30 weitgehend an. Wobei Lars König von der CDU darauf hinwies, dass es viele solcher Abschnitte schon gebe und trotzdem noch gerast werde. „Das ist eine Frage des persönlichen Verhaltens und der Einsicht.“
Fahrradbotschafter Andreas Müller nannte Helsinki als gutes Beispiel. Dort gelte Tempo 40 und es gebe schon seit Jahren keine Verkehrstoten mehr. Claus Humbert von der SPD erhofft sich von der Verschärfung des Bußgeldkatalogs eine höhere Disziplin unter Autofahrern. Stefan Borggraefe versteht nicht, warum „Poser“ mit ihrem aufgemotzten Schlitten nicht öfter kontrolliert werden.
Wo aber alle Beteiligten gerne aufs Tempo drücken würden: Das Radverkehrskonzept müsse schneller umgesetzt werden. Der gute Wille von Verwaltung und Politik sei zwar da. „Aber das Radfahren ist nicht sicherer geworden“, beklagte Susanne Rühl, Vorsitzende des Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs im EN-Kreis.
Umsetzung des Fahrradkonzepts in Witten verläuft vielen zu schleppend
40 Abstellbügel und 400 Meter Fahrradstreifen an der Westfalenstraße, das hätte ich auch allein geschafft“, kritisierte Joachim Drell (Grüne) die schleppende Umsetzung des Radkonzepts im ersten Jahr. „Es müssen schnell Radwege her. 2030 ist zu spät“, sagte Ulla Weiß von den Linken. Mit geringem Aufwand ließe sich schon einiges erreichen, etwa hinsichtlich der Verkehrsführung, sagte Andreas Redecker vom Verkehrsclub Deutschland. „Farbe hilft auch.“
Einen Wunsch hatte zum Schluss noch SPD-Ratsherr Claus Humbert an die Gastgeber der Werkstadt, wo die Diskussion stattfand: Es fehlten Abstellmöglichkeiten für Fahrräder.
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