Witten. Endspurt: Noch eine Woche haben die Parteien in Witten Zeit, um Wählerstimmen zu sammeln. Doch wie funktioniert Straßenwahlkampf in der Pandemie?
14 Grad, Nieselregen: Dieser Samstagvormittag (4.9.) verlockt nicht gerade zum Straßenwahlkampf. Doch in Zeiten von Corona ist der wichtiger denn je. Und es geht in den Endspurt. Noch eine Woche haben die Parteien in Witten Zeit, um Stimmen für die Kommunalwahl am 13. September zu gewinnen. Deshalb haben sie auch diesmal wieder ihre Infostände vom Kornmarkt bis zur Stadtgalerie aufgebaut. Doch nicht alle zeigen Präsenz.
Wer über den Zwiebelmarkt am Rathausplatz Richtung Galeria Kaufhof spaziert, der sieht zunächst rot. Die SPD wirbt fleißig um Stimmen. Bürgermeisterin Sonja Leidemann trägt gegen die kühlen Temperaturen vier Schichten übereinander. Sie verteilt Holzwürfel, aus denen mal Kresse wachsen soll, und Beutel für den nachhaltigen Obsteinkauf im Supermarkt. Eine junge Familie aus Heven kommt vorbei. Die Tochter nimmt gerne die Stifte, die Mama das Infomaterial. Aber eigentlich, sagt sie, „sind wir nicht deswegen hier“.
Gespräche im Wittener Wahlkampf drehen sich um Baustellen und Arbeitsplätze
„Die Stimmung ist trotz Corona gut“, sagt Axel Echeverria, Vorsitzender der Wittener SPD. Die Gespräche drehen sich um die vielen parallelen Baustellen in der Stadt, um Öffentlichen Nahverkehr, Kinderbetreuung oder die Digitalisierung in den Schulen. Oft gehe es aber auch um ganz wohnortspezifische Probleme, etwa warum eine Fußgängerampel zu schnell umschaltet. „Und viele machen sich Sorgen um ihren Arbeitsplatz“, sagt der Parteichef.
Soziale Medien als Wahlhelfer
Nahezu alle Parteien in Witten nutzen die sozialen Medien, um die Bürger in der Coronakrise über ihre Programme zur Kommunalwahl zu informieren. Denn Podiumsdiskussionen gibt es nicht, auch Hausbesuche sind gerade nicht das Mittel der Wahl.
So sind etwa die Grünen täglich auf Facebook und Instagram aktiv. Ulla Weiß (Linke) hat „extra Facebook gelernt“. Die SPD hat Videos von allen Ratskandidaten gemacht und ins Netz gestellt. Die Piraten nutzen Facebook, Twitter und Youtube. Aber auch mit Demos oder Fahrradtouren machen manche auf ihre Anliegen aufmerksam.
Gegenüber steht Steffen Fröhlich, Spitzenkandidat der FDP, unterm gelben Schirm. Die schwarze Maske hängt gerade auf halbmast. „Es geht doch um Gesichter“, sagt der Kommunalpolitiker, der den Wahlkampf eher als schleppend empfindet. Doch Lea Banger, die junge Kandidatin für den Stadtrat, plaudert gerade angeregt mit einem Bürger.
Das Zelt hängt durch, Infozettel sind aufgeweicht
Ein Stückchen weiter die Fußgängerzone runter macht die Linke gute Miene zum schlechten Wetter. Das rote Zelt hängt durch. Die Infozettel sind durchweicht. Sonnenbrillen werden heute nicht so gerne genommen. Aber es gibt ja noch Radiergummis und Blumensamen. „Die ersten beiden Samstage lief es aber super“, sagt Bürgermeisterkandidatin Ulla Weiß über den Straßenwahlkampf. Sobald die Sonne scheine, hätten die Menschen auch Lust, längere Gespräche zu führen.
Schräg gegenüber leuchtet es grün: Masken, Schirme – alles grün, wie der Parteiname auch. Franziska Klage reicht sofort das Programm an. Die 21-Jährige ist sonst für den Internetauftritt zuständig, der in der Pandemie umso wichtiger ist. „Darüber bringen wir viele Informationen rüber“, sagt sie. Denn öffentliche Veranstaltungen wie Podiumsdiskussionen, auf denen sich die Parteien vorstellen können, sind ja nicht möglich. Auch hier gibt es Blumensamen, Gummibärchen – und Kondome, die noch von der Europawahl übrig geblieben sind.
Mann aus Annen: Von Plakaten lasse ich mich nicht leiten
Patrick Berg nutzt die Gelegenheit und spricht Bürgermeisterkandidat Stefan Borggraefe von den Piraten auf dem Berliner Platz an. Dem Annener, selbst Biker, geht es um Wochenendfahrverbote für Motorradfahrer und um die Gewerbeansiedlung am Vöckenberg. Von Plakaten lasse er sich nicht leiten, sagt der 39-Jährige. Gleich will er noch zu den Grünen rüber.
Direkt neben den Piraten stehen die Herren von Witten direkt mit Bürgermeisterkandidat Peter Skotarzik. Gerade mal 1500 Euro hat die Wählergemeinschaft in den Wahlkampf investiert. Es gibt keine Plakate, dafür die Banner vom letzten Mal, 3000 Flyer und Capri-Sonne. „Wir haben Spaß“, sagt Skotarzik, der aber lieber täglich mit seinem werbewirksamen Elektro-Dreirad unterwegs ist.
Ein 78-jähriger Wittener Bürger vom Ardey war letzten Samstag schon da, um sich zu informieren. „Ich weiß von allen Parteien, was die wollen. Aber ich weiß nicht, was ich will“, sagt er. Die Innenstadt sei ihm nicht grün genug, die beiden Hotelneubauten begrüße er nicht, mit der Verwaltung sei er nicht zufrieden. „Aber man kann ja besser werden“, hofft der Mann.
Pantomime verteilt Rosen und Parteiprogramme
Auf dem Weg zur Stadtgalerie klingt Musik herüber. Ein Pantomime mit weißem Gesicht verteilt Rosen und Wahlprogramme des Wittener Bürgerforums. „Braucht ihr noch politisches Material?“, fragt Bürgermeisterkandidat Martin Strautz die Vorübereilenden. Doch die meisten nehmen lieber eine Rose entgegen. Direkt vor dem Kugelbrunnen liegt ein seltsames Holzgerüst über blauem Plastik. Es soll die Herbeder Brücke an der Ruhr darstellen, deren Sanierung wegen der Länge der Bauzeit umstritten ist. „Wir wollten zeigen, dass wir eine Brücke innerhalb von zehn Minuten aufbauen können und keine vier Jahre dafür brauchen“, erklärt Lars Stucka.
Die Runde endet beim Stand der Ökologisch-Demokratischen Partei (ÖDP). „Wir treten zum ersten Mal an“, sagt Gerd Lappe, der Spitzenkandidat, ehemals Vorsitzender des Kreisverbands der Tierschutzpartei, der sich aufgelöst hat. Sonst sei die ÖDP vor allem in Süddeutschland aktiv, erst Mitte Mai habe man sich in Witten zusammengetan und deshalb in der Kürze der Zeit nur 17 von 25 Wahlbezirken besetzen können.
Dann lugt die Sonne doch noch hervor. Jene, die sich in der City gezeigt haben, freuen sich über ein wenig Wärme. Nicht zu sehen waren an diesem Samstag die Vertreter von CDU und WBG. Hier gibt es mehr Artikel, Bilder und Videos aus Witten