Witten. Martin Strautz ist der erste Bürgermeister-Kandidat des Wittener Bürgerforums. Er wünscht sich einen Schuldenschnitt und eine attraktivere City.
Eigentlich wollte er einmal Entwicklungshelfer werden und wurde dann Heilpraktiker mit eigener Praxis in Hattingen. Seit 20 Jahren verdient Martin Strautz sein Geld jedoch als Wirtschaftsberater. Seine Kunden sind vor allem Ärzte. Ein Schelm, der denkt: Ach, so ist der Mann zum Wittener Bürgerforum gekommen, das 2009 insbesondere von Medizinern gegründet wurde. Martin Strautz ist erst seit zwei Jahren Mitglied der Wählergemeinschaft und hat es dort schon weit gebracht: Der 55-jährige Fraktionsgeschäftsführer ist deren erster Bürgermeister-Kandidat.
Wittener, die sich für Kultur interessieren, dürften den gebürtigen Braunschweiger kennen. Er hat sich für das Wiesenviertel stark gemacht, ist Mitorganisator der sogenannten Sagentage und hat dafür gesorgt, dass das Festival „Kulturschock“ die untere Bahnhofstraße im vergangenen Oktober einen Tag lang in eine lebendige Kulturmeile verwandelte. Strautz ist einer, der sich unter „bunten Vögeln“ wohlfühlt, der gerne gegen den Strich denkt, der nichts mit Aussagen anfangen kann, die da lauten: „Das geht nicht.“ Seit über 16 Jahren lebt er in Witten und wohnt mit seiner zweiten Frau Monika, die in der Wiesenstraße ein Haus für Hawaiianische Massage betreibt, und seinem Sohn Moritz (11) in der Innenstadt.
„Die Bahnhofstraße ist doch grau. Das ist doch schrecklich für das Auge und das Herz“
Stichwort City. Da ist Martin Strautz bei einem seiner Lieblingsthemen. Schließlich wirbt er auf einem seiner Wahlplakate mit dem Slogan „Frische Luft für Witten!“ Strautz hat im Bürgerforum zusammen mit dem Wittener Architekten und Künstler Lars Stucka das „Forum Stadt- und Quartiersentwicklung“ entwickelt. Als Ideenschmiede für eine autoärmere Stadt, für neue Verkehrskonzepte, Dachparks zur Belebung der Innenstadt. Dachparks in der City? Was Spaziergänger von unten oft nicht sehen: In der oberen Hälfte der Bahnhofstraße gibt es jede Menge Häuser mit Flachdächern, die sich für eine Dachbegrünung eignen würden – wenn die jeweiligen Eigentümer daran Interesse hätten, sagt Strautz.
„Ein öffentlicher Dachpark, vielleicht sogar mit Brücken zwischen den Häusern“, das ist für den Bürgermeister-Kandidaten keine Fantasterei, sondern etwas Überlegenswertes, das auch dem Stadtklima zugute kommen würde, wie er meint. „Im österreichischen Graz, aber auch in Paris und New York gibt es so etwas schon.“ Auch unten, in der Fußgängerzone, könnte die Bahnhofstraße mehr Grün gebrauchen, findet Martin Strautz. „Die Straße ist doch grau. Das ist schrecklich für das Auge und das Herz.“
Gedanken hat er sich auch zum leidigen und langjährigen Thema Ladenleerstände in der Bahnhofstraße gemacht. Er schlägt eine Ladenleerstands-Steuer vor. Soll heißen: Werden Ladenlokale nicht vermietet, weil der oder die Eigentümer zum Beispiel zu hohe Mieten verlangen, sollte die geplante Miete besteuert werden. Wie hoch soll die Steuer ausfallen? „So, dass es den Eigentümern wehtut.“ Stelle ein Hausbesitzer ein leeres Ladenlokal kostenfrei einer gemeinnützigen Organisation oder Kulturschaffenden zur Verfügung, sei dieser von der Steuer befreit, so Martin Strautz.
Der Kandidat macht sich in Düsseldorf für einen Schuldenschnitt stark
Der gebürtige Niedersachse gehört auch zu den Gründern der Wittener Klima-Allianz, einem gemeinnützigen Verein, der sich für den Klimaschutz in der Stadt stark macht. Die autoarme City ist dem passionierten Radfahrer ein großes Anliegen, der sich eine Fahrradstraße von der Nachtigallbrücke an der Ruhr bis zur Wittener Universität wünschen würde. „Ich besitze gar kein Auto, habe aber ein Ticket 2000.“ Die autofreie City hält Martin Strautz für eine Illusion. Er glaubt aber, dass es weniger Autos in der Innenstadt geben könnte, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Hierzu zählt er Parkhäuser, die rund um die Uhr angesteuert werden können. Wie Ulla Weiß, Bürgermeister-Kandidatin der Linken, spricht sich Strautz für einen kostenlosen ÖPNV aus, der auch städteübergreifend geplant werden sollte. Was bislang nicht der Fall sei. „Da gibt es im Ruhrgebiet noch zu viel Kirchturmspolitik.“
Noch ein Thema, das ihm auf den Nägeln brennt: Die Stadt Witten, die tief in den roten Zahlen stecke, müsse wieder handlungsfähig werden. Mit einer Petition setzt sich der Bürgermeister-Kandidat derzeit für einen Schuldenschnitt beim Petitionsausschuss des Düsseldorfer Landestags ein. Denn: „Die Stadt Witten hat rund 350 Millionen Euro Altschulden, hinzu kommen Corona-Schulden.“ Dass der Schuldenschnitt schnell kommt, daran glaubt Strautz nicht. „Bund und Land müssten die Schulden übernehmen und dazu sind sie derzeit nicht bereit.“
Freie Kulturschaffende in Witten sollen vom Bürgermeister-Einkommen profitieren
Bevor er 2018 ins Bürgerforum eintrat, war der jetzige zweite Vorsitzende der Wählergemeinschaft parteipolitisch nicht aktiv. Das Bürgerforum verstehe sich auch als politische Unterstützung für Vereine und Initiativen, sagt Strautz. „Das passte für mich und mein Engagement, deshalb bin ich eingetreten.“
Sollte er Bürgermeister werden, stellt der Kandidat in Aussicht, dass er zunächst einmal für ein Jahr die Hälfte seines Einkommens als Bürgermeister gemeinnützigen Initiativen sowie Kunst- und Kulturprojekten der freien Szene zur Verfügung stellen wird. Warum? Das kommende Jahr werde finanziell gesehen aufgrund der Corona-Lage kein gutes, befürchtet der 55-Jährige.
>>> WICHTIGE PUNKTE DES WAHLPROGRAMMS DES WITTENER BÜRGERFORUMS:
Die Wählergemeinschaft setzt sich für eine Entschuldung der Städte und Kommunen ein. Die Coronakrise werde zu einem noch höheren Schuldenberg der Stadt Witten und des Staates führen, heißt es. Unter dem Stichwort „Wirtschaft, Arbeit und Soziales“ wird betont, dass der gesellschaftliche Zusammenhalt bedroht sei. „Die Reichen werden reicher und die Armen ärmer.“
Prekäre Arbeitsverhältnisse hätten in den letzten Jahren zugenommen. Außerdem seien die Reallöhne nicht im erforderlichen Maß mit der Produktivität gestiegen. „Eines der negativen Resultate ist die ansteigende Armut, besonders die Kinder- und Altersarmut“, meint das Bürgerforum. Daher müssten Löhne erhöht und prekäre Beschäftigungen weniger werden. Außerdem müsse die soziale Absicherung stark verbessert werden.
Die Wählergemeinschaft setzt auch auf sozialen Wohnungsbau
Bei der Stadtentwicklung setzt sich das Bürgerforum angesichts des Klimawandels für grüne innerstädtische Flächen ein, die für mehr frische Luft sorgen. Stichworte: Dachparks auf Flachdächern in der City, Fassadenbegrünung. Außerdem brauche Witten ein neues Verkehrskonzept. Denn die Feinstaubbelastung in der Innenstadt sei zu hoch, der Lärm mache krank.
Beim Thema Wohnen setzt die Wählergemeinschaft „in Zeiten von Altersarmut und Einkommensschere“ auch auf sozialen Wohnungsbau.
In ihrem Wahlprogramm verweist das Bürgerforum darauf, dass die Wahlbeteiligung bei der letzten Bürgermeisterwahl in Witten 2015 bei unter 40 Prozent lag. „Ein wichtiger Grund liegt darin, dass die Menschen allgemein von der Politik enttäuscht sind und das Gefühl haben, dass sie keinen Einfluss auf wichtige Entscheidungen haben“, so die Interpretation. Das Bürgerforum setzt sich für alle Formen direkter Demokratie ein, „die das Engagement der Bürger fördern, damit diese sich aktiv an der Gestaltung der Gemeinschaft beteiligen können“. So müssten auch die Bedürfnisse der Menschen in einem Quartier Kern der Stadtentwicklung sein.
„Die soziale Ungleichheit wird durch Schule zu wenig ausgeglichen“
Stichwort Bildung: „Schule ist immer noch zu wenig durchlässig. Die soziale Ungleichheit wird durch Schule zu wenig ausgeglichen“, heißt es im Wahlprogramm. Witten brauche eine moderne Schullandschaft, „die den Anforderungen der veränderten Schülerschaft durch Integration, Inklusion und der Digitalisierung gewachsen ist“.
Das komplette Wahlprogramm des Wittener Bürgerforums findet man online unter: https://buergerforum-witten.de/wahlprogramm/
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