Wattenscheid. „Wie wollen wir sterben?“ Diese Frage wird morgen in der Friedenskirche gestellt. Redakteurin Ellen Wiederstein sprach mit Prof. Dr. jur. Ruth Rissing-van Saan, Vorsitzende des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe a.D.. Der von ihr geführte BGH-Senat erließ im Juni 2010 die Entscheidung zur Sterbehilfe, von den Medien auch als „Scheren-Attacke“ bezeichnet.
Sterben ja – aber wie?
Prof. Dr. jur. Ruth Rissing-van Saan: Ich möchte mein Sterben bewusst erleben. Wenn es geht, ohne Angst und möglichst wenig Schmerzen.
Bitte schildern Sie kurz den Vorgang, der zur BGH-Entscheidung geführt hat.
Die Mutter hatte einen Schlaganfall, fiel danach ins Wach-Koma. Es gab weder eine Patientenverfügung, noch eine Vorsorgevollmacht. Sie hatte ihrer Tochter aber gesagt, auf jedwede lebensverlängernden Maßnahmen, also künstliche Ernährung oder Herz-Lungen-Maschine, verzichten zu wollen. Fünf Jahre lag sie im Wach-Koma, viele davon im Heim. Die Tochter wollte die künstliche Ernährung einstellen lassen, gegen den Willen des Heims. Die Mutter war inzwischen auf 40 Kilogramm abgemagert. Der Arzt sah ein, dass die künstliche Ernährung nichts mehr brachte. So einigte man sich mit dem Heim auf einen Kompromiss. Das Heimpersonal sollte weiter pflegen, die künstliche Ernährung aber durch die Tochter eingestellt werden. Das lehnte die Heim-Geschäftsführung ab. Als die Fortsetzung der künstlichen Ernährung durch das Heimpersonal bevorstand, wandte sich die Tochter an einen Anwalt, der ihr riet, die Ernährungssonde durchzuschneiden und so dem Willen der Mutter Rechnung zu tragen. Vom Landgericht wurde die Tochter, angeklagt wegen versuchten Totschlags, freigesprochen, wegen unvermeidbaren Verbotsirrtums. Der ebenfalls angeklagte Anwalt wurde zu neun Monaten auf Bewährung verurteilt. Der BGH sprach den Anwalt auf dessen Revision vom Vorwurf des versuchten gemeinschaftlichen Totschlags frei, weil es sich nicht um eine versuchte Tötung handelte, sondern um einen rechtmäßigen, dem Patientenwillen entsprechenden Behandlungsabbruch. Der BGH entschied: Das Durchschneiden der Ernährungssonde bei einer komatösen Frau ist legal, wenn es nachweisbar ihrem Willen entspricht.
Was hat sich durch das BGH-Urteil geändert?
Die strikte Unterscheidung zwischen Tun und Unterlassen gilt nicht mehr als Maßstab für den zulässigen Abbruch einer nicht gewollten medizinischen Behandlung. Heime, die gegen den Willen des Patienten die PEG, also die künstliche Ernährung, legen, begehen eine Körperverletzung. In den Fokus gerückt ist die Wichtigkeit einer Patientenverfügung.
Also gilt auch die mündliche Patientenverfügung?
Auch eine mündliche Willenserklärung hat als sog. Behandlungswunsch rechtliche Bedeutung und muss beachtet werden. Eine schriftliche Patientenverfügung ist verbindlich. Selbst wenn sie nicht bis ins letzte Detail hinein formuliert ist, enthält sie wichtige Hinweise darauf, wie der Patient behandelt werden will oder nicht. Allein das zählt.
Die Zehn Gebote gelten als das Grundgesetz des Lebens. Das Fünfte lautet: Du sollst nicht töten. Wie vereinbart sich das?
Töten bedeutet, von außen in einen Lebensprozess einzugreifen, um ihn zu beenden.
„Sterbehilfe“ – ein Tabu?
„Sterbehilfe“ ist die Hilfe zum oder beim Sterben eines lebensbedrohlich erkrankten Menschen. Hier wird unterschieden zwischen den erlaubten Formen der passiven und der indirekten Sterbehilfe. Passiv bedeutet, einen dem Tod geweihten Menschen sterben zu lassen, ihm z.B. keine künstliche Ernährung oder maschinell lebensverlängernde Hilfe zu geben. Indirekt heißt das, leidensmindernde Medikamente (Morphium) zu verabreichen. Verbotene aktive Tötung hingegen, wenn von außen, z.B. durch die Verabreichung von Gift, in den Krankheitsprozess eingegriffen wird, um den Todeseintritt zu beschleunigen.