Straßburg/Berlin. Weigert sich ein Staat, Beihilfe zum Selbstmord zu leisten, ist das kein Verstoß gegen die Menschenrechte. So lautet ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg, das jetzt im Fall eines manisch-depressiven Schweizers entschied.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat am Donnerstag ein weitreichendes Urteil zur Sterbehilfe in der Schweiz verkündet. Ein manisch-depressiver Mann hatte dagegen geklagt, dass er von den Schweizer Behörden keine Erlaubnis erhielt, die tödliche Dosis eines Medikaments ohne Rezept zu erwerben. Die Straßburger Richter sahen in der behördlichen Weigerung aber keinen Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention. Die Schweiz könne nicht dafür kritisiert werden, keine Beihilfe zu einem Selbstmord geleistet zu haben, heißt es im Urteil.

Die Patientenschutzorganisation Deutsche Hospiz Stiftung begrüßte das Urteil. „Auch an die deutsche Suizid- und Sterbehilfe-Diskussion sendet die Entscheidung ein deutliches Signal“, sagte Eugen Brysch, der Geschäftsführende Vorstand der Hospiz Stiftung in Berlin. Es lasse sich kein allgemein gültiger Leidenskatalog aufstellen, der festlegt, wann jemand das Recht hat, Hilfe beim Suizid zu verlangen. „Es ist unmöglich, Leiden zu objektivieren. Das eigene Befinden ist immer nur subjektiv messbar“, sagte der Stiftungsvorstand. Es gebe zwar ein Recht auf Sterben. „Es gibt aber kein Recht auf Tötung, das ich gegenüber einem Dritten einfordern kann“, betonte Brysch.

Psychiater wollten kein Rezept aufstellen

Der im schweizerischen Meltingen lebende, 1953 geborene Kläger hat bereits zwei erfolglose Selbstmordversuche hinter sich und wollte seinem Leben „in einer sicheren und würdigen Weise“ ein Ende setzen. Der Schweizer Staatsangehörige sah durch die behördliche Weigerung, das verlangte Medikament rezeptfrei abzugeben, sein Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verletzt. Dieses Recht ist in Artikel 8 der Menschenrechtskonvention festgeschrieben. Er argumentierte, der Staat habe eine „Verpflichtung“, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass ein Suizid sicher und schmerzfrei begangen werden könne.

Der Mann leidet seit rund 20 Jahren unter einer schweren „bipolaren Störung“, die durch extreme Stimmungsschwankungen und manisch-depressive Phasen gekennzeichnet ist. Mehrere Psychiater, an die er sich gewandt hatte, hatten sich geweigert, ihm ein Rezept für das verlangte Medikament Natrium-Pentobarbital auszustellen.

Ähnlicher Fall in Deutschland

Der EGMR verwies nun darauf, dass das Erfordernis der ärztlichen Verschreibung für das Medikament das Ziel habe, „Menschen vor voreiligen Entscheidungen zu schützen und Missbrauch zu verhindern“. Dies gelte umso mehr in einem Land wie der Schweiz mit ihrer liberalen Sterbehilfe-Regelung.

Die Straßburger Richter hatten erst Ende November 2010 über einen ähnlich gelagerten Fall aus Deutschland mündlich verhandelt. Dabei klagt ein 1943 geborener Mann aus Braunschweig dagegen, dass die deutschen Behörden es seiner querschnittsgelähmten Ehefrau verweigert hatten, eine tödliche Medikamentendosis für einen Selbstmord zu erwerben. Die Entscheidung des EGMR hierüber steht noch aus. (dapd)