Neviges. Der jüdische Friedhof in Velbert-Neviges liegt weit vor den Toren der Stadt. Warum das so ist und die Gräber hier niemals aufgegeben werden.
In diesen Tagen beherrscht der terroristische Überfall der palästinensischen Hamas auf Israel die Nachrichten. Am 9. November wurde in ganz Deutschland auch eines Überfalls erinnert, der vor 85 Jahren geschah und niemals vergessen werden darf: Vor 85 Jahren, am 9. November 1938, brannten Synagogen, wurden jüdische Geschäfte geplündert, hetzten SS-Männer Jüdinnen und Juden durch die Straßen, verletzten und ermordeten sie. Die Reichspogromnacht – ein besonders dunkler Tag deutscher Geschichte. Auch in Neviges lebten Juden. An das jüdische Leben in dem katholischen Wallfahrtsort erinnert neben einigen Stolpersteinen in der Altstadt auch der Friedhof, der verwunschen vor den Toren der Stadt liegt.
Warum das so ist: Nach jüdischer Auffassung sollten die Lebenden sich mit den Toten nicht an einem Ort aufhalten, ganz im Gegensatz zu den christlichen Begräbnisstätten. „Jüdische Gräber werden nie aufgegeben, weil eines Tages der Messias kommt und alle Toten auferstehen werden.“ So erklärt es Ulrike Schrader. Die Leiterin der Begegnungsstätte Alte Synagoge Wuppertal führte letztens die Mitglieder des Schlossfördervereins über den Friedhof, auf dem 23 Grabsteine stehen. Die erste Beerdigung gab es 1791, die letzte Bestattung am 15. Oktober 1929, sie ist allerdings nicht durch einen Grabstein gekennzeichnet. Die Juden seien mit den Römern ins heutige Deutschland gekommen, noch bevor sich das Christum etablierte, so Dr. Ulrike Schrader.
Historiker aus Velbert ist exzellenter Kenner der Stadtgeschichte
Ein ausgezeichneter Kenner der jüdischen Geschichte ist auch der Nevigeser Historiker und pensionierte Studienrat Gerhard Haun. Im antiken Köln existierte bereits 321 eine jüdische Gemeinde, so Haun. Johann Wilhelm II von Jülich und Berg, in Düsseldorf als „Jan Wellem“ bekannt, erteilte 1694 der Herrschaft Hardenberg das Recht, Schutzbriefe auszustellen, worauf sich Juden vor Ort niederlassen und ihre Angehörigen bestatten konnten. „1806 wurde der Judentribut aufgehoben“, erläutert der Nevigeser Geschichtskenner. „1836 versuchte der Nevigeser Freiherr von Wendt, die Zahlung wieder einzuführen und verlangte jährlich fünf bergische Taler. Er berief sich auf das Jahr 1694, aber er scheiterte damit vor Gericht.“
Juden in Neviges hatten keine eigene Synagoge
Im Gegensatz zu den Juden in Langenberg verfügten die Nevigeser Juden nicht über eine eigene Synagoge, sondern nur über ein Bethaus. „Das befand sich an der Hölzerstraße, ungefähr dort, wo die Treppe an dem Bunker vorbeiführt“, so Gerhard Haun. „Die Stelle hieß im Volksmund ,Judenberg´.“ Ein weiteres Zeugnis jüdischer Geschäftigkeit ist das von der Familie Heumann errichtete Wohn- und Geschäftshaus an der Ecke Bernsaustraße/Elberfelder Straße, ehemals Kaufhaus Gassmann, jetzt Sitz eines Weiterbildungsinstitutes. Einige jüdische Mitbürger waren besonders hoch angesehen, weiß der Historiker: „Sehr beliebt in Neviges war Dr. Windmüller.“ Zu diesem Arzt – die Familie wohnte an der Elberfelder Straße 72, schräg gegenüber der Sparkasse –, seien die Nevigeser auch noch gegangen, als es die Nazis verboten hatten. Der Mediziner entging der Todesmaschinerie des NS-Regimes, konnte rechtzeitig nach Südamerika auswandern.
Auch Zwangsarbeiter sind hier begraben
Zurück zum jüdischen Friedhof: Ein Gedenkstein weist darauf hin, dass hier „30 russische Soldaten und Zivilisten“ begraben wurden. Das zeige, dass die Nazis diese Menschen ebenso minderwertig erachteten wie Juden. „Tatsächlich dürfte es sich nicht nur um Russen gehandelt haben, sondern auch um andere Menschen aus der Sowjetunion, die in Neviges unter teilweise unsäglichen Bedingungen Zwangsarbeit leisten mussten“, sagt Rainer Köster, pensionierter Lehrer und Mitglied der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten Niederberg (VVN/BdA).
Seit Jahren beschäftigt er sich intensiv mit den nationalsozialistischen Verbrechen im Niederbergischen, hat auch diverse Bücher geschrieben. Köster hat in seinen Recherchen 46 jüdische Schicksale in Neviges ausgemacht. „Vier von ihnen haben überlebt.“
Weitere Stolpersteine in Neviges gefordert
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Darunter eben Dr. Windmüller, der nach dem Krieg nach Deutschland zurückkehrte und eine Wiedergutmachungszahlung verlangte, die ihm in der Adenauer-Ära verweigert wurde. Was Rainer Köster wichtig ist: Nie dürfe man die Opfer des Dritten Reiches vergessen. Nicht die ermordeten Juden, nicht die rund 2200 Zwangsarbeiter, die vor allem in den Fabriken in Tönisheide geschuftet hätten. Bisher wurden sieben Stolpersteine in Neviges verlegt, die an jüdische Schicksale erinnern. „Es müssten noch 35 weitere dazukommen“, mahnt der engagierte Antifaschist Köster.
>>>TBV übernehmen Friedhofs-Pflege
Viele Grabsteine tragen den jüdischen sowie den bürgerlichen Namen, verzeichnen den jüdischen und christlichen Kalender mit einer kurzen Aussage zur Person.
Dazu ein Beispiel: Der jüdische Eintrag lautet: „Hier ist begraben die tüchtige Gattin Frau Minna Meier, welche einging in ihre Welt am 9. Adar Zwei 660 nach kleiner Zählung. Ihre Seele sei eingebunden in das Bündel des Lebens. Christlich: Frau Minna Meyer, geb. Josephs, geb, im April 1815, gest. 10. März 1900“.
Die Pflege des Friedhofs haben die Technischen Betriebe Velbert (TBV) übernommen.