Oberhausen. . Geschätzte 2000 Kunstliebhaber stehen in Oberhausen an für einen Schriftzug des berühmten Verpackungskünstlers Christo. Es tröpfelt. Man friert. Aber die Laune ist lustig. Vom Pavillon vor dem Gasometer ziehen sich die Leute ganz weit in Richtung Centro.
Es gehört vielleicht nicht zwingend zum Anforderungsprofil an Kunstliebhaber, frühmorgens gekonnt aus dem Bett fallen zu können, aber es erleichtert die Sache an Tagen wie diesen ungemein. So kommt es jedenfalls, dass der 67-jährige Diplom-Ingenieur Ingo Stenzel am Sonntag um 6.54 Uhr in Recklinghausen den Zug besteigt, um um 7.32 Uhr am Mülheimer Hauptbahnhof den letzten Nachtbus nach Oberhausen zu erwischen.
„Ich bin Kunstliebhaber“, sagt Stenzel also, „ich will Christo sehen.“ Eine graue Kunstmappe („selbst geklebt!“) mit Postern auf dem Schoß, so schaukelt er durch das schlafende Mülheim Richtung Gasometer – lieber Himmel, wie viele Haltestellen dieses Städtchen hat!
Und doch wird Stenzel sich einreihen müssen. Gefühlter Platz 200 in der längst stehenden Warteschlange. Für eine lange Autogrammstunde, die erst um 9 beginnt. Vom Pavillon vor dem Gasometer ziehen sich die Leute ganz weit in Richtung Centro. Sonntag, viertel nach acht. Freiwillig! Es tröpfelt. Man friert. Aber die Laune ist lustig: „Dafür bin ich extra um 6 Uhr aufgestanden und habe mir die Haare gemacht“, sagt eine Frau.
Manche sitzen auf Klapphockern. Andere haben sich belegte Brote mitgebracht. Oder was zu lesen. Der Wind bläst eisig. Aber die Leute sind gut verhüllt.
Die sich selbst verfehlende Prophezeiung
Gleich signiert Christo. Am Freitagabend war die Vernissage seines „Big Air Package“, am Samstag die Eröffnung. Es kam da, wie es Gott sei Dank immer kommt am ersten Tag: „Am ersten Tag kommen nie so viele Leute, weil alle denken, es würde furchtbar voll“, sagt Jeanette Schmitz, die Geschäftsführerin des Gasometers. Für Ausstellungsmacher hat die sich selbst verfehlende Prophezeiung einen großen Vorteil: Man kann noch etwas länger die Abläufe, Handgriffe und Routinen verfeinern, ohne bereits totgetrampelt zu werden.
Und dann sitzt er pünktlich da, pünktlich wie immer, schmaler Mann mit grauem Haarschopf; an einem unscheinbaren Resopaltisch in jenem Pavillon, neben sich einen Heizlüfter, Handschuhe an den Händen. Renate Bruns und David Lulley sind jetzt wirklich die Ersten, sie waren ja auch draußen die Frühesten, „wir waren seit fünf Uhr da“, sagt die Oberhausenerin. „Wir hatten zwar Stühle mit, aber Walter hatte Tee“, sagt David Lulley aus Aachen. Walter Pricken aus Duisburg war die Nummer 3. Und teilte den Tee. Man duzt sich.
Big Air Package
1/30
So ziehen sie dann an dem Tisch vorbei. Sie reichen den Helfern Zeitungsseiten oder Poster zum Signieren, Kataloge, Bücher, Fotos; die blättern auf, klappen um, schieben die Dinge über den Tisch weiter zu Christo. Der signiert in schwarzer Farbe, jedoch nicht alles, was sie ihm da unterschieben.
Ein Osterhase in Packpapier? – Nice try!
Privatfotos schiebt er weiter, „I sign only my work“. Und auch jener rätselhafte mittelgroße Osterhase, den man ihm anreicht, der zusätzlich mit Packpapier verhüllt ist und verschnürt, bekommt keinen „Christo“-Schriftzug. Stattdessen: noch zwei Poster. Noch drei Seiten. Ein Buch, ein Katalog, zwei Poster. Stundenlang. Ein harter Arbeitstag für einen immerhin 77-Jährigen? „Ich bin Handarbeit gewohnt“, sagt Christo, Wenn ich in meinem Atelier sitze, habe ich auch stundenlang den Stift in der Hand.
Irgendwann nach 12 Uhr werden sie die Schlange schließen. Wer drin ist, kommt noch ans Ziel, und so dauert die Signierzeit deutlich über die geplanten vier Stunden hinaus. Gegen Ende wird Jeanette Schmitz schätzen, vielleicht 2000 Leute seien da gewesen.
Maria und Heiner Wilkop aus Arnsberg waren darunter. „Ich finde seine unglaubliche Beharrlichkeit toll, Projekte über Jahrzehnte zu verfolgen und nicht nachzulassen“, sagt Heiner Wilkop. Seit vielen Jahren reist das Ehepaar Christos Werken systematisch nach. So wie hier. Ins Ruhrgebiet waren sie freilich schon am Samstag gekommen. „Ich musste extra nach Essen ziehen, damit sie dafür einen Stützpunkt haben“, sagt Lina, die Tochter. Ein Scherz, versteht sich. Oder?
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