Oberhausen. Edelgard Domeyer hat 18 Jahre lang andere Menschen gepflegt, dann erkrankte sie schwer. Heute ist sie eine von vielen Oberhausenern, die Grundsicherung im Alter beziehen. Mehr als die Armut trifft die heute 71-Jährige die soziale Kälte.
Noch genießt Edelgard Domeyer die warmen Tage, doch ihre Gedanken kreisen bereits jetzt um den Winter – und die damit verbundenen Kosten. „Ich bräuchte mal wieder einen warmen Mantel und dicke Schuhe“, sagt die 71-Jährige. Seit längerem spart sie für die Neuanschaffungen. Edelgard Domeyer ist eine von vielen Oberhausenern, die Grundsicherung im Alter beziehen.
„Man rechnet ständig nach und wägt ab, was wirklich notwendig ist“, erklärt Domeyer. Wenn sie alle monatlich wiederkehrenden Rechnungen beglichen hat, bleiben ihr am Ende des Monats kaum 200 Euro. „Zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel“, meint Domeyer mit Blick auf die stetig steigenden Preise.
Gesundheitliche Schwierigkeiten
Was es heißt, jeden Cent mehrfach umzudrehen, hat die Seniorin schon früh gelernt. Als ihre erste Ehe 1967 in die Brüche ging, musste sie die Schulden ihres arbeitslosen Ex-Mannes tilgen. „Ich hatte nie etwas unterschrieben, musste aber trotzdem 45 000 Mark zahlen“, erinnert sich Domeyer. Seitdem ihr zweiter Mann vor 18 Jahren starb, ist sie auf staatliche Hilfen angewiesen.
Insgesamt 18 Jahre hat sie als examinierte Krankenschwester gearbeitet, dann wurde sie arbeitsunfähig: „Ich hatte eine Nervenlähmung, musste immer wieder operiert werden“, erinnert sich Domeyer. Hinzu kam ein schweres Augenleiden, seit Langem hat sie nur noch eine Niere – „nicht einmal meine eigene“ – und ist schwer herzkrank. Trotz der gesundheitlichen Schwierigkeiten seien ihre Anträge auf „Pflegestufe 1“ bereits mehrfach abgewiesen worden. Bezahlt werden ihr nur eine Haushaltshilfe, die ihr zehn Stunden im Monat unter die Arme greife, und eine Pflegerin, die ihr einmal wöchentlich beim Duschen helfe. Die Kosten für den Hausnotruf dagegen muss sie größtenteils selbst zahlen. „Wir sind ein reiches Land, aber Armen und Kranken hilft das nicht.“
Verzicht auf Medikamente
Eigentlich braucht Edelgard Domeyer regelmäßig Medikamente, doch nicht für alle übernimmt die Krankenkasse die Kosten. In manchen Monaten verzichte sie daher auf den Kauf der Arzneimittel. „Was soll ich machen, wenn ich es nicht bezahlen kann“ fragt Domeyer. Als ihre Ärztin die Befürchtung geäußert habe, dass die 71-Jährige bald einen Herzschrittmacher brauche, eine solche Operation aber riskant sei, habe sie nur mit den Schultern gezuckt: „Wenn es schiefgeht, dann ist es eben so. Das wäre wahrscheinlich kein Verlust.“
Früher habe sie gerne Ausflüge unternommen, sei ins Theater oder ins Kino gegangen, „das ist längst nicht mehr drin.“ Auch ihr liebstes Hobby, das Handarbeiten, musste sie längst aufgeben, die Augen spielen nicht mehr mit. „Aber es gibt nichts Tödlicheres als Langeweile und Einsamkeit“, sagt Domeyer. Verwandte hat die 71-Jährige keine mehr, ihre fünf Kinder sind alle bereits sehr jung gestorben.
Kleidung als Luxusgut
Ihre Zeit verbringt die Seniorin im Arbeitslosentreff „Kontakt“, dort spielt sie mit anderen Besuchern, isst gemeinsam mit ihnen zu Mittag. „Wenn es dieses Angebot nicht gäbe, würde ich wohl ohne Mittagessen auskommen müssen“, sagt Domeyer. Früher habe sie gerne gekocht, aber „ich habe viele Allergien, kann vieles nicht essen. Da wird der Einkauf teuer“ – zu teuer.
Zu einem Schaufensterbummel sei sie schon lange nicht mehr aufgebrochen. „Zu frustrierend“ sei das, wenn man sich sowieso nichts leisten könne. „Neue Kleidung ist nicht“, wenn überhaupt, dann kaufe sie höchstens in Second-Hand-Läden ein. „Ich schäme mich auch nicht, Getragenes anzunehmen. Man ist für alles, was man geschenkt bekommt, dankbar.“
Schlimmer als alle Entbehrungen aber sei die soziale Kälte. „Die haut einen um und macht einen kaputt“, sagt Domeyer. Arme Menschen, das habe sie schon oft zu hören bekommen, seien faul, alkoholsüchtig und an ihrer Situation selbst schuld. „Sie können noch so ordentlich und sparsam sein, die Leute machen ihnen trotzdem Vorwürfe und verurteilen sie.“ Dass viele Menschen unter Altersarmut leiden, wundert Edelgard Domeyer nicht. Die Hoffnung auf Veränderungen hat sie längst aufgegeben: „Ich mache mir keine Illusionen. Im Grunde stehe ich am untersten Rand der Gesellschaft. Die Einzigen, die noch schlimmer dran sind, sind Asylbewerber.“