Für sozial schwache Menschen wird es in Deutschland immer schwieriger, der Armut zu entkommen. Das ist die beklemmendste Erkenntnis der Autoren des aktuellen Sozialberichts. Ein zentrales Versprechen der Marktwirtschaft lautet, dass sozialer Aufstieg prinzipiell jedem offen steht. Nun machen immer mehr Menschen die bedrückende Erfahrung, dass sie in staatlicher Alimentierung oder prekären Beschäftigungsverhältnissen gefangen sind. Armut wird für sie zu einer unüberwindbaren Mauer.
Natürlich – Armut und Armutsgefährdung sind in einem vergleichsweise reichen Land wie Deutschland relativ. Hier muss niemand verhungern. Aber Armutserfahrung ist subjektiv. Menschen, die trotz eines Vollzeitjobs auf staatliche Zuschüsse angewiesen sind oder im Alter Grundsicherung beziehen müssen, weil die Rente nicht reicht, werden es wenig tröstend finden, dass staatliche Fürsorge existenzielle Bedrohungen abfedert. Wer von sozialer Teilhabe ausgeschlossen wird, seine Wohnung im Winter nicht ausreichend heizen oder nur jeden zweiten Tag eine warme Mahlzeit zu sich nehmen kann, empfindet sich in Deutschland zu Recht als arm.
Die Zementierung der Armut birgt Sprengstoff für den sozialen Frieden und den gesellschaftlichen Zusammenhalt; zumal die soziale Spaltung zunimmt, siehe die steigende Zahl der superreichen Deutschen und das Anwachsen der privaten Vermögen. Perspektivlosigkeit zieht irgendwann Frustration und Wut nach sich. Das kann sich Deutschland nicht leisten. In seinem Koalitionsvertrag postuliert das schwarz-gelbe Regierungsbündnis den sozialen Fortschritt durch „Zusammenhalt und Solidarität“. Dieser Fortschritt könnte vorangetrieben werden, wenn der Niedriglohnsektor durch einen gesetzlichen Mindestlohn eingedämmt würde; wenn Vermögende mehr Steuern zahlen müssten; oder wenn mehr in die Bildung investiert würde. Nichts davon findet sich auf der Agenda schwarz-gelber Politik.