Oberhausen. Weil die öffentlichen Kassen leer sind, die Stadt arm ist, bröckelt die finanzielle Unterstützung für Beratungsstellen wie der Suchtberatung weg – mit traurigen Folgen
Sich einzugestehen, dass man’s aus eigener Kraft nicht schafft, ist schwer. Ein langer harter Weg liegt deshalb hinter den meisten, die irgendwann den Mut finden, sich an eine Suchtberatungsstelle zu wenden, um sich mit professioneller Unterstützung aus der Abhängigkeit von Alkohol oder Tabletten zu befreien. Wenn ihnen dann ein Termin in vier Wochen in Aussicht gestellt wird, kann die Entscheidung unter dem übergroßen Druck der Sucht schon am nächsten Tag wieder kippen. Eine deprimierende Vorstellung – aber eine, die schon jetzt Realität ist. Die Ebbe in öffentlichen Kassen, die Armut der Kommunen schnürt den Hilfesystemen zunehmend die Luft ab – was am Ende die Hilfebedürftigen trifft. Und nicht nur die, sondern auch ihre Familien und Lebenspartner.
Noch in den 1980er Jahren, erinnert sich Norbert Nilkens, Leiter des Psychosozialen Gesundheitszentrums der Caritas, habe es in der Stadt ein relativ umfassendes Hilfeangebot für Suchtkranke gegeben: „Bei uns gab’s drei Suchtberater, dazu gab’s welche bei der Diakonie, bei der Stadtverwaltung und auch in den größeren Betrieben gab’s Suchtberatung. Davon ist nach und nach das meiste weggebrochen – immer aus finanzieller Not, nicht etwa, weil’s weniger Suchterkrankungen gäbe.“
Höhere Kosten bei bleibenden Zuschüssen
Mittlerweile sei die Caritas der einzige Anbieter von Suchtberatung unter den Oberhausener Wohlfahrtsverbänden. Da die Zuschüsse von Stadt und Land (insgesamt 70.000 Euro pro Jahr) seit 20 Jahren gleichgeblieben seien, Personal- und Sachkosten aber deutlich gestiegen sind, gibt es auch bei der Caritas derzeit nur noch zwei Suchttherapeutinnen – und deshalb die nicht selten verhängnisvolle Wartezeiten von bis zu vier Wochen. „Und die Caritas steckt schon 100.000 Euro Eigenmittel jedes Jahr in die Suchtberatung“, so Nilkens. In Zeiten rückläufiger Kirchensteuermittel kein Pappenstiel.
„Früher, als wir kurzfristiger Termine vergeben konnten, sind die Menschen zuverlässiger zur Beratung erschienen“, sind sich die Sozialtherapeutinnen Sabine Goretzki-Locher und Annette Abels einig. Und das ist kein Vorwurf: „Vier Wochen Wartezeit, das ist unheimlich schwer.“ Der Gedanke, so lange ohne Alkohol oder Tabletten auskommen zu müssen, sei so angstbesetzt, dass mancher daran scheitere. „In den vier Wochen sind sie dann längst wieder in ihr gewohntes Suchtmuster zurückgefallen – und kommen dann gar nicht“, erklärt Nilkens.
Angehörige häufig mitbetroffen
Eine vergebene Chance, einem Suchtkranken adäquate Unterstützung zu geben – und eine vergebene Chance, seinem Umfeld zu helfen: „Bei jedem Suchtkranken sind mindestens zwei bis drei andere Menschen betroffen“, sagt Nilkens. Zum Teil litten Angehörige unter massiven Co-Erkrankungen wie Tinnitus oder Magengeschwüren. Zumindest der Lebenspartner, häufig seien auch Kinder betroffen: „Mit suchtkranken Eltern wachsen sie in ständigem Stress auf, können sich in dieser Situation kaum normal entwickeln.“ Umso schlimmer, dass auch andere Hilfesysteme – Erziehungs-, Ehe- und Familienberatung – immer weiter zusammengespart würden.
Und die Zahl der suchterkrankten Menschen nehme unter dem wachsenden Druck – durch Arbeitsverdichtung für die einen, durch Arbeitslosigkeit und sozialen Abstieg für die anderen – stetig zu: „Da muss man kein labiler Charakter sein, um suchtkrank zu werden, wie viele glauben. Oft sind’s gerade die, die nach außen stark sein müssen und auch so erscheinen.“ Alkohol sei für sie oft ein Kompensationsmittel. „Irgendwann kommt ein krisenhaftes Ereignis hinzu, das zur Konsumsteigerung führt, das Muster verfestigt sich“, schildert Sabine Goretzki-Locher einen von vielen möglichen Verläufen.
Zwei Mitarbeiter in der Suchtberatung: Das sei in keiner Weise ausreichend für eine Stadt wie Oberhausen – mit mehr als 200.000 Bürgern und jeder Menge sozialer Probleme, sagt Nilkens: „Und jetzt findet wieder eine Spardiskussion statt. Egal, wo sie den sozialen Bereich trifft – es trifft am Ende die, die sich nicht selbst helfen können, die Unterstützung brauchen.“