Essen. Laut Schätzungen sind etwa 1,5 Millionen Deutsche von Tabletten jeglicher Art abhängig und gestehen es sich in den seltensten Fällen auch ein. Experten fordern deshalb eine bessere Aufklärung über mögliche Folgen des übermäßigen Tablettenkonsums.
Ein Werbeverbot für frei verkäufliche Medikamente fordert die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS). "Es ist höchste Zeit, das Problem der Sucht nicht länger zu ignorieren", sagte DHS-Vorstandsvorsitzender Heribert Fleischmann am Freitag in Berlin.
Bundesweit seien schätzungsweise 1,4 bis 1,5 Millionen Menschen in Deutschland von Arzneimitteln abhängig. Pro Kopf nimmt jeder Deutsche demnach etwa 1.100 Tabletten, Kapseln, Zäpfchen und andere Dosierungszubereitungen pro Jahr ein. "Damit sind Medikamente eine Volksdroge, die still und unauffällig daher kommt", ergänzte Fleischmann anlässlich der diesjährigen Sucht-Selbsthilfe-Konferenz. Insbesondere ältere Menschen seien davon betroffen. Sie konsumierten zwei- bis dreimal so viele verschreibungspflichtige Arzneimittel wie der Durchschnittsdeutsche.
Abhängigkeit wird oft verheimlicht
"Die größte Herausforderung ist, dass sich Betroffene ihre Abhängigkeit nicht eingestehen", erklärte Wiebke Schneider, Geschäftsführerin des Selbsthilfeverbandes Guttempler. In der jüngsten Erhebung deutscher Suchtselbsthilfeverbände von 2010 hätten sich nur 3,3 Prozent der insgesamt 52.300 Gruppenbesucher als medikamentenabhängig bezeichnet. "Da muss man sich natürlich fragen, wo die ganzen Medikamentenabhängigen sich behandeln lassen", sagte Heinz-Josef Janßen vom Kreuzbund, Deutschlands größtem Selbsthilfeverband.
Die Suchtselbsthilfeverbände und die DHS machen sich für eine bessere Aufklärung über die möglichen Folgen des Medikamentenmissbrauchs stark. Ärzte müssten wirksame Präventionsstrategien entwickeln, um eine Medikamentenabhängigkeit zu verhindern. Arzneimittel sollten nur verordnet werden, wenn tatsächlich eine Notwendigkeit besteht. "Jede Medikation muss darüber hinaus zeitlich begrenzt verabreicht werden", sagte Fleischmann.
Zusammenarbeit mit Ärzten verbessern
Außerdem müsse die genaue Dosierung klar definiert werden. Bei einer bestehenden Abhängigkeit sind Selbsthilfegruppen ein Therapieansatz. "Sucht-Selbsthilfe zielt darauf ab, betroffene Menschen nicht allein in ihrer Suchtkrankheit zu erreichen, sondern gesunde Lebens- und Verhaltensweisen zu fördern, soziale Kontakte auszubauen und verlorene Lebensfreude und Lebensmut wieder zu finden", sagte Schneider.
Hierfür müssten die Aufmerksamkeit jedoch noch stärker auf die Zielgruppen gerichtet und die Zusammenarbeit mit Ärzten, Apothekern und Beratungsstellen verbessert werden. (dapd)