Oberhausen. Alten- und Pflegeheime werden regelmäßig durch den “Pflege-TÜV“ begutachtet. Nicht immer sind die Geprüften mit ihren Noten einverstanden. In Oberhausen stehen viele Pflege-Mitarbeiter den Prüfverfahren skeptisch gegenüber.

„Es ist wie früher in der Schule, man freut sich doch.“ Worüber? Über eine gute Note. Eine glatte „Eins“ genaugenommen. Der, der sich freut, ist Michael Helm - keineswegs ein Schüler, sondern Leiter des August-Wieshoff-Seniorenzentrums in Oberhausen.

Die Einrichtung hatte am 22. September 2009 zum ersten Mal Besuch vom Medizinischen Dienst bekommen. Das Ergebnis des sogenannten Pflege-TÜV war eine Note von 4,3. Bei einer Nachprüfung dann wurde aus dem „Ausreichend“ ein „Sehr gut“. Ähnlich wie dem August-Wieshoff-Seniorenzentrum erging es auch anderen Alten- und Pflegeheimen in der Stadt. Das Haus am Buschkämpen - zunächst mit einer schlechten Note belegt - steht jetzt mit 1,1 sehr gut da. Haus Marienburg erst mit einem „Ausreichend“ benotet, schaffte auch die 1,1.

„Über den tatsächlichen Umgang mit den Menschen sagen die Noten nichts aus“

Was ist da passiert? Schlechten Schülern gelingt eine derartige Leistungssteigerung nur selten. Kurz zur Erinnerung: Die Reform der Pflegeversicherung 2008 hatte vorgesehen, dass alle Alten- und Pflegeheime bis Ende 2010 einmal durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) unangemeldet geprüft werden sollten. Mit Fragekatalogen ausgestattet strömten die MDK-Mitarbeiter in die Seniorenheime. Pflege und medizinische Versorgung, der Umgang mit demenzkranken Bewohnern, die soziale Betreuung und Alltagsgestaltung sowie Wohnen, Verpflegung, Hauswirtschaft und Hygiene waren die vier großen Bereiche, die bewertet wurden. Und zwar auch vor dem Hintergrund, dass die Kassen nur für tatsächlich erbrachte Leistungen zahlen wollen.

Michael Helm erklärt sich die zunächst weniger gute Note für das August-Wieshoff-Seniorenzentrum so: „Viele Dinge, die wir selbstverständlich getan haben - wie Maßnahmen gegen Dehydrierung - haben wir nicht niedergeschrieben.“ Es habe dann einfach als nicht gemacht gegolten. „Wir haben die Note zunächst so hingenommen und dann eine Nachprüfung beantragt“, sagt Helm. Eine Nachprüfung allerdings ist kostenpflichtig. 2400 Euro musste das Haus dafür zahlen. Viel mehr Geld kostete es jedoch, den Grundstock für eine umfassendere Dokumentation zu legen. Helm: „Wir haben dafür extra Mitarbeiter von Zeitarbeitsfirmen beschäftigt.“ Und dann greift er eine viel geäußerte Kritik am Bewertungssystem auf: „Über den tatsächlichen Umgang mit den Menschen sagen die Noten nichts aus.“

„Reden ist Silber, Zeigen ist Gold“

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    Die erste Note des August-Wieshoff-Seniorenzentrums interessierte Bewohner und Angehörige nicht. „Unsere Bewohner kommen durch Mund-Propaganda zu uns“, sagt der Leiter. Beim Haus am Buschkämpen war es anders. Einrichtungsleiter Jörg Ziemann spricht von Umsatzeinbußen. „Wir hatten plötzlich einen Einbruch“, sagt er. Hinzu kam: „Wir mussten mit allen Angehörigen Gespräche führen.“ Die hätten Unverständnis wegen der Note geäußert, gesagt: „Hier ist doch alles gut.“ Vom Haus reagierte man schnell. Ließ auf eigene Kosten ein Gegengutachten erstellen, dass schon damals ein „Gut“ attestierte. Dann wurde eine Nachprüfung beantragt. Ein Jahr später hatte das Haus seine 1,1.

    „Die Prüfer beim zweiten Mal hatten viel mehr Erfahrung“, sagt Ziemann. Und mehr Zeit. Die Ersten seien völlig unter Zeitdruck gewesen. Auch ihnen sei eine fehlende Dokumentation ein Dorn im Auge gewesen. „Reden ist Silber, Zeigen ist Gold“, zitiert Hans-Dieter Ringelings, Geschäftsführer von Haus am Buschkämpen und Haus Marienburg, einen MDK-Mitarbeiter. „Haben sie es oder haben sie es nicht“, hätte die Leute lediglich interessiert. Andreas Atzler, Einrichtungsleiter vom Haus Marienburg, erklärt sogar, dass sie alles dokumentiert gehabt hätten. Allein, es fehlte an dem einen Prüfungstag die Zeit, sämtliche Unterlagen so schnell zusammen zu suchen. „Die Dokumentation nimmt heute ein Drittel der Arbeitszeit in Anspruch, das war früher nicht so“, moniert er. „Wir bauen uns mit Formalismen zu“, mahnt Ringelings. Frustration beim Pflegepersonal - im Moment herrsche wieder ein Mangel an Fachkräften - führt er auch auf die zunehmende Bürokratisierung zurück. „Wir suchen schon Sekretärinnen mit Pflegeambitionen“, merkt er ironisch an.

    250 Fragen an Mitarbeiter, Bewohner und Angehörige

    Ringelings fragt sich: „Warum überprüft man nicht einmal im Jahr die Bewohner, deren Zufriedenheit, ihren Pflegezustand?“ Zumal der MDK ja nicht die einzige Institution sei, die die Häuser besucht. Zusätzlich sei die Heimaufsicht ein Mal pro Jahr zu Gast in den Häusern. „Wir prüfen nach dem Katalog des Wohn- und Teilhabegesetzes“, sagt Sozialarbeiter Holger Eichstaedt von der Heimaufsicht. Das Gesundheitsamt überprüfe ebenfalls regelmäßig die Hygienestandards. Mitarbeiter des Medizinischen Dienstes werden nun alljährlich die Alten- und Seniorenheime überprüfen.

    Ein Fazit zögen sie auch. Eichstaedt hat selber an der Erstellung des Fragenkatalogs für das Wohn- und Teilhabegesetz mitgearbeitet. „Der Katalog ist sehr umfangreich, wir müssen ihn einmal pro Jahr für jedes Heim durcharbeiten.“ 250 Fragen würden nicht nur an Mitarbeiter der Häuser, sondern teils auch an Bewohner und Angehörige gestellt. Wichtig ist Eichstaedt: „In unsere Überprüfung fließt auch die Pflege-Charta der Rechte hilfe- und pflegebedürftiger Menschen ein. Beachtet werden Punkte wie: „Es werden immer noch Seniorinnen von männlichen Altenpflegern gewaschen.“ Gerade Frauen der älteren Generation sei das oft peinlich oder unangenehm.

    Warten auf die neue Begutachtung dieses Jahr

    Eichstaedt weist auch darauf hin, dass von einigen Häusern die Noten, die der Medizinische Dienst ihnen erteilte, noch nicht im Internet stehen. Das ist zum Beispiel beim Louise-Schroeder-Heim der Fall. Auch dort war man mit der Benotung nicht einverstanden. „Wir waren die erste Einrichtung in Oberhausen, die begutachtet wurde - im August 2009“, sagt Udo Spiecker, Geschäftsführer der Alteneinrichtungen der Stadt Oberhausen (ASO). Sie hätten Stellung bezogen zu den Ergebnissen des Medizinischen Dienstes, aber keine erneute Begutachtung beantragt, keine juristischen Schritte eingeleitet. Spiecker: „Wir warten auf die nächste Begutachtung.“ Und die kommt ja nun auf jeden Fall in diesem Jahr.

    Zwei Mal begutachtet wurde bereits der Senioren-Wohnpark Oberhausen und rutsche von einer Note von 1,8 auf 3,2 ab. Warum, das ist vom MDK Nordrhein zu erfahren. Das Haus sei kurz nach seiner Eröffnung geprüft worden. Später kam es dann zu einer weiteren, einer Anlassprüfung, die etwa bei Beschwerden vorgenommen werde. Da habe die pflegerische und medizinische Versorgung Probleme bereitet, etwa die Vorbeugungsmaßnahmen gegen Druckgeschwüre. Deshalb die schlechtere Note.