Berlin. .

Müssen sich die Bürger auf 08/15-Pflege von osteuropäischen Kräften einstellen? Genau dazu könnte es kommen, befürchtet der Präsident des Deutschen Pflegerates, Andreas Westerfellhaus, wenn ab Mai die Tore für Arbeitskräfte aus Osteuropa offen stehen. Im Interview erklärt Westerfellhaus, was er gegen den Fachkräftemangel machen will, wie man eine gute Pflegeeinrichtung findet und warum er Prostitution im Altenheim duldet.

Herr Westefellhaus, wie finde ich ein gutes Pflegeheim?

Westerfellhaus: Sie müssen sich mehrere Heime ansehen und mit den Bewohnern sprechen, ob sie sich wohlfühlen. Es gibt keine weiteren Kriterien für einen verlässlichen Vergleich. Der Pflege-Tüv hat nur bedingt Aussagekraft.

Wie erkenne ich auf den ersten Blick, ob ein Heim Mängel hat?

Andreas Westerfellhaus Präsident des deutschen Pflegerates
Andreas Westerfellhaus Präsident des deutschen Pflegerates © Fremdbild

Westerfellhaus: Es ist nicht gut, wenn das Personal gehetzt wirkt oder das Heim schmutzig ist. Wichtig ist die Transparenz über die Qualifikation der Mitarbeiter und die Fachkraftquote. Die Hälfte des Personals sollte aus ausgebildeten Pflegern bestehen.

Ab welchem Alter sollte ich mich mit der Frage befassen, wo ich einmal gepflegt werden will?

Westerfellhaus: Praktisch immer. Sie können von heute auf morgen zum Pflegefall werden.

„Gigantischer Handlungsdruck“

Gesundheitsminister Rösler hat 2011 zum Jahr der Pflege ernannt. Ist das Populismus?

Westerfellhaus: Nein. Der Druck zum Handeln ist gigantisch. Allein in den Krankenhäusern fehlen bald 140000 Pflegekräfte. Weil die Zahl der Demenzkranken zunimmt, sind zusätzlich 300000 Pflegerinnen und Pfleger nötig. Hinzu kommt der Nachwuchsmangel.

Ab Mai haben Pflegekräfte aus Osteuropa freien Zugang auf unseren Arbeitsmarkt. Ist das die Lösung?

Westerfellhaus:Jede qualifizierte Pflegekraft ist willkommen, die uns hilft, die Versorgung sicherzustellen. Eine ungezügelte und untransparente Zuwanderung lehnen wir aber ab. Wir müssen sicherstellen, dass die Pflegekräfte auch wirklich qualifiziert sind.

Besteht nicht die Gefahr, dass mit der Öffnung für Pflegekräfte aus dem Osten auch die 08/15-Pflege zum Dumpingpreis Einzug erhält?

Westerfellhaus: Ja, das ist ein großes Risiko. Wir haben jetzt schon keine Übersicht über die Zusammensetzung der Berufsgruppe. Durch den ungezügelten Zuzug wird das Problem noch größer.

Wie kann man gegensteuern?

Westerfellhaus: Dafür brauchen wir eine Selbstverwaltung, die die zuwandernden Pflegekräfte nach einheitlichen Kriterien prüft.

Brauchen wir verbindliche Tests für alle Pflegekräfte?

Westerfellhaus: Es gibt Prüfungen. Sie sind aber regional unterschiedlich ausgelegt und reichen von harten Prüfungen bis hin zu Gefälligkeitsbescheinigungen. Wir brauchen bundesweit einheitliche Tests.

Wir kann man mehr Männer für die Pflege gewinnen?

Westerfellhaus: Ich setze auf ein freiwilliges Jahr. Auch wenn es nicht durchsetzbar ist, finde ich, dass man jedem Jugendlichen abverlangen kann, einmal im Leben etwas für die Gesellschaft zu tun. Etwa in der Betreuung. So lernen junge Männer den Pflegeberuf kennen. Weiter ist wichtig, dass sie ein auskömmliches Einkommen erzielen.

Es fehlt an Wertschätzung am Beruf

Die Heime sollen also höhere Löhne zahlen und dann wird der Job attraktiv?

Westerfellhaus: Das ist nur ein Punkt. Die Arbeit muss eine höhere öffentliche Wertschätzung bekommen. Dann müssen wir weg von der Pflege im Minutentakt und unnötiger Dokumentation. Dafür sind die Pflegerkräfte nicht in den Beruf gegangen.

Die Regierung legt bald ein Paket vor, das den Pflegeberuf attraktiver machen soll. Was muss da rein?

Westerfellhaus: Etwa Strategien zur Nachwuchsfindung und eine einheitliche Darstellung des Berufsbildes. Generell brauchen wir mehr Wertschätzung für den Pflegeberuf. Zudem sollten die Länder endlich den Pflegekräften die Selbstverwaltung übertragen.

Familienministerin Schröder will Männer aus bildungsfernen Schichten zum Altenpfleger ausbilden, wenn sie sich als Pflegehelfer bewährt haben. Eine sinnvolle Idee?

Westerfellhaus: Um Gottes willen, das ist kein geeigneter Lösungsansatz. Wir brauchen mehr professionelle Leistung. Dem kann man nicht mit einer Lösung der Deprofessionalisierung begegnen. So signalisiert man denen, die jetzt professionelle Pflege leisten: Pflegen kann doch jeder.

Halten Sie von Schröders geplanter Familienpflegezeit mehr?

Westerfellhaus: Das Modell wäre eine Verbesserung zu dem, was wir jetzt haben. Aber es reicht nicht aus. Wir brauchen flexiblere Lösungen. Es kann nicht sein, dass die Familienpflegezeit automatisch nach zwei Jahren endet.

Die Pflegedienste setzen zunehmend auf Leiharbeit. Kann man dies den Pflegebedürftigen zumuten?

Westerfellhaus: In manchen Bereichen geht das. Für viele Betroffene sind Leiharbeiter aber eine immense Zumutung. Gerade Demenzerkrankte brauchen Kontinuität in der Versorgung.

Kommt die eigene Gewerkschaft

Sie haben eine Gewerkschaft für Pflegekräfte ins Gespräch gebracht. Wann kommt sie?

Westerfellhaus: Wenn sich die etablierten Gewerkschaften nicht für uns einsetzen, werden wir unsere Belange selbst in die Hand nehmen. Ich will nie wieder von Verdi hören, dass 25 Euro mehr Gehalt für eine Krankenschwester der Durchbruch sind. Das ist ein Hohn. Die Strukturen für eine eigene Gewerkschaft könnten wir in ein bis zwei Jahren aufbauen. Ich hoffe aber, dass es nicht so weit kommen muss.

Zurück zum Pflegealltag: Es gibt inzwischen Heime, die dulden Prostitution, weil auch alte Menschen Bedürfnisse haben. Befürworten Sie das?

Westerfellhaus: Auch im Pflegeheim muss der Mensch die Möglichkeit haben, selbstbestimmt zu entscheiden.

Also sollte man Prostitution im Altenheim zulassen?

Westerfellhaus: Die Selbstbestimmung darf im Heim nicht aufhören.

Die Fragen stellte Daniel Freudenreich