Oberhausen. Mit historischen Postkarten führen Oberhausener Sammler durch das Theater- und Marienviertel: Turnfeste füllten den späteren John-Lennon-Platz.
Die Postkarte des Ratssaales zeigt noch die bei der heutigen Politiker-Generation längst verpönte „Klassenzimmer“-Sitzordnung: Richtet man den Blick auf die monumentale Stuckdecke, wie sie jüngst mit enormem Aufwand wiederhergestellt wurde, so sieht man: Die millionenschwere Restaurierung kommt dem historischen Zustand sehr nahe. Dabei ist für Bruno Zbick diese – wenn man so will, politisch relevante – Ansichtskarte von 1934 gar nicht das bemerkenswerteste Rathaus-Motiv der aktuellen Ausstellung. Im Foyer des NH-Hotels an der Düppelstraße präsentieren vier Oberhausener Sammler rund 70 durchweg hinreißende, frankierte Schaustücke aus der Stadtgeschichte. Thema des neuesten, nun bereits fünften Ausstellungs-Coups: „Kleiner Rundgang durchs Rathaus- und Marienviertel.“
Berechtigter Sammlerstolz schwingt hörbar mit beim Verweis auf eine ganz andere Rathaus-Ansicht: Sie zeigt den Vorgänger-Bau aus Gründerzeiten – und zwar mit einem Anbau entlang der Schwartzstraße, der sogar noch Bestand hatte, als Ludwig Freitag, der Architekt des „neuen“ Rathauses, 1930 sein expressionistisches Meisterwerk vollendete. Stilecht beginnt die Postkarten-Tour durch ein noch unter Volldampf stehendes Alt-Oberhausen am Bahnhof – natürlich ebenfalls am Vorgängerbau des heute so vertrauten Gebäudes aus den 1930ern. Eine Bahnhofs-Ansicht von 1911 zeigt sogar, mit allem preußischem Pomp samt Pickelhauben und Federbüschen, den Empfang für Gottlieb von Haeseler.
Womit man, dank eines kühnen Sprunges durch Jahrzehnte und Stadtgeografie, schon beim heutigen John-Lennon-Platz angekommen ist: Denn der war, immerhin bis 1991, benannt nach dem preußischen Generalfeldmarschall (1836 bis 1919). Ebenfalls von 1911 datiert die Ansichtskarte eines Turnfestes auf dem damaligen Concordia-Platz, offenbar zu Ehren des „rücksichtslosen Kriegstreibers“, als den ihn 80 Jahre später die Jusos schmähten. Hinter den Turnern im weißen Sportdress hatte der Fotograf freien Blick auf Gleisanlagen und die imposante Silhouette des GHH-Werksgeländes.
Idyllischer wirken die teils bis heute vertrauten Ansichten aus dem „gehobenen“ Milieu des Marienviertels: Das Lyzeum firmierte noch als „Töchterschule“, und ein markantes Eckhaus an der heutigen Ebertstraße mit halbrundem Erker und Turmhaube als Künstlercafé namens „Café Hohenzollern“: Ein bisschen Boheme gab‘s sogar schon zehn Jahre, bevor sich im „Restaurant Wilhelmshöhe“ das Theater etablierte. Ein zauberhafter „Ringelpietz“ mit Rokoko-Flair illustriert diesen Aufbruch zur großen Bühne.
Als Sammler weiß Bruno Zbick, der Vorsitzende des rührigen Künstlerfördervereins, zwei weitere kundige Oberhausener an seiner Seite: Dieter Baum und Karl-Heinz Konopka – sowie einen Sammler aus Falkensee im Havelland. Denn Udo Appenzeller stammt ebenfalls aus der schwerindustriellen Pionierstadt. Neben dem bewährten Kooperationspartner VHS ist erstmals auch das Stadtarchiv als Mitveranstalter an Bord. Archivarin Michaela Schmitz-Oetjen nennt den Postkarten-Schatz „eine ganz individuelle historische Quelle“: Sie gebe besonders eindrucksvoll „den Lebensalltag“ wider.
Neidlos überlässt das Stadtarchiv das weite Feld der wortwörtlich in alle Welt verschickten Postkarten mit Oberhausener Motiven dem Engagement der Sammler: Sie können die Zeit dafür aufwenden – und wissen, ob es sich lohnt, einen bis zu dreistelligen Betrag in eine frankierte Rarität zu investieren. Ob Festlichkeiten oder stolze Gründerzeitbauten: Die Motive der historischen Postkarten „spiegeln das Selbstverständnis einer jungen Stadtgesellschaft“, wie Michaela Schmitz-Oetjen sagt: „Man war stolz auf diese Stadt.“
Gefragtes Sammelobjekt: Die Gratis-Kataloge zur Ausstellung
Die inzwischen fünfte Ausstellung „Historische Postkarten“ öffnet am Donnerstag, 11. April, um 18 Uhr in der Lobby des NH-Hotels, Düppelstraße. Matthias Ruschke von der VHS moderiert eine launige Gesprächsrunde, für stimmungsvolle Klaviermusik sorgt Matthias Dymke.
Auch einen 44-seitigen Katalog im praktisch-quadratischen Format haben die Sammler und ihre Mitstreiter wieder aufgelegt. In 400er Auflage sind sie wieder kostenlos erhältlich: im NH-Hotel, bei der VHS und beim Stadtarchiv. Bruno Zbick weiß, dass diese schön gestalteten Hochglanz-Broschüren innerhalb kürzester Zeit selbst zu Sammlerobjekten werden: „Sie landen sogar beim ZVAB“, also im Internet-Marktplatz des Zentralen Verzeichnisses Antiquarischer Bücher.