Oberhausen. Musik und Schauspiel pflegte schon die „Haideblümchen-Gesellschaft“ von 1853 – Jahre vor der Oberhausener Stadtgründung. Ein Blick in Dokumente.
Im Theater Oberhausen sollte es nach einem Premieren-Wochenende weitergehen mit mehreren Schulaufführungen von „Keloğlan Eulenspiegel“: Stattdessen haben wegen der Corona-Pandemie sowohl die Schulen als auch das Theater geschlossen – ausgerechnet im Anlauf zum 100-jährigen Bestehen des Hauses am Will-Quadflieg-Platz. Vielleicht lohnt da ein Rückblick auf jene Zeit vor mehr als 100 Jahren, als sich die Bürger der so jungen wie aufstrebenden Stadt nach einem Ort für Schauspiel-, Konzert- und Musiktheater-Abende sehnten – und bereits ideenreich improvisierten.
Für Einblicke in jene „Theater-Epoche“ vor dem Theater von 1920 ist Bruno Zbick wohl die erste Adresse: Der Osterfelder ist nicht nur der rührige Vorsitzende des Künstlerfördervereins, bekannt dank der hochklassigen Konzerte junger Klassik-Virtuosen im Ebertbad. Seit sieben Jahren sammelt er auch intensiv sprechende Dokumente zum Konzert- und Bühnenleben der damals noch drei Städte Oberhausen, Sterkrade und Osterfeld: Postkarten der Spielstätten und Programme dessen, was zu Kaisers Zeiten geboten wurde. „Die sind heute wahnsinnig begehrt“, sagt der Sammler mit besten Kontakten zu allen Musikvereinen.
Rührender Versuch, sich mondän zu geben
Zum stolzen Zbick’schen Bestand zählt so auch eine Ansichtskarte des Lokals „Haideblümchen“ – zugleich ein frühes Beispiel für einen noch rührenden Versuch, sich mit einer Fotomontage einen Hauch des Großstädtisch-Mondänen zu geben: hier in Gestalt eines damals sündteuren Automobils. So ein flottes Cabrio hätte vor dem echten „Haideblümchen“ seinerzeit wohl für einen Menschenauflauf gesorgt. „Ein ganz bekannter Aufführungsort“, sagt Bruno Zbick – und verweist auf die Gründung der kulturbeflissenen „Haideblümchen-Gesellschaft“ im Jahr 1853. Das war nicht nur 18 Jahre vor der Gründung des deutschen Reiches – sondern auch neun Jahre vor der Gründung der „Gemeinde Oberhausen“ mit damals 6000 Einwohnern. Zur Stadt mit 15.000 Bürgern wurde Oberhausen dann 1874.
Ein hingebungsvoller Chronist der frühesten Jahre – und für Bruno Zbick ein Standardwerk in seinem antiquarischen Bestand – war Wilhelm Lange mit seinem Büchlein „Theater in Oberhausen 1911 bis 1960“. Der Titel ist sogar eine Untertreibung, denn der Autor führt auch zurück ins wilhelminische 19. Jahrhundert – und zitiert mit gelindem Grausen jenen Dichter Wilhelm Schäfer, der Oberhausen in den 1870ern so beschrieb: „In trauriger Öde, zwischen Fabriken und Zechen eingeengt, ziehen die schwarzen Straßen zwischen schwarzen Häusern hin. Und immer ein Geruch von nassen Schornsteinen in der Luft: eine Höllengegend!“
Sogar Sportvereine pflegten ihre „Theaterabteilungen“
Doch eine mit ebenso reichem Kneipen- wie Vereinsleben. Und mehr noch: Fast ausnahmslos pflegten sämtliche Gesangsvereine, kirchlichen Verbände und sogar Sportvereine ihre „Theaterabteilungen“. Erste Liebhaberbühnen gaben sich so klassische Namen wie „Thalia“ (die Muse der komischen Dichtung) und „Euterpe“ (die Muse der Tonkunst). Mit ungeheuer klangvollen Namen warteten auch jene Wanderbühnen auf, die als erste Bühnenprofis die Wirtshaussäle bespielten – am pompösesten wohl „Böhmers Spezialtruppe ersten Ranges“, die 1892 in Oberhausen vorbeischaute. Bitter für Bruno Zbick: Ausgerechnet in seinem Wohnort Osterfeld, der seit 1891 eine selbstständige Gemeinde war, „tat sich gar nichts“.
In Alt-Oberhausen dagegen begann das professionelle Theaterleben nicht am heutigen Ebertplatz, sondern 1911 im „In der Beekschen Saale“ an der heutigen Helmholtzstraße, damals Königsstraße. Franz Genesius war der mutige Theaterchef, der dort einen ständigen Spielbetrieb wagte – immerhin bis zum März 1914. Einem später prominenten Theaterwissenschaftler gelang es dann – als 23 Jahre jungem Bühnen-Enthusiasten – sogar, die Oberhausener Stadtväter von der Förderung seiner Truppe zu überzeugen: Carl Niessen etablierte in seinen späteren Lebensjahren die im Schloss Wahn in Köln eingerichtete große theaterhistorische Sammlung.
Freilicht-Theater im alten Emscherbett
Der junge Dr. Niessen brachte in Oberhausen erstmals Klassiker wie Goethes „Iphigenie“ auf die bedeutenden Bretter – und fand im alten Emscherbett am Kaisergarten einen schönen Schauplatz für Freilicht-Aufführungen. Als leider prophetisch erwies sich die Inszenierung von „Wallensteins Lager“ wenige Wochen vor dem Beginn des Ersten Weltkriegs – in den auch Carl Niessen als Leutnant zog.
Sein Nachfolger, unterbrochen durch die Kriegsjahre, führt dann im „Hollerschen Saal“ an der Königstraße zur Vorgeschichte des Oberhausener Musiktheaters: Erich Kaiser etablierte ein kleines Operetten-Ensemble, das sich der gefragten leichten Muse widmete, wie der Hamburger Jean Gilbert (eigentlich Max Winterfeld) sie seinerzeit mit leichter Hand lieferte.
Rauchverbot beim Blick auf die „Kriegsbilder“
Und der Standort des im Jahr 2020 hundertjährigen Theaters? Er entspricht der frühen Oberhausener Tradition – und begann ebenfalls als Gasthaus-Saal. Von diesem „Restaurant Wilhelmshöhe“ bewahrt Bruno Zbick nicht nur Karten-Ansichten, mit denen sich die Verwandlung des Hauses zum Theater über die Jahrzehnte aufblättern lässt. Ein besonderes historisches Souvenir ist auch das Programmblatt zur „Feier des 100-jährigen Geburtstages des Fürsten Bismarck“, ausgerichtet vom Kreis-Krieger-Verband im Weltkriegsjahr 1915. Bemerkenswerter als die Abfolge patriotischer Lieder ist hier die frühe Zusammenarbeit der beiden führenden Gasthaus-Bühnen: nämlich von Wilhelmshöhe und dem bis heute bekannten „Haus Union“ an der Schenkendorfstraße. Während des Lichtbildervortrags bat man, das Rauchverbot zu beachten: Sonst wäre von den „Kriegsbildern“ im Tabakqualm nicht mehr viel zu sehen.
Schauspieler sind ja bis heute oft stressbedingt starke Raucher – nicht selten auch im Bühnengeschehen. Aber wie die wandernden Operetten-Ensembles ihre Arien und Couplets durch die schneidende Saalluft gebracht haben – dieses Kunststück hat der frühe Theater-Chronist Wilhelm Lange schlicht überblättert.
Abgesagt ist auch die Ausstellung historischer Postkarten
Auch die beiden Sammler historischer Ansichtskarten – Bruno Zbick und Horst Otto – trifft die umfassende Absage des kulturellen Lebens: Denn geplant hatten beide eine gemeinsame Ausstellung von Reproduktionen einiger ihrer Schätze: Sie sollte eigentlich am 23. März im Foyer des Bert-Brecht-Hauses eröffnen.
Das Thema dieser Ausstellung hätte trefflich an die „Theaterzeiten vor dem Theater“ angeschlossen: Denn beide Sammler wollten unter dem Motto „Nicht nur Alkohol“ die lange Tradition von Oberhausener Gaststätten als „Träger des gesellschaftlichen und kulturellen Lebens“ anschaulich vorstellen.
Stattdessen ist das Bert-Brecht-Haus nun vorerst bis zum 19. April geschlossen. Für das gesamte Angebot der Volkshochschule – für alle Verschiebungen, Nachholtermine und Rückabwicklungen der Kurse – appelliert die VHS: „Bitte geben Sie uns Zeit!“