Oberhausen. Für sieben Millionen Euro wurde der Oberhausener Ratssaal modernisiert und rekonstruiert – im Stil der 20er Jahre. Ein nationales Denkmal?
Das ist stadthistorisch durchaus ein bedeutender Tag für Oberhausen: Der für sieben Millionen Euro optisch auf das Qualitätsniveau der 20er Jahre des vorherigen Jahrhunderts und technisch auf neuestem Stand gebrachte Ratssaal ist am Montag, 21. August 2023, feierlich durch den Rat der Stadt in einer Sondersitzung in Besitz genommen worden.
Oberbürgermeister Daniel Schranz: „Oberhausen hat diesen Saal verdient“
Das Endergebnis der über vier Jahre andauernden Modernisierungsarbeiten findet nicht nur Oberbürgermeister Daniel Schranz begeisternd. „Der Saal ist außerordentlich schön geworden. Bisher habe ich hier noch keinen Besucher gehabt, der nicht beeindruckt ist. Bei aller Berücksichtigung unserer begrenzten Mittel hat unsere Stadt einen solchen Saal verdient, schließlich ist das hier die Herzkammer der kommunalen Demokratie.“ >>> Lesen Sie auch: Darf sich Oberhausen einen schönen teuren Ratssaal leisten?
Noch nie zuvor hat der im September 2020 gewählte Stadtrat in diesem Saal getagt – wegen der Pandemie, aber auch weil die Renovierungen sich so lange hinzogen. Auch deshalb ist dieser Montag stadtgeschichtlich etwas Besonderes.
Der größte Saal des von Ludwig Freitag geplanten Oberhausener Rathaus-Baus Ende der 20er Jahre ist zuvor nur ein einziges Mal modernisiert worden: 1958 wurde die damalige Sitzordnung, bei der die Ratsleute wie in einem Klassenzimmer auf der schmalen Seite des rechteckigen Saales gegenüber der Stadtspitze saßen, in eine parlamentarische Reihung der Politiker-Sitze auf Podien umgestaltet. >>> Zum Thema: Sieben Millionen Euro verwandeln Ratssaal in Prunkstück
Bundesweit einzigartige Stuckdecke wurde in den 50er Jahren abgedeckt
Die bundesweit einzigartige Stuckdecke (Landeskonservatorin: „Ein Denkmal von nationaler Bedeutung“) wurde mit einer stabilen Konstruktion aus weißen Decken-Paneelen abgehängt, die dadurch zu einem beträchtlichen Teil zerstört wurde. Die Wandvertäfelung aus gebeizter Wassereiche wurde damals mit Vorhängen verborgen, die Pfähle zwischen den Fenstern überstrich man mit weißer Farbe – und das Mawick-Wandfries mit Oberhausener Motiven im Stil der 50er Jahre schmückte die Wand zwischen Holzvertäfelung und abgehängter Decke.
Nach 60 Jahren war die Modernisierung des Ratssaals nach Auffassung der Ratspolitiker zwingend notwendig: Nicht behindertengerecht, schlechte Akustik mit Handmikrofonen, eine enge Besuchertribüne – und ein Klima im Saal, das nur wenig Spielraum ließ. „Hier gab es nur eine einzige Temperatur: heiß. Im Winter war die Heizung nicht regelbar, im Sommer erhitzte die Sonne den Saal“, schildert Immobiliendezernent Michael Jehn den Zustand. Schranz berichtet von einem „beklagenswerten Zustand“ des Saals, vor allem der Technik. >>> Weiterer Bericht: So gemein berichtet Sat.1 über den Oberhausener Ratssaal
„Für uns war das ein Vergnügen, diesen so bedeutsamen Saal zu planen. Für uns war das oft wie eine Schatzsuche, man entdeckte immer wieder etwas aufregend Neues“, erzählen die Architektinnen Britta Lingenberg und Maren Baumast vom Oberhausener Büro „BST Architekten“ von ihrer Arbeit. So sichteten die Fachleute überraschend die Stuckdecke mit Ornamenten der Rathaus-Fassade, an die sich selbst altgediente Politiker nicht mehr erinnerten, und einen erschreckend dünnen Bodenbereich, der nur fünf Zentimeter dick war. „Das war lebensgefährlich. Hier hätte jederzeit jemand durchbrechen können““, meint Schranz.
Auf dem Weg zu einer modernen Arbeits- und Beschlussstätte für Ratspolitiker musste man sich immer wieder zu schwierigen und teuren Entscheidungen durchringen: Wie historisch sollte der Ratssaal rekonstruiert werden, wie modern sollte er sein? Der beratende Architekt Werner Funke neigte eher zur nüchternen Funktionalität auf Stand heutiger DIN-Normen, die Landesdenkmalschützer zu einer kompletten Wiederherstellung des originalen 20er-Jahre Saals.
Wandvertäfelung mit gebeizter Wassereiche in dunklen Tönen
Am Ende genehmigten Politik und Stadtspitze die Rekonstruktion der Decke in Original-Farben mit orangen, blaugrauen Tönen und Schlagaluminium, für die der Mawick-Fries weichen musste. Sie genehmigten die Fenster der Hallenser Kunsthochschul-Professorin Christine Triebsch, die die Rechtecke und Blautöne der „Art-déco“-Decke aufnehmen. Und die Wandvertäfelung, die akustisch und lüftungstechnisch aufgehübscht in dunkler Eiche gelassen oder neu konstruiert wurde – ebenso die Türen im 20er-Jahre-Stil, die jetzt Feuerausbrüchen standhalten. Zwei Balkone, alte Heizungsverkleidung oder Nischen wurden aber nicht wieder nachgebaut. >>> Zum Hintergrund: Oberhausen: 370.000 Euro für neue Rathaus-Fenster
Denn das Innere des Saals, der eigentliche Ort der politischen Arbeit, sollte modern und funktional sein: Weiße Tische, hellgraue verschiebbare und versetzbare Sitze für Rollstuhlfahrer in der ersten Reihe, Mikrofone an jedem Platz, eine Hebebühne für Rollstuhlfahrer aufs Podium der Stadtspitze, Fernseher draußen im Flur und auf der Besuchertribüne, Kameras, die automatisch den Redner heranzoomen für künftige Internet-Übertragungen von Sitzungen und eine Klimaanlage, die eingepackt in einem dicken Akustik-Tresor den Raum angenehm und leise durchlüftet.
Offenbar ist hier mit dem renovierten Ratssaal eine sehr gute Basis für die Kommunalpolitiker entstanden, um wegweisende Entscheidungen für Oberhausenerinnen und Oberhausener zu fällen. Die frühere Schwüle im Raum kann jedenfalls nicht mehr als Ausrede dienen, man habe über seine Beschlüsse nicht ausreichend nachdenken oder diskutieren können. >>> Zum Thema: Oberhausener Rathaus-Kosten empören junge FDP-Politiker
Und die Kosten? „Wenn wir vorher gewusst hätten, bei welcher Summe wir herauskommen würden, dann hätte die Politik dies wohl nicht so abgesegnet“, räumt Schranz ein. Aber so ein fast 100 Jahre alter Altbau birgt halt viele teure Geheimnisse, die sich oft erst feststellen lassen, wenn man mitten im Bau ist. >>> Zur Bilderstrecke: Die schönsten Bilder vom neuen Ratssaal in Oberhausen