Oberhausen. Sammler Bruno Zbick besitzt ein Jubiläumsgeschenk aus dem Jahr 1944: Der Zeichner und Bergmann nahm nicht nur das „Steigerlied“ auf die Schippe.
Ohne ihre Börsen, spezialisiert auf historische Dokumente, sind auch die Sammler gedruckter Kleinode – von Postkarten bis zu Konzertprogrammen – in dieser Pandemiezeit weitgehend „stillgelegt“. Auch Bruno Zbick, der zusammen mit Horst Otto und mit Reproduktionen seiner Schätze gefragte VHS-Ausstellungen bestückt hatte , weiß: „Momentan tut sich nicht viel.“ Doch dann sorgte am Donnerstag die zwölfseitige Leseprobe des WAZ-Magazins „Erbe des Bergbaus“ für einen Geistesblitz.
Genauer gesagt, war’s die sehr sachlich mit Graphit-Zeichnungen illustrierte Doppelseite zur Bergbausprache – denn dazu besitzt der Osterfelder Zbick in seinem Fundus eine originellere Variante. Die kleine Mappe mit zwölf Zeichnungen in DIN A 5 großen Passepartouts präsentieren nämlich eine etwas skurrilere Sicht auf das, was man so schön lexikalisch ein „Glossar“ nennt. So zeigt das Blatt zu dem seit Jahrhunderten revierbekannten Steigerlied und einem zweifachen „Glück auf!“ in zackiger Sütterlinschrift einen Karnevalisten, der die Treppe reichlich angeschlagen hinauf kraucht. Und oben wartet die Gattin mit dem Teppichklopfer (für den manche vielleicht heutzutage ein Glossar bräuchten).
Liebevoll kalauernd geht’s auf den anderen Blättern weiter mit einem „Hauer“, der auf der Kirmes gegen den Lukas ausholt und einem „Anschläger“ in feiner Livree, der im Restaurant dem Gong ein „Päng!“ verpasst. Und es war eben kein Branchenfremder, der im Jahr 1944 das stolze Bergmanns-Idiom auf die Schippe nahm, sondern ein Kollege aus der Markscheiderei der Zeche Morgensonne in Wattenscheid . „Unserem Arbeitskameraden Hans Korte zum 25-jährigen Dienstjubiläum“, so steht’s auf dem Deckblatt der farbigen Karikaturen-Mappe mit sechs Unterschriften – darunter auch der Zeichner O. Bettermann, der auch jedes Blatt signierte.
Das Ruhrgebiet lag längst in Trümmern
Die idyllisch wirkenden und aufwendig colorierten Zeichnungen, vor allem das Blatt mit drei Kindern, die sich am Kohlenkasten in der Küche gründlich einschwärzen, haben aus heutiger Sicht etwas von jenem leichten Touch, der Erich Ohsers (besser bekannt als e. o. plauen) „Vater und Sohn“-Bildergeschichten auszeichnete. Doch es war 1944, das vorletzte Jahr des Weltkrieges. Erich Ohser, der liebenswürdige Karikaturist, hatte sich am 5. April das Leben genommen, weil am nächsten Tag sein Prozess vor Freislers Volksgerichtshof beginnen sollte. Das Ruhrgebiet lag längst in Trümmern. Doch Bettermanns kleines „Anti-Glossar“ zeigt lauter gut gekleidete und gut ernährte Menschen. Für sein „Steiger“-Blatt zeichnete er allerdings einen Bewunderer, der einer Frau im schicken Kostüm mit Hütchen und einem feinen Schleier vor dem Gesicht (einer jungen Kriegerwitwe?) nachsteigt: „Watt’n netten Käfer.“
„Zu einem Jubiläum“, meint Bruno Zbick, „schreibt und zeichnet man ja nichts Schlimmes“. Der Bergmannssohn, der eigentlich bevorzugt Dokumente des Oberhausener Kulturlebens sammelt, hat ein ähnliches Gebinde noch auf keiner Sammlerbörse gesehen.
Die privilegierte Stellung des Bergbaus
Und er verweist auf das hochwertige Papier, dem selbst 76 Jahre kaum zugesetzt haben – während etwa Konzert- und Bühnenprogramme aus den Weltkriegsjahren auf billigstem Papier gedruckt wurden, „so grob, dass es auseinanderfällt, wenn man das Blatt nur einmal faltet“. Das Jubiläums-Mäppchen dokumentiert so auch die privilegierte Stellung des Bergbaus.
Und die Fron der tausenden Zwangsarbeiter jener Kriegsjahre? O. Bettermann scheint sie anzudeuten im Blatt jenes Lorenschiebers, der sich als schmale Gestalt abrackert, um einen feisten „Arbeitskameraden“ zu befördern, der es sich auf den zwei Rädern gemütlich macht: ein Anflug der brutalen Realität, die damals unter Tage herrschte.