Oberhausen. 117 Jahre dauert bereits die Kinogeschichte Oberhausens. Die Ruhrgebietsstadt hatte erstaunlich viele Filmpaläste - die meisten sind vergessen.

Drei Sammler haben ihre Bilderschätze gesichtet und mit alten Adressbüchern abgeglichen - und, voilà, das Ergebnis ist staunenswert: Mindestens 40 Kinos lassen sich so in der Geschichte der jungen Stadt Oberhausen nachweisen. Das älteste eröffnete als „Biotophon“ 1907 mit fast 500 Plätzen an der Marktstraße 70. Dieter Baum, Karl-Heinz Konopka und Bruno Zbick, eigentlich vertieft in die Vorbereitung einer eigenen Ausstellung historischer Postkarten zum Theater- und Marienviertel, staunen selbst über diese Zahl.

Die 40 Kinos gab es allerdings nie gleichzeitig in der Stadt, denn etliche Lichtspielhäuser waren schon nach wenigen Jahren wieder geschlossen. Dennoch beweist sich auch hier die enorme Dynamik des neuen Mediums - das mit einem heftigen Nieser begann.

Oberhausens älteste Kino-Adresse lautete Marktstraße 70: Neben Bremer Kaffee und Delikatessen Farsing eröffnete 1907 „Biotophon“, später bekannt als „Istra-Theater“.
Oberhausens älteste Kino-Adresse lautete Marktstraße 70: Neben Bremer Kaffee und Delikatessen Farsing eröffnete 1907 „Biotophon“, später bekannt als „Istra-Theater“. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Jedenfalls gilt „Sneeze“ von 1893 Filmhistorikern als „Urknall“ ihres Genres, gefilmt von einem Assistenten Thomas Alva Edisons, der eifersüchtig über etliche Patente zum bewegten Bild wachte. Doch Kino, als Projektion auf großer Leinwand für ein zahlreiches Publikum zu genießen, ist eine europäische Erfindung: Die Brüder Louis und Auguste Lumière aus Lyon, damals 30 und 32 Jahre alt, mieteten sich 1895 ins Souterrain des heimischen „Grand Café“ ein, um dort ihren ersten „Cinématographe“ zu eröffnen.

Die gern zitierte Legende von Kino als Jahrmarktsattraktion war so von Anbeginn an allenfalls halb richtig. Viel beständiger (oder jedenfalls einfacher nachzuweisen) ist die bis heute enge Verbindung von Kino und Gastronomie: Die „Lichtspiele“ der frühen Jahre eröffneten zumeist in umgebauten Gesellschaftsräumen von Wirtshäusern. So wirbt das in Sterkrade bis heute markante Haus „Brandenburger Hof“, damals noch von vielen kleinen Zinnen gekrönt, auf einer alten Postkarte mit seinem „Kinematograf“.

Dieser undatierte „Gruß aus Sterkrade“ aus  K.-H. Konopkas Sammlung zeigt den markanten „Brandenburger Hof“, der mit seinem „Kinematografen“ wirbt.
Dieser undatierte „Gruß aus Sterkrade“ aus K.-H. Konopkas Sammlung zeigt den markanten „Brandenburger Hof“, der mit seinem „Kinematografen“ wirbt. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Zentral an der Marktstraße 70 startete das spätere „Istra-Theater“ 1907 unter dem Namen „Biotophon“ - ein vor dem Ersten Weltkrieg gängiger Begriff für einen frühen Versuch, „Tonfilm“ zu kreieren: Zu sehen waren kurze Filme, die von speziell produzierten Grammophonplatten akustisch begleitet wurden. So erreichte man „bei den damals primitiven Ansprüchen des Publikums an die Filmtechnik eine Wirkung, die dem ersten Tonfilm mindestens gleichkam“, schrieb 36 Jahre später Otto Kriegk in „Der deutsche Film im Spiegel der UFA“.

Ebenfalls 1907 entstand übrigens in den USA die erste Version des Monumentalfilms „Ben Hur“ (in 16 Szenen mit illustrierten Titeln): Für die Produktionsfirma Kalem ein ruinöses Projekt, denn sie hatte „vergessen“, sich die Filmrechte bei den Erben des Romanciers zu sichern - und musste die damals erschütternde Summe von 25.000 Dollar zahlen.

So erreichte man eine Wirkung, die bei den damals primitiven Ansprüchen des Publikums an die Filmtechnik, dem Tonfilm mindestens gleichkam.
Otto Kriegk (1892 bis 1945) - in „Der deutsche Film im Spiegel der UFA“

Zu den Kinos, die schon in den 1910er Jahren gerne einen bunten Programm-Mix aus Film und Varieté präsentierten, zählten in Alt-Oberhausen das stattliche „Apollo“ mit 876 Plätzen und der UFA-Palast an der Marktstraße 73. In Osterfeld gab‘s seit 1912 das „Biophon“, die „Schauburg“ und die „Lichtspiele“, in Sterkrade ebenfalls eine „Schauburg“ sowie „Tobi“ und „Union“. Das bis heute gerne als globale Metropole der Filmindustrie verstandene Hollywood hatte erst 1910 eröffnet - mit einem 17-minütigen Kurzfilm des späteren Monumental-Regisseurs D. W. Griffith.

Hochwasser sind ein erstaunlich oft wiederkehrendes Thema im Ruhrgebiet - und waren es in den Kino-Wochenschauen vor rund hundert Jahren. Eine Foto-Rarität zeigt das Osterfelder „Atrium“ 1938 bis zu den Schaukästen in Emscher-Fluten.
Hochwasser sind ein erstaunlich oft wiederkehrendes Thema im Ruhrgebiet - und waren es in den Kino-Wochenschauen vor rund hundert Jahren. Eine Foto-Rarität zeigt das Osterfelder „Atrium“ 1938 bis zu den Schaukästen in Emscher-Fluten. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Größer und bis weit in die 1920er Jahre stilprägender als die Studios im fernen Kalifornien war die 1917 ausgerechnet vom deutschen Generalstab als Propgandainstrument installierte Universum Film AG, bekannt als UFA. Bis heute schwärmen Filmhistoriker von der Bildmagie des expressionistischen Stummfilms, dessen opulentestes Beispiel - „Metropolis“ von Fritz Lang - im selben Jahr 1927 in die Kinos kam wie in den USA der erste echte Tonfilm „The Jazz Singer“. Man könnte meinen, die Kino-Bauherren in Oberhausen hätten gezielt diese die Filmgeschichte umwälzende Erfindung abgewartet. Denn ausgerechnet in den für eine Arbeiterstadt so verheerenden Jahren der Weltwirtschaftskrise eröffneten die beiden stattlichsten Filmpaläste.

Neben dem „Kaufhaus Bär“ an der Sterkrader Wilhelmstraße eröffnete 1914 das „Tobi“-Kino mit 763 Plätzen.
Neben dem „Kaufhaus Bär“ an der Sterkrader Wilhelmstraße eröffnete 1914 das „Tobi“-Kino mit 763 Plätzen. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Dr. Holger Klein-Wiele hatte in seiner Dissertation als Kunsthistoriker der „Kinoarchitektur der 50er Jahre im Ruhrgebiet“ nachgeforscht und unter diesem Titel einen gewichtigen Band publiziert. Für Oberhausens Geschichtsjournal „Schichtwechsel“ blickte er noch weiter zurück: Der bis heute als Bühnenhaus genutzte „Lito-Palast“ an der Sterkrader Finanzstraße zeigte (wie etliche vergleichbare Häuser) schon seit seiner Eröffnung 1931 mehr als „Licht und Ton“. Kino-Bühnen waren damals ungleich tiefer als die heutigen schmalen Stege vor der Leinwand. Der „Lito-Palast“ gebot sogar über einen Orchestergraben: Schließlich wollte man auch noch Stummfilme zeigen - und zwar zu Live-Musik.

Premierengäste der „Lichtburg“ staunten auf Stehplätzen

Als Hanns Dustmann, der Architekt des ikonischen Berliner „Café Kranzler“, unmittelbar nach Kriegsende an der Instandsetzung des „Lito“ arbeitete (und sich dabei an den Maßen vor der Zerstörung orientierte), bot das Parkett Platz für 550 Filmfans, der Balkon für weitere 400. Einzigartig war die Position des Projektorraumes über dem Saal: Aus Öffnungen in der Kuppel schien der Projektionsstrahl auf die Leinwand.

Kino-Betreiber Hubert Pesch zeigte sich als Investor noch moderner als die aufstrebende Stadt mit ihren markanten Friedensplatz-Bauten (im Hintergrund): Die „Lichtburg“ entstand 1931 im Stil der Neuen Sachlichkeit.
Kino-Betreiber Hubert Pesch zeigte sich als Investor noch moderner als die aufstrebende Stadt mit ihren markanten Friedensplatz-Bauten (im Hintergrund): Die „Lichtburg“ entstand 1931 im Stil der Neuen Sachlichkeit. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Ganz so exzentrisch sollte die erste Version der „Lichtburg“ an der Elsässer Straße nicht geraten: Mit über 1200 Sitzplätzen hatte Hubert Pesch das seinerzeit (und heute wieder) „erste Haus am Platz“ in Auftrag gegeben, das bereits im Straßenbild auftrumpfte. Der exemplarische Bau im Stil der Neuen Sachlichkeit gliederte sich markant in großen Kuben - und nahm so fast die Proportionen des Europahauses aus den 1950ern vorweg.

Filmerfahrung hatte der Gründervater der Kino-Familie Pesch bereits als Betreiber des „Ruhrland-Theaters“ an der Styrumer Klörenstraße mitgebracht. Nur zur feierlichen Eröffnung fehlte es am versprochenen Komfort eines „Filmpalastes“: Der Andrang war so groß, trotz Krise und Massenarbeitslosigkeit, dass viele Premierengäste auf Stehplätzen staunten.